Tina RudolphSPD - Reformen in der Privaten Krankenversicherung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Falls Sie zu denjenigen gehören, über die heute gesprochen wird, nämlich zu den Privatversicherten, die sehr hohe Beiträge im Alter zahlen, weil sie in jungen Jahren einen entsprechenden Tarif abgeschlossen haben, und jetzt hoffen, dass der Antrag der Union sie entlasten würde, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Dieser Antrag entlastet Sie um keinen Cent.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stephan Pilsinger [CDU/CSU]: Das will er doch auch gar nicht!)
Indem Sie den Eindruck erwecken: „Hier tun wir was für die Versicherten“,
(Dr. Carsten Brodesser [CDU/CSU]: Nein! Machen wir nicht! Stimmt nicht!)
zementieren Sie ein Festhalten an einem System, in dem die PKV die Rolle spielt, die sie heute spielt, einem System, das ungerecht und unfair ist und zu vielen Kollateralschäden führt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Wie lange regieren Sie denn? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Warum ist es ein ungerechtes System? Unsere Vorstellung von Gerechtigkeit in Bezug auf eine Gesundheitsversicherung ist, dass auch starke Schultern das tragen, was von allen gezahlt werden muss, um für alle eine gute Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, und dass diejenigen, die hohe Einkommen haben, etwas mehr einzahlen.
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])
Dadurch ermöglichen wir allen Menschen eine gute Gesundheitsversorgung und ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben.
(Axel Müller [CDU/CSU]: In Kuba kostet es gar nichts!)
Es ist total unfair und nicht gerecht, dass gerade Gutverdienende, die meistens keine Vorerkrankungen und ein besseres Versichertenprofil haben, sich aus diesem System ausklinken können.
Aber Sie müssen meine Auffassung von Gerechtigkeit gar nicht teilen. Ich will noch mal argumentieren, warum es auch eine Frage von Fairness ist. Es ist nicht fair, dass wir diejenigen, die unter einem bestimmten Schwellenwert verdienen, in der GKV versichert sind und proportional zu ihrem Einkommen belastet werden, mehr belasten als diejenigen, die ein paar Euro mehr verdienen, sich privat versichern lassen und viel weniger zahlen müssen.
Der wichtigste Punkt in Bezug auf Fairness ist, festzuhalten, dass die Mär von einer Querfinanzierung, die angeblich von der PKV kommt, einfach nicht stimmt. Egal wie oft Sie das hier sagen: Es ist nicht richtig!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Carsten Brodesser [CDU/CSU]: Dann unterhalten Sie sich mal mit niedergelassenen Ärzten! – Gegenruf des Abg. Axel Müller [CDU/CSU]: Die sind froh darüber!)
Deswegen möchte ich Ihnen in drei Punkten erläutern, warum das nicht stimmt.
(Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Ja, ich lasse die Frage tatsächlich zu, weil ich die Redezeit gerne hätte. Frau Präsidentin, darf ich?
Sie haben schon Ihr Okay gegeben. Dann darf Herr Gottschalk jetzt gerne die Frage stellen.
(Armand Zorn [SPD]: Och nee! Da kann nichts Gutes kommen!)
Vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage, Frau Kollegin. – Sie verbreiten hier das Märchen, man würde in der gesetzlichen Krankenkasse mehr zahlen. Sie wissen doch, dass in der GKV alle Mitglieder einer Familie, auch wenn der Mann oder die Frau nicht arbeitet und es beispielsweise drei Kinder gibt, über das arbeitende Mitglied versichert sind.
(Johannes Schraps [SPD]: Manche können es sich nicht aussuchen! Sie schon!)
Sie wissen, glaube ich, auch: Wenn man in der PKV versichert ist, zahlt man pro Kopf; das heißt der Mann, die Frau, die Kinder werden entsprechend versichert. Insofern müssten Sie doch einräumen, dass es nicht stimmt, dass die gesetzliche Krankenversicherung teurer wäre.
Und Sie nehmen doch auch zur Kenntnis, dass Sie jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag in dieses System pumpen müssen, während in die PKV nichts hineinfließt. Das ist Ihnen bekannt, hoffe ich.
(Zuruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Jetzt haben Sie die Familienversicherung in der GKV angesprochen. Ich weiß, dass die PKV dieses Beispiel gerne als Argument vorbringt. Ich nehme jetzt mal die gutverdienende Familie mit fünf Kindern. Warum soll diese Familie über eine Familienversicherung in der PKV entlastet werden? Ehrlich gesagt, finden wir es gut, dass es einen Familientarif in der GKV gibt, sodass Kinder und auch Ehepartner – ob Ehepartner, darüber kann man streiten – darüber mitversichert werden können. Denn es ist unsere Aufgabe, zu ermöglichen, Kinder mitzuversichern, um ihnen eine gute Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen.
(Beifall des Abg. Johannes Schraps [SPD])
Aber die Zahlen sprechen einfach gegen Sie. Drei Beispiele, warum diese Mär von der Querfinanzierung nicht funktioniert:
Erstens: versicherungsfremde Leistungen. Ich hoffe, zumindest den Gesundheitspolitikerinnen und -politikern bei Ihnen sagt das was. Das sind Leistungen für Menschen, die zwar in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, was aber eigentlich aus dem Steuertopf querfinanziert werden müsste. Dafür wird ein pauschaler Betrag fällig; das sind im Durchschnitt ungefähr 200 Euro im Monat. Davon wird aber nur die Hälfte übernommen. Wer trägt also die restlichen Kosten? Das verteilt sich im GKV-System, das heißt, die gesetzlich Versicherten tragen diese insgesamt 9 Milliarden Euro und nicht die Versicherten, die in der PKV versichert sind und eigentlich ein höheres Einkommen haben.
Zweitens: PKV-Versicherte, die im Alter hohe Beiträge zahlen müssen. Wir haben die Beispiele gehört; es ist teilweise herzzerreißend, was das für die Leute existenziell bedeutet. Gleichzeitig ist es so – darüber spricht komischerweise niemand –, dass die PKV-Versicherten, die Sozialhilfe bekommen – ja, die gibt es auch –, dafür mehr Zuschüsse erhalten. Das heißt, die PKV bekommt auch da mehr als die gesetzliche Krankenversicherung, wenn sie diese Menschen versichert, die von Sozialhilfe im Alter abhängig sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Linken – Zuruf des Abg. Johannes Schraps [SPD])
Und da frage ich mich: Ist es gerecht, wenn in das private System mehr Geld reinfließt, während die Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten zur Querfinanzierung beiträgt?
(Maximilian Mordhorst [FDP]: Das stimmt nicht!)
Es ist einfach nicht richtig, wenn Sie behaupten, dass es diese Quersubventionierung aus der PKV in Richtung der GKV gibt.
(Axel Müller [CDU/CSU]: 10 Prozent der Versicherten zahlen 25 Prozent Umsatz!)
Ich weiß, dass die Gesundheitsversorgenden vor einem Punkt Angst haben: Wenn wir davon reden, dass wir eine Versicherung bzw. ein Versicherungssystem brauchen – das wird ja auch immer durcheinandergewürfelt –, dann bedeutet das, dass man sich irgendwo hinsichtlich der Vergütungshonorare treffen muss. Dafür braucht es eine Lösung. Aber es ist nicht so, dass die PKV dieses System quersubventioniert, sondern sie drückt sich um viele systemische Kosten.
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Damit bin ich beim dritten Punkt. Ich kann Ihnen viele Einzelbeispiele nennen, warum das Argument von der Quersubventionierung nicht zutrifft.
Kommen Sie doch mal zum Ende Ihrer Rede.
Gut. Wir machen einen Deal: Ich nehme das wieder in die eigentliche Redezeit.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zehn Minuten Redezeit!)
Trotzdem noch der dritte Punkt, warum diese Querfinanzierung so nicht funktioniert: die systemischen Kosten im Gesundheitsbereich.
(Kay Gottschalk [AfD]: Ich würde jetzt gerne antworten!)
Nehmen wir die Beispiele „Organspende“, „Pflegebonus“, über den wir uns unterhalten haben, oder „Transformationsfonds“, den wir gerade in der Krankenhausreform verhandeln.
(Axel Müller [CDU/CSU]: Sie haben die Frage nicht beantwortet!)
Es wäre nett, wenn sich da auch die PKV beteiligen würde; denn die Privatversicherten nutzen unsere Krankenhäuser ja auch. Da sagt die PKV aber nicht: „Na klar, deswegen zahlen wir da anteilig mit“,
(Axel Müller [CDU/CSU]: Nein, Ihr Minister hat es vergessen! Er hat es vergessen im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz! So war es!)
sondern wir mussten uns im Rahmen der Krankenhausreform relativ viel einfallen lassen, wie wir auch die Privatversicherten beteiligen; denn sie machen das eben nicht freiwillig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genau das ist das Problem, Herr Kollege und auch liebe Kolleginnen und Kollegen der Union: dass diese systemischen Kosten von der PKV nicht übernommen werden, sondern die GKV-Versicherten sie immer klammheimlich übernehmen sollen.
(Axel Müller [CDU/CSU]: Quatsch!)
Dazu gab es in der Vergangenheit Beispiele, dazu wird es auch zukünftig immer wieder Beispiele geben.
Dann ergibt sich nämlich die Logik, dass man sagt: Wenn die PKV auch diese Kosten angemessen übernehmen würde, dann würde das zu Beitragssteigerungen führen. Die Lösung der Union ist eine rein psychologische: Wir wollen nicht, dass die Kosten auf einmal steigen, sondern wir splitten das auf ganz viele kleine Beitragssteigerungen. Dann merken die Versicherten das weniger. – Das ist doch nicht die Lösung.
(Jörn König [AfD]: Das machen Sie bei Steuern auch immer so!)
Das führt dazu, dass diese Kollateralschäden, nämlich dass Menschen im Alter ihre Beiträge nicht zahlen können, bestehen bleiben.
Es ist schwer vermittelbar, dass jemand im Erwerbsleben vielleicht wenig Beiträge gezahlt hat, aber im Alter, wenn man die eigene Erwerbssituation meistens nicht mehr gut beeinflussen kann, sich aber etwas angespart oder eine Altersversicherung hat und vielleicht 1 500 bis 2 000 Euro im Monat zur Verfügung hat, trotzdem fast 1 000 Euro an Krankenversicherungsbeiträgen fällig werden. Das passiert in der GKV nicht.
(Maximilian Mordhorst [FDP]: Die zahlen in der Gesetzlichen 1 000 im Monat!)
Da werden diese Leute dann für einen sehr viel geringeren Beitrag versichert. Und sie haben vor allem eine Kontrolle über die Beiträge; denn sie berechnen sich prozentual am wirklichen Einkommen, sind nicht aus der Luft gegriffen und steigen nicht immer weiter, ohne dass man das beeinflussen kann.
Insofern liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Wenn Sie wirklich wollen, dass wir alle diese Briefe nicht mehr bekommen, in denen uns Menschen fragen: „Ist es so gewollt, dass ich jetzt nach einem Erwerbsleben mein Haus verkaufen muss, um meine Krankenversicherung zu bezahlen?“,
(Johannes Schraps [SPD]: Genau!)
dann machen Sie sich bitte mit uns auf, über diese systemischen Fragen zu reden,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)
statt durch solche Anträge so zu tun, als würden Sie für die Versicherten irgendwas verändern; denn im Grunde ändern Sie nichts.
Ein letzter Punkt; denn auch das ist immer wieder Thema. Es gibt aktuell viele Möglichkeiten für Privatversicherte, sich im Ausland kurzzeitig sozialversicherungspflichtig anstellen zu lassen. Da gibt es viele Tricks. Ich will gar nicht ins Detail gehen; es sollte auch keiner nachmachen. Die Leute lassen sich im Alter dann wieder in der Gesetzlichen versichern – im Alter, wenn sie wirklich krank sind und wenn wirklich für sie bezahlt werden muss. Dann soll das Ganze wieder die GKV übernehmen? Das ist einfach nicht fair, es ist ungerecht.
Es gibt so viele Beispiele, an denen deutlich wird, dass dieses System nicht in Ordnung ist, und die zeigen, dass wir es ändern müssen. Das heißt: Wenn Sie wirklich etwas ändern wollen, dann sind auch wir bereit, das zu tun. Ein paar Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion fordern mittlerweile auch so etwas wie eine Bürgerversicherung. Ich sage Ihnen: Wenn Sie wirklich Interesse daran haben, dass wir ein solidarisches Versicherungssystem in diesem Land bekommen, dann sind wir an Ihrer Seite bzw. dürfen Sie gern an unserer stehen. Aber solange Sie das nicht wirklich wollen, –
Frau Kollegin Rudolph, bei aller Geschwindigkeit, kommen Sie zum Schluss.
– stellen Sie bitte nicht solche Anträge.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Philipp Hartewig [FDP])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 192 |
Tagesordnungspunkt | Reformen in der Privaten Krankenversicherung |