Alexander DobrindtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Klingbeil,
(Stephan Brandner [AfD]: Genosse Klingbeil!)
Sie haben hier wörtlich gesagt: „Wir brauchen einen realistischen Blick auf dieses Land.“ Ich will Ihnen gern ein Zitat aus einem heutigen Artikel aus der „FAZ“ vorlesen. Der Schreiber – Sigmar Gabriel, einer Ihrer Vorgänger – schreibt wörtlich:
„Zum Standardzitate-Schatz in der SPD gehört das folgende Diktum Kurt Schumachers …: ‚Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.ʼ Am vergangenen Wochenende konnten wir beobachten, dass Parteien – im vorliegenden Fall die SPD – entgegen diesem Rat lieber in selbst geschaffenen ‚Wirklichkeitenʼ leben.“
Das ist die Realität der SPD.
(Beifall bei der CDU/CSU)
„Selbst geschaffene Wirklichkeiten“ nennt es Sigmar Gabriel. Das klingt ja schon nach alternativen Fakten, die er Ihnen da vorwirft. Sie schaffen sich in Deutschland Ihre eigenen Wirklichkeiten, alternative Fakten. Ich kann Ihnen nur sagen: Deutschland hat die rote Laterne in der Wirtschaft, und sie hat die Ampel in der Regierung. Und da gibt es einen Zusammenhang, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
Deutschland steckt als einziges Industrieland in der Rezession. Für 2025 prognostizierte der Internationale Währungsfonds, dass Deutschland das geringste Wachstum innerhalb der Europäischen Union haben wird. Herr Bundeskanzler, Sie haben darauf hingewiesen, wir seien Mittelmaß in Europa. Aber, meine Damen und Herren, für Europa reicht es schlichtweg nicht aus,
(Zuruf des Abg. Johannes Schraps [SPD])
dass es ein sozialdemokratisches Mittelmaß in Deutschland gibt. Wenn Europa spitze sein will, dann muss Deutschland in der Wirtschaftspolitik spitze sein und nicht Mittelmaß.
(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Schraps [SPD]: So spitze, wie wir in der Verkehrspolitik waren mit Ihnen!)
Herr Bundeskanzler, Sie haben in dieser Woche einen Brief von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Vorfeld zum Europäischen Rat bekommen. Wir hätten eigentlich von Ihnen erwartet, dass Sie zum Inhalt dieses Briefes heute Stellung nehmen. Die Kommissionspräsidentin spricht in diesem Brief darüber, dass es bei den Migrationsfragen in der Zusammenarbeit mit Drittstaaten innovative Lösungen braucht. Sie spricht davon, dass Rückkehrzentren außerhalb der EU gefunden werden sollen. Gerade heute ist der Tag, wo Italien zum ersten Mal Migranten in eine Drittstaatenlösung überführt, nämlich im dafür geschaffenen Flüchtlingscamp in Albanien. Deswegen hätte ich erwartet, dass Sie heute Stellung dazu beziehen, ob Sie den Drittstaatenlösungen in Europa endlich Ihre Zustimmung geben oder ob Sie bei der Frage der Drittstaatenlösungen in Europa weiter blockieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Im Vorfeld dieses Europäischen Rats hat aber ein anderer Regierungschef die Agenda gesetzt – leider nicht Sie –:
(Johannes Schraps [SPD]: Wahrscheinlich Viktor Orbán, Ihr Freund!)
Donald Tusk. Donald Tusk ist beileibe kein Rechtspopulist, er ist durch und durch ein Europäer. Herr Bundeskanzler, Sie haben vor wenigen Monaten hier gesagt, Donald Tusk werde Polen zurück ins Herz der Europäischen Union führen. Jetzt ist es genau dieser Donald Tusk, der Maßnahmen in Betracht zieht, die das Asylsystem deutlich verändern werden. Er hat nämlich klargemacht, dass er das Asylrecht an seinen Außengrenzen außer Kraft setzen will.
(Stephan Brandner [AfD]: Oha!)
Polen sieht sich einer hybriden Bedrohung durch Belarus und durch Russland gegenüber, die illegale Migranten als Waffen einsetzen. Ganz Polen, ja, die ganze Europäische Union soll damit destabilisiert werden. Gerade jetzt wäre es doch dringend notwendig, dass aus Deutschland heraus klare Unterstützungssignale kommen, um eine entschlossene Antwort auf diese hybride Bedrohung in der EU zu geben. Aber diese entschlossene Antwort sind Sie heute schuldig geblieben, Herr Bundeskanzler.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Stattdessen zeigen Sie der europäischen Öffentlichkeit, dass nicht mal mehr Minimallösungen in Ihrer Ampel unstrittig sind. Ihr sogenanntes Sicherheitspaket bleibt weit hinter den eigenen Ankündigungen zurück.
(Stephan Brandner [AfD]: Werden Sicherheitsluftpostbriefe!)
Ich darf mal erinnern: Sie haben nach den Anschlägen, nach dem Terror in Solingen versprochen, dass Sie mit aller Härte gegen die islamistische Bedrohung ankämpfen wollen. Ihr Koalitionspartner, die FDP, hatte große Leistungskürzungen versprochen. Für alle ausreisepflichtigen Asylbewerber sollte es nur noch „Bett-Seife-Brot“ geben; das waren Ihre Worte, Herr Dürr.
(Stephan Brandner [AfD]: Ein bisschen Wasser aber auch noch!)
Die allermeisten Fälle, für die Deutschland überhaupt nicht zuständig ist, bekommen auch nach Ihrem sogenannten Sicherheitsgesetz weiterhin volle Leistungen.
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)
Auch hier sind Sie Ihren Ankündigungen nicht nachgekommen, Herr Dürr.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Herr Dobrindt, das ist ja Quatsch! Die Dublin-Fälle werden ja genau mit diesem Gesetz abgedeckt! Sie müssen schon den Text lesen!)
Den biometrischen Datenabgleich haben Sie zusammengeschrumpft auf ausschließlich besonders schwere Straftaten. Wen wollen Sie damit eigentlich schützen? Herr Bundeskanzler, die ganze Härte, die Sie versprochen haben, haben Sie auch hier nicht gezeigt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Das ist wie bei Corona!)
Und jetzt müssen wir feststellen, dass offensichtlich Teile Ihrer eigenen Fraktion Ihnen hier die Unterstützung versagen.
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Blödsinn! – Nezahat Baradari [SPD]: Solche Narrative zu verbreiten! – Gegenruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]: Hallo? – Weiterer Gegenruf der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU]: Der Reflex zeigt es doch gerade!)
– Das ist interessant, dass Sie sich so darüber echauffieren. – Anders als Sie den Medien berichten – zugeschriebenermaßen –, hat Ihr Generalsekretär heute früh gesagt, Sie hätten gar nicht mit der Vertrauensfrage gedroht, Herr Bundeskanzler.
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: So war es! Exakt!)
Vielleicht hat Ihr Generalsekretär ja auch recht; denn Ihre Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag wäre beileibe keine Drohung. Es wäre eine Erlösung für dieses Land, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Für ganz Deutschland! – Christian Petry [SPD]: War schon origineller! – Gegenruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]: Aber nicht bei euch!)
Aber merken Sie eigentlich nicht, dass Sie die Polarisierung in der Gesellschaft immer weiter treiben, dass Sie der Polarisierung in der Gesellschaft immer weiter Nahrung geben, wenn Sie mit Ihren Ankündigungen und den Ergebnissen so weit hinter diesen Ankündigungen zurückbleiben? Merken Sie es einfach nicht, wenn Sie im großen Stil Abschiebungen ankündigen und stattdessen Pflichtverteidiger für Abschiebungen einführen; wenn Sie Abschiebungen nach Afghanistan ankündigen, aber genau einen Flug vor einer Landtagswahl durchführen; wenn Sie die Prüfung eines Drittstaatenmodells ankündigen und dann ein Jahr lang nichts unternehmen? Wir warten bis heute auf die Ergebnisse.
Hören Sie auf, Ihre eigene Welt zu schaffen! Hören Sie auf, Ihre Welt der Ausreden zu schaffen! Es braucht jetzt einfach die Zurückweisungen an den Grenzen. Es braucht die Absenkung der Leistungen. Es braucht das Drittstaatenmodell außerhalb Europas. Es braucht schlichtweg den Stopp der illegalen Migration. Dafür haben Sie die Verantwortung. Hören Sie auf, in Europa zu blockieren! Seien Sie endlich konstruktiv an dieser Stelle!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich vermute, dass Sie auch deswegen nicht darüber gesprochen haben, dass das Asylthema und die Migrationspolitik das Hauptthema im Europäischen Rat sind, weil diese Sprachlosigkeit innerhalb der Ampel Ihnen offensichtlich die Möglichkeiten verwehrt, eine klare Position in Europa einzunehmen. Die meisten unserer europäischen Partner haben sich im Vorfeld dieses Rates geäußert: Finnland hat Zurückweisungen an den Grenzen vorgenommen. Polen hat angekündigt, das Asylrecht auszusetzen. Italien hat diese Woche begonnen, Asylverfahren in Albanien durchzuführen. Dänemark hat die illegale Migration durch konsequente Maßnahmen bereits fast auf null reduziert. Schweden hat dank niedriger Sozialleistungen die Asylanträge Richtung null gebracht. Frankreich hat jetzt angekündigt, mit einem scharfen Einwanderungsgesetz, das bis zu 210 Tage Abschiebehaft vorsieht, die Migration deutlich einzudämmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt Ihnen das eigentlich nicht zu denken, wenn unsere Nachbarn rund um uns herum spürbare Veränderungen, grundlegende Verschärfungen im Asylsystem vornehmen, obwohl Deutschland heute die Hauptlast dieses europäischen Asylsystems trägt? Es muss Ihnen zu denken geben. Und wenn wir in Europa das Asylsystem wieder vom Kopf auf die Füße stellen wollen, dann braucht es in Deutschland jetzt auch Bewegung. Es ist Ihre Aufgabe, Herr Bundeskanzler, dafür zu sorgen, dass wir in Europa an dieser Stelle Entscheidungen treffen, dass die Blockade endlich aufhört und dass wir als Deutschland nicht ständig sprachlos sind, weil Sie Ihre Koalition nicht unter Kontrolle kriegen. Wenn es die Grünen sind, die blockieren, dann formulieren Sie das deutlich! Aber nehmen Sie in Europa endlich eine Haltung zum Asylsystem ein!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als Nächste hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Chantal Kopf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616756 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |