Sebastian SchäferDIE GRÜNEN - Steuerreform f. Familien, Mittelstand u. Unternehmen
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der selbst proklamierten Alternative für Deutschland
(Dr. Götz Frömming [AfD]: So heißen wir!)
hat einen grundlegenden Antrag zur Steuerpolitik vorgelegt. Wahrscheinlich muss ich präzisieren: Der westdeutsche libertäre Restteil der Alternative für Deutschland hat diesen Antrag vorgelegt, vielleicht die letzten Zuckungen dieser alten AfD.
(Jörn König [AfD]: Ich bin in Ostberlin geboren, Herr Schäfer!)
Die Höcke-AfD sieht sich ja eher sozialistisch-national; da passt dieser Antrag nicht so richtig dazu.
Wahlprogramm 2021, Konzept 2011 – Kollege Tebroke hat dazu ausgeführt –: Alter Wein kann ja gut schmecken, aber Ihre heiße Luft reicht noch nicht mal, um das Gebäude hier zu heizen.
Mit diesem Antrag will die Alternative für Deutschland die Progression, die unser Einkommensteuersystem prägt, also die Tatsache, dass Menschen, die mehr verdienen, auf den höheren Einkommensanteil auch einen höheren Steueranteil bezahlen, größtenteils abschaffen. Wir müssen fragen: Wem nützt das? Ein Alleinverdiener, eine Alleinverdienerin verdient im deutschen Durchschnitt etwas über 45 000 Euro pro Jahr. Dafür fällt heute Einkommensteuer in Höhe von etwas über 9 000 Euro an. Ich gehe hier von einem Single aus. Ein Einkommensmillionär, Single, zahlt heute inklusive Solidaritätszuschlag gut 450 000 Euro Steuern. Wenn es nach Ihnen geht, dann soll der Durchschnittsverdiener künftig 7 000 Euro Steuern zahlen, 6 500 Euro vielleicht. Zugegeben, das ist eine spürbare Entlastung: 2 500 Euro weniger Steuern. Der Einkommensmillionär soll aber um sage und schreibe 238 000 Euro entlastet werden und nur noch etwas über 200 000 Euro an Steuern abführen.
(Michael Schrodi [SPD]: Hört! Hört!])
Der Einkommensmillionär soll also etwa hundertmal so stark entlastet werden wie der Durchschnittsverdiener.
(Anja Liebert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sieht man ja mal, um wen sie sich kümmern!)
Die Alternative für Deutschland will wohl die Alternative für Einkommensmillionäre werden. Aber nach dem, was ich so aus den Unternehmen höre, wird da vor allem die Gefahr gesehen, die für unseren Wirtschaftsstandort von Ihrer Partei der nationalen Abschottung ausgeht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Der Antrag der Alternative für Deutschland macht auch eine Aussage zu den Folgen für unseren Staatshaushalt. Da wird lapidar festgestellt:
„Es ist zunächst mit kurzfristigen Steuermindereinnahmen zu rechnen, …“
Wie das mit Ihren Forderungen zu vereinbaren ist, unter allen Umständen an der Schuldenbremse festzuhalten, das bleibt Ihr Geheimnis,
(Jörn König [AfD]: Hören Sie mal zu! Ich habe das gesagt!)
und die Folgen für die Haushalte von Kommunen und Ländern werden genauso wenig beschrieben. Stattdessen sollen bis 2030 dann auch noch die Grundsteuer und die Erbschaft- und Schenkungsteuer entfallen. Über die Verteilungswirkungen solcher Vorschläge brauchen wir hier nicht weiter zu sprechen; sie sind verheerend.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Anja Liebert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen die Kommunen im Stich!)
Also verlassen wir Ihre Steuerfiktionen und Ihre Phantasmagorien vom Umbau dieser Gesellschaft, und wenden wir uns der Realität in unserem Land zu. Da lohnt die Debatte ungleich mehr.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Schlimm genug!)
Wir befinden uns in einer Phase einer massiven wirtschaftlichen Unsicherheit. Deshalb unterbleiben unternehmerische Investitionen, deshalb halten sich die privaten Haushalte beim Konsum wie bei den Investitionen zurück. Die Wachstumsprognosen mussten mehrfach nach unten korrigiert werden. Unternehmen kämpfen mit steigenden Produktionskosten, und Arbeitnehmer leiden unter einem realen Kaufkraftverlust. Am aktuellen Rand wird das gerade wieder besser.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Lösung?)
Der Kern des Problems liegt dennoch nicht primär bei der Steuerbelastung, sondern in den strukturellen Problemen. Wir haben die Zeit der Friedensdividende, der demografischen Dividende und der Globalisierungsdividende leider nicht genutzt, um unser Land zukunftsfähig aufzustellen. Wir brauchen keine pauschale Senkung der Steuersätze, sondern ein gezieltes Entlastungsprogramm, das insbesondere die unteren und mittleren Einkommen stärker berücksichtigt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Maßnahmen wie die Erhöhung von Freibeträgen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Familien, die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung sowie gezielte Entlastungen gerade für kleinere und mittlere Unternehmen können den wirtschaftlichen Aufschwung, den wir dringend brauchen, tatsächlich fördern.
Aber wir können das Problem der Ungleichzeitigkeit nicht auflösen. Steueranreize, die gerade jetzt, in der wirtschaftlichen Krise, wichtig sind, führen zu Steuermindereinnahmen. Das Wachstum, das aus diesen Anreizen folgt, kommt erst später. Und im Gegensatz zur AfD müssen wir in der Koalition ja tatsächlich einen Haushalt aufstellen, und wir müssen das innerhalb der Regeln unserer Verfassung tun. Das Verfassungsgericht hat sie im vergangenen Jahr konkretisiert.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Es fällt Ihnen ja schwer!)
Und ich glaube, weil diese Krise strukturell ist, brauchen wir eine Modernisierung unserer Verschuldungsregeln.
Ich darf abschließend aus der grünen Hauspostille, der Tageszeitung „Die Welt“,
(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Kai Wegner zitieren:
„Wir müssen verantwortungsvoll mit dem Geld der Steuerzahler umgehen. Das steht außer Frage. Wahr ist aber auch, dass wir seit Jahrzehnten viel zu wenig in unser Land investieren. … Wir müssen diese Zukunftsinvestitionen jetzt tätigen, Je länger wir warten, desto teurer wird es für nachfolgende Generationen.“
(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
„Deshalb bin ich der Ansicht, dass wir die Schuldenbremse für investive Ausgaben reformieren müssen.“
Kai Wegner hat recht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Nächster Redner ist der Kollege Markus Herbrand, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7616958 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Steuerreform f. Familien, Mittelstand u. Unternehmen |