11.10.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 192 / Tagesordnungspunkt 28

Mareike WulfCDU/CSU - Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute habe ich im Bundestag ganz besonderen Besuch empfangen; drei Jungs im Alter von fünf, sieben und zehn Jahren haben mich mit ihren Eltern besucht. Es sind drei fröhliche, aufgeweckte Jungs, die eine unbeschwerte Kindheit verbringen dürfen. Wenn ich diese wunderbaren Kinder sehe – ich weiß, jeder und jede von Ihnen hat solche wunderbaren Kinder entweder selber zu Hause oder im persönlichen Umfeld –, dann muss ich sagen: Es macht einen nicht nur betroffen, sondern es bestürzt einen geradezu, dass Schätzungen davon ausgehen, dass jedes siebte Kind in Deutschland einmal im Leben sexuellen Missbrauch in irgendeiner Form erlebt.

Es macht mich ganz besonders betroffen, Herr Reichardt – ich sage Ihnen das einfach mal persönlich –, was Sie gesagt haben; denn ich habe das Gefühl, dass Sie mehr Freude an der Skandalisierung einzelner Themen als an der politischen Arbeit zur Lösung der Probleme empfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der Linken – Martin Reichardt [AfD]: Das hat mit Freude nichts zu tun!)

Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist eine dunkle und so bittere Seite unserer Gesellschaft, dass sich das Thema zur politischen Instrumentalisierung kaum eignet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken)

Dennoch müssen wir uns natürlich fragen: Tun wir genug, und tun wir das Richtige? Frau Staatssekretärin, die Inhalte dieses Gesetzes – meine Kollegin hat es ausgeführt – sind weitgehend unstrittig. Auch wenn ich selber keine Freundin des ausgedehnten Berater- und Beauftragtenwesens bin, erscheint es mir an dieser Stelle sehr richtig. All die Maßnahmen – das haben Sie auch gesagt – sind bereits unter der letzten Bundesregierung durchgeführt worden, und sie wurden nun weiter verstetigt und gesetzlich verankert.

Ich möchte auf das Kapitel der Qualitätsentwicklung und -sicherung zum Gewaltschutz bei Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eingehen. Das bedeutet in erster Linie, dass Jugendämter in ihrer Qualitätsentwicklung Kinder- und Jugendschutz im gesetzlichen Rahmen des SGB VIII berücksichtigen müssen. Das ist per se auch nicht schlecht. Aber aus meiner Sicht liegt das Problem ganz woanders. Wir haben in Deutschland 600 Jugendämter, in meinem Bundesland Niedersachsen 54, und jedes dieser Jugendämter ist kommunal unabhängig. Das Sozialgesetzbuch VIII gibt nur den Rahmen vor. Während die Aufgaben für die Jugendämter beständig wachsen, ist aber das qualifizierte Personal weiterhin sehr knapp. In meinem Landkreis gibt es zu wenig Personal und zu viele Pflegekinder. Dadurch gehen die Landkreisfinanzen in die Knie.

Gerade da liegt aus meiner Sicht ein Kernpunkt des Kinder- und Jugendschutzes. Das Fallmanagement braucht einfach Zeit, mehr qualifiziertes Personal und sehr schlanke Verwaltungsstrukturen. Aus Sicht der Frauen-Union Niedersachen, der ich vorsitze, braucht es auch eine Rechtsaufsicht und Landesjugendschutzgesetze, die sicherstellen, dass die Jugendämter in Fällen von schwerem Missbrauch nicht alleine sind und eine Landesbehörde informieren. Gerade dieses Kernproblem geht Ihr Gesetz nicht an. Das können Sie natürlich in diesem Gesetz auch nicht angehen. Aber ich finde, wir müssen darüber nachdenken, wie wir dieses Problem lösen können.

Ich wohne im Landkreis Hameln-Pyrmont. Wahrscheinlich kennen Sie alle den Fall. – Der Wahlkreiskollege von der SPD nickt. Im Jahr 2008 überwies das ansässige Jugendamt auf Wunsch der Mutter ein Mädchen zu einem Pflegevater auf einem Campingplatz. Es dauerte zehn Jahre, bis das ansässige Jugendamt und die Strukturen entdeckten, dass dieser Mann nicht nur dieses eine Mädchen schwer missbrauchte und vergewaltigte, sondern 40 weitere Kinder Opfer dieses Täters und weiterer Täter auf dem Campingplatz wurden und dass über 1 000 Straftaten, Bilder, Videos dokumentiert und live im Internet übertragen wurden.

Die Aufklärung dieses Falls wurde massiv dadurch erschwert, dass sich dieser Fall in zwei Landkreisen und zwei Bundesländern abspielte. Aus meiner Sicht müssen wir hier dringend Änderungen vornehmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere eigenen Strukturen sich bei der Aufklärung von schwerem sexuellem Missbrauch gegenseitig behindern.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich weiß, dass nun die parteiübergreifende Einigkeit endet; aber lassen Sie es mich einfach sagen. Während die Jugendämter an den Landkreisgrenzen an ihre Zuständigkeitsgrenzen stoßen, agieren Täter deutschlandweit und im Internet weltweit. Deshalb ist es uns ein Anliegen, dass IP-Adressen gespeichert werden und dass wir Anbieter von Kommunikationsplattformen mehr in die Pflicht nehmen, Daten zu übermitteln, damit wir unsere Kinder schützen können. 3,4 Millionen Abbildungen wurden bei dem schon erwähnten Fall in NRW bei nur einem einzigen Täter gefunden. Liebe Leute, das muss uns zum Nachdenken bringen, und es muss uns vor allen Dingen zum Handeln bringen.

(Beifall der Abg. Nina Warken [CDU/CSU])

Bitte geben Sie sich bei diesem Thema einen Ruck!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Renata Alt [FDP])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7616672
Wahlperiode 20
Sitzung 192
Tagesordnungspunkt Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
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