Yvonne Magwas - Krankenhausversorgung in Deutschland
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag! Sie entscheiden heute über das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz. Das ist eine wirklich euphemistische Umschreibung – leider eines politischen Blindfluges.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Das war ja klar! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh, liebe Ampel!)
Wir alle wissen, wir haben enorme Herausforderungen in unserem Gesundheitssystem, und wir sind uns darüber einig, dass es eine Reform der Krankenhausvergütung braucht. Es geht um viel: Es geht um Geld, um Strukturen, um Arbeitsplätze, um Versorgungsqualität. Keine Frage! Aber es geht hier vor allem um Menschen. Es geht um junge Eltern, die eine Geburtsstation für die Geburt des Kindes brauchen.
(Saskia Esken [SPD]: Ja!)
Es geht um das junge Mädchen, das eine Blinddarmentzündung hat,
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Anscheinend haben Sie das Gesetz nicht gelesen! Genau das stärken wir ja gerade!)
um den Vater, der einen Herzinfarkt hat, die Oma, die die Treppenstufen heruntergestürzt ist.
(Zuruf der Abg. Nezahat Baradari [SPD])
Es geht um Menschen. Es geht um Menschen, die richtig versorgt werden müssen, und die brauchen, je nachdem, entweder eine Spezialklinik oder ein Krankenhaus der Grundversorgung, und Letzteres in ihrer Nähe.
(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so! Und deshalb machen wir diese Reform!)
Das müssen wir sicherstellen, und das sind wir den Menschen auch schuldig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Um das bei so einer weitreichenden Reform zu gewährleisten, muss diese Reform auch Antworten auf die akuten Probleme der Krankenhäuser liefern. Das tut diese Reform nicht, Herr Bundesminister Lauterbach.
Liebe Frau Gerlach, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Professor Ullmann aus der FDP?
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ach, Andrew! Jetzt kommen bestimmt wieder die Investitionskosten!)
Natürlich.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Wir sind ja Unterfranken. Das passt ja ganz gut. Ich freue mich, dass Sie die Frage zulassen.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Nobody is perfect!)
Sie sagten gerade, Sie wollten eine Reform der Vergütung. Heißt das, dass die Bayerische Staatsregierung keine Reform der Qualitätsvorgaben in den bayerischen Krankenhäusern möchte?
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank für die Frage und damit auch für eine Verlängerung meiner Redezeit. – Natürlich geht es auch um Strukturen; aber da haben sich viele Krankenhäuser längst auf den Weg gemacht.
(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Genau so ist es!)
Das Problem, das wir haben – und das haben wir vor allem in Bayern, aber nicht nur –, ist, dass wir gerade einen kalten Strukturwandel haben.
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Deswegen brauchen wir ja die Reform!)
Sie als Bund sind für die Betriebskosten zuständig, und Sie lassen die Krankenhäuser hängen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Lieber Herr Ullmann, weil Sie gerade angesprochen haben, dass Sie aus Bayern, auch aus Unterfranken sind: Seltsamerweise finde ich Sie dort nirgendwo, in keiner Besprechung, wenn ich vor Mitarbeitenden stehe, weil ihr Krankenhaus geschlossen hat, die darüber diskutieren und dagegen demonstrieren. Da stehe ich, nicht Sie.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich muss mit Rettungsdienstlern sprechen, die sich fragen, ob die Notfallversorgung überhaupt noch aufrechterhalten werden kann oder nicht.
(Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Oh!)
Ich würde mir einfach wünschen, dass ich Sie auch dort mal persönlich sehe und nicht nur hier im großen Saal, wenn darüber gesprochen wird, was theoretisch zu tun ist.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, oh, oh! Wahnsinn! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sehr billig! Sie senken das Niveau! – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Von Qualität hat sie nichts gesagt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Frage nicht beantwortet!)
Ich komme wieder zu dem Entwurf. Der jetzt vorliegende Entwurf wird – davon bin ich überzeugt, weil sich da schon einiges abgezeichnet hat – zu inakzeptablen Verwerfungen bei der Krankenhausversorgung führen, und zwar nicht nur in Bayern. Zentrale Forderungen der Bundesländer wurden bis zum heutigen Tag eben nicht aufgegriffen,
(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Die zentrale Forderung war Geld!)
und das, obwohl Sie, Herr Bundesminister Lauterbach, angekündigt hatten, wenn sich die Länder auf gemeinsame Positionen zum damaligen Arbeitsentwurf des KHVVG einigen würden, würden diese Vorschläge im Kabinettsentwurf berücksichtigt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Länder haben daraufhin binnen kürzester Frist eine geeinigte 16 : 0-Position erarbeitet
(Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Wunschliste erarbeitet! Eine Wunschliste!)
und dem Bundesgesundheitsministerium übersandt. Ergebnis war: Der Kabinettsentwurf blieb völlig unverändert; die Länderforderungen fanden keinerlei Niederschlag.
(Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Änderungsanträge bringen wir heute ein! 50 Änderungsanträge! Über 100 Seiten!)
Sie sprechen allerorts von guten, konstruktiven Gesprächen mit den Ländern. Mit wem haben Sie die eigentlich geführt?
(Beifall bei der CDU/CSU – Tino Sorge [CDU/CSU]: Der hat wahrscheinlich in seinen Spiegel geschaut!)
Spätestens als die von Ihnen versprochene Zustimmungspflicht des Bundesrats zum KHVVG fiel, war Ihre Agenda doch klar: Sie wollen einfach keine Mitbestimmung der Bundesländer.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: So sieht es aus! – Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollten nicht mitmachen!)
Bei der Forderung nach mehr Gestaltungsfreiheit für die Länder
(Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollten mehr Geld! Bayern wollte nicht mitmachen! Die Unehrlichkeit hat die Kliniken in die Lage gebracht, in der sie heute stehen!)
geht es nicht darum, notwendige Strukturanpassungen zu vermeiden oder gar Abstriche von der Versorgungsqualität zu machen – im Gegenteil: Es geht um Ausnahmemöglichkeiten von den bundesweiten Vorgaben, wenn das unter Versorgungsaspekten notwendig ist, gerade für die ländlichen Räume. Und das wissen wir doch vor Ort am besten. Es geht um die Zulässigkeit von Kooperationen, damit die Qualitätsvorgaben im Zusammenwirken der Kliniken in der Region erfüllt werden können, und es geht um die Sicherung der spezialisierten Fachkliniken, die für die Versorgung sehr, sehr wichtig sind. Ein hochkomplexes System mit vielfältigen Vorgaben kann nicht funktionieren, wenn es kein ausgleichendes Korrektiv gibt, das Verwerfungen im Einzelfall vermeidet.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich erkenne durchaus an – und das will ich auch sagen –, dass die Ampelkoalition gegenüber dem Kabinettsbeschluss im Gesetzentwurf einige Forderungen der Länder aufgenommen hat. Zum Beispiel sind Sie der Anregung aus Bayern nachgekommen, dass eine Ausnahme von der kartellrechtlichen Fusionskontrolle gemacht werden kann. Das ist extrem wichtig.
(Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch gemacht! Wir haben das eingeführt)
– Ja, genau, das lobe ich ja auch, dass Sie das machen. – Denn nur so können Zusammenschlüsse von Krankenhäusern entstehen. Gewährleisten wir das nicht, dann endet der Prozess der Umstrukturierung für manche Krankenhäuser, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, noch bevor er überhaupt richtig begonnen hat. Von daher ist das sehr, sehr gut.
Doch ändert das nichts an der grundsätzlichen Kritik der Bundesländer, dass eine Schablone von Berlin aus nicht einfach übers ganze Land drübergelegt werden kann.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleichwertige Lebensverhältnisse! Das steht schon im Grundgesetz! Das ist unser Auftrag! Die Menschen müssen sich darauf verlassen können!)
Was im Stadtstaat Hamburg funktioniert, funktioniert nicht unbedingt in der Oberpfalz in Bayern. Das ist so! Wir wissen immer noch am besten, wie das bei uns vor Ort funktioniert. Vor allem die Versorgung im ländlichen Bereich ist ernsthaft gefährdet, wenn Anpassungen nicht möglich sind.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als Fazit bleibt: Die gesetzlichen Regelungen sind einfach zu starr.
(Abg. Martina Stamm-Fibich [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Wir sehen das an den Kinderkliniken; wir haben Ihnen da die einzelnen Punkte genannt und auch praktikable Anpassungsmöglichkeiten.
Liebe Frau Staatsministerin, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?
Nein, jetzt würde ich gerne meine Rede zu Ende führen. – Das betrifft auch die Definition der Fachkrankenhäuser: Sie ist einfach zu eng, das ist nicht praxisgerecht. Einen praxistauglichen Änderungsvorschlag haben wir vorgelegt.
(Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorschlag war: gar keine Regelung! Das war der Vorschlag! – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Und Geld!)
Das Fazit bleibt: Die gesetzliche Regelung ist zu starr. Ohne ausreichende Rücksicht auf die regionalen Gegebenheiten sind sie zu fest. Die wirtschaftlichen Probleme der Krankenhäuser werden durch das Gesetz aber immer noch nicht gelöst.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist ein Blindflug ohne Auswirkungsanalyse, dem Sie zustimmen. Im Ergebnis droht in vielen Regionen eine Verschlechterung der Patientenversorgung. Das können wir nicht wollen. Große Reformen entstehen nur im breiten Schulterschluss mit den Beteiligten; davon bin ich überzeugt. Ich empfehle dringend, diesen noch mal zu suchen und keine Reform mit dem eisernen Besen durchzukehren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Weil die Staatsministerin Herrn Dr. Ullmann direkt angesprochen hat, hat er die Möglichkeit zu einer persönlichen Erklärung.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617055 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 194 |
Tagesordnungspunkt | Krankenhausversorgung in Deutschland |