Carolin WagnerSPD - Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Lieber Thomas Jarzombek, bei welchen Büchern im Regal ich so an dich denke, das zu sagen, erspare ich uns jetzt lieber mal.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Nur so viel: Sie stehen nicht im Regal für Hochliteratur. Aber gut.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist im parlamentarischen Verfahren angekommen – wie schön! Der Prozess war langwierig; die Aufgabe ist aber schnell beschrieben. Der akademische Betrieb wird in Deutschland davon bestimmt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sogar noch nach Abschluss ihrer Promotion in einer unerträglich langen Zeit der Unsicherheit ohne verlässliche Perspektiven verharren müssen. Das ist für die Betroffenen ein Problem. Sie befinden sich ohnehin in der Rushhour ihres Lebens: Viele wollen in dieser Phase eine Familie gründen, und man will dann auch einfach mal wissen, wo es hingeht mit der Karriere.
Ich erlaube mir da schon den Hinweis: Nach zehn Semestern Studium mit bestem Abschluss und nach vier bis sechs Jahren Promotion mit bestem Abschluss sollte man eine solche Perspektive auch erwarten dürfen – auch in der Wissenschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese lange Phase der Unsicherheit ist aber mittlerweile auch ein Problem für den Wissenschaftsstandort Deutschland. Wir haben das beim Wissenschaftsbarometer im Frühjahr oder bei der DAAD-Studie im letzten Herbst gesehen: Junge Forscherinnen und Forscher wenden sich ab vom Wissenschaftssystem in Deutschland. Sie kommen gar nicht erst her oder gehen ins Ausland, wo schon feste Stellen nach der Promotion warten. Wir brauchen attraktive Arbeitsbedingungen, um die klügsten Köpfe an uns zu binden und sie nicht später durch Rückholaktionen kostspielig zurückzuberufen.
Der Gesetzentwurf enthält sehr kluge und wertvolle Regelungen, die die Ministerin schon vorgestellt hat: Mindestvertragslaufzeiten, Zugang zum Nachteilsausgleich auch für Drittmittelbeschäftigte, um eben befristete Arbeitsverträge zu verlängern, wenn etwa ein Kind zur Welt kommt. Das sind deutliche und konkrete Verbesserungen.
Das schafft aber noch keine neue Balance in der Postdoc-Phase; deswegen konnten wir dem Entwurf bislang nicht zustimmen.
(Stephan Albani [CDU/CSU]: Ach deswegen! – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Ist das jetzt anders? – Gegenruf des Abg. Stephan Albani [CDU/CSU]: Bestimmt!)
Wir wollen einen wirksamen Schutz der Beschäftigten, auch in der Postdoc-Phase. Wir wollen mehr Mitspracherechte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Wissenschaft.
In Deutschland ist die Tarifautonomie der absolute Regelfall. Gärtnerinnen, Krankenpfleger, Bodenseeschiffer: Der Tarifvertrag der Länder bringt das alles unter einen Hut. Für die Wissenschaft hingegen gilt seit vielen Jahren eine Tarifsperre. Meiner Ansicht nach sehen die akademischen Arbeitgeberverbände Gewerkschaften als Schreckgespenster, und man kreiert sogar Erzählungen, nach denen es zu einer Zersplitterung des Wissenschaftssystems käme. Als wenn das das Ziel der Gewerkschaften wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Da ist viel Ideologie im Spiel. Unsere Wissenschaftslandschaft ist aber nicht ideologisch, sondern international hoch angesehen. Wir betreiben Spitzenforschung in Deutschland. Die Menschen, die tagtäglich dafür arbeiten, müssen aber auch würdige und angemessene Arbeitsverträge bekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sollten anerkennen, wenn uns als Politik irgendwo Werkzeuge fehlen, um Dinge zu verbessern. Für die Details des beruflichen Alltags, für die speziellen Regelungen einzelner Berufsgruppen reicht unser Instrumentarium nicht aus. Wir haben alles Mögliche diskutiert, sind raus aus der Montagehalle, wieder rein.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich finde, wir sollten uns hier als Staat zurücknehmen und denen das Zepter in die Hand geben, die es in allen anderen Arbeitsbereichen auch vorbildlich und erprobt durchführen: den Tarifpartnern. Wir sollten ihnen die Freiheit geben, Lösungen aus den Herausforderungen vor Ort zu entwickeln, und darum geht es am Ende, werte FDP: um Freiheit, um eine Liberalisierung. Und das müsste Ihnen eigentlich gefallen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das Wissenschaftszeitvertragsgesetz mutig und freiheitlich angehen! Wir sind bereit für echte Verhandlungen. Unsere Vorschläge liegen seit Mai auf dem Tisch. Sie stellen eine wirkliche Liberalisierung dar; sie sind an vielen Stellen ein Entgegenkommen an die Koalition und bringen spürbare Verbesserungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die SPD hat den Mut und den Respekt vor den Menschen in der Wissenschaft, um dieses Gesetz ernsthaft zu novellieren. An uns soll es nicht scheitern.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Albani [CDU/CSU]: Jetzt verschont uns mit euren Problemen! Löst sie!)
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Kaufmann, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616923 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft |