Carl-Julius CronenbergFDP - India-Middle East-Europe Economic Corridor
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist im Umbruch. Zeiten des Umbruchs sind immer auch Zeiten der Unordnung. Die Ordnungsmacht USA scheint nicht mehr bereit zu sein, die immensen Kosten für eine stabile Friedensordnung allein zu tragen. Andere große Staaten sollen ihre Großmachtstellung festigen oder zurückerobern.
Europa sucht nach einer Rolle in einer neuen Weltordnung. Dabei muss Folgendes klar sein: Kein einziger EU-Mitgliedstaat kann eine solche Rolle für sich allein einnehmen. Nur eine geeinte Europäische Union hat die Chance, im Konzert der zukünftigen Großmächte mitzuspielen. Diese Chance zu ergreifen, ist keine Option, sondern Verpflichtung; denn nur so können wir demokratische Entwicklungen in der Welt unterstützen, nur so werden wir unserer historischen Verantwortung gerecht, und nur so gibt es eine Alternative zu den Autokratien dieser Welt, eine Alternative, die Wohlstand und Wachstum in Frieden und Freiheit bringt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Indien ist das bevölkerungsreichste Land der Welt und in wenigen Jahren die drittgrößte Volkswirtschaft. Politisch versteht sich Indien als Stimme des Globalen Südens. Deshalb hat die Bundesregierung 2022 die Initiative Infrastruktur und Investitionen mit Schwerpunkt Indien beim G-7-Gipfel auf Schloss Elmau vorangetrieben und konkretisiert. Gut so! Beim G-20-Gipfel in Neu-Delhi haben die EU, die USA, Saudi-Arabien und Indien IMEC unterzeichnet. Es soll ein Transportkorridor aus Häfen, Schienen und Pipelines entstehen, eine bis zu 300 Milliarden Euro schwere Infrastrukturinvestition, die Transporte zwischen Indien und Europa schneller und sicherer macht, und das unter Einbeziehung Saudi-Arabiens, Jordaniens und Israels.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sehr die arabisch-israelische Annäherung, flankiert durch IMEC, die geopolitischen Interessen Moskaus und Teherans gestört haben muss, lässt sich nur erahnen. Aber eines ist klar: IMEC kann und wird einen Beitrag zum Frieden auch im Nahen Osten leisten. Das lassen wir uns von Hamas- oder Hisbollahterroristen nicht kaputtbomben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für deutsche Unternehmen, besonders für den Mittelstand, sind die wirtschaftlichen Chancen riesig – auf der Arabischen Halbinsel und in Indien erst recht. China und Indien haben beide circa 1,4 Milliarden Einwohner. Nach China exportieren wir Waren und Dienstleistungen im Wert von 100 Milliarden Euro, nach Indien jedoch nur in Höhe von 10 Milliarden Euro; das sind 90 Milliarden Euro weniger. Das ist das gigantische Wachstumspotenzial für unsere Wirtschaft. Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, dieses Potenzial links liegen zu lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Mit IMEC allein lassen sich die Potenziale jedoch nicht heben. Der Globale Süden wartet auf mehr attraktive Angebote aus Europa und den USA. Zu groß ist die Enttäuschung über die chinesische Belt and Road Initiative, die neue Seidenstraße, die allzu oft in die Überschuldung geführt hat. Deshalb muss die EU jetzt alles tun, um die laufenden Verhandlungen mit einem EU-Indien-Freihandelsabkommen schnell zum Erfolg zu bringen; Kollege Töns hat darauf hingewiesen. Konkrete Kooperationsangebote wie IMEC können das flankieren, eingebettet in die Global-Gateway-Initiative der EU.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Richtig wirkungsvoll werden sie aber erst, wenn sie Eingang finden in eine ganzheitliche EU-Außenhandelsstrategie. Das ist das Gebot wirtschaftspolitischer Interessen und geopolitischer Vernunft.
Keine Wirtschaftsregion der Welt hat einen so hohen Außenhandelsanteil wie Europa. Deshalb ist es gerade in Zeiten von zunehmendem Protektionismus von entscheidender Bedeutung, dass die Europäische Union eine robuste Außenhandelsstrategie entwickelt und umsetzt, eine Außenhandelsstrategie, die anerkennt, dass Indien Nachhaltigkeit heute anders definiert als wir, dass Nachhaltigkeit nicht losgelöst vom wirtschaftlichen Entwicklungsstand des Landes bewertet werden kann; eine Außenhandelsstrategie, die auf Geschwindigkeit und Pragmatismus setzt statt auf Detailverliebtheit und bürokratisches Mikromanagement, die auf unilaterale Rechtsetzung wie die Lieferkettenrichtlinie verzichtet und schließlich die Handelsabkommen als EU-only-Abkommen ausgestaltet.
Der CDU/CSU-Antrag bleibt in dieser Hinsicht unkonkret. Elemente einer Außenhandelsstrategie fehlen. Deshalb lehnen wir ihn ab.
(Zuruf des Abg. Tilman Kuban [CDU/CSU])
Aber, lieber Kollege Brinkhaus, wir debattieren zur Kernzeit über IMEC und Chancen in Indien. Dafür gebührt den Antragstellern unsere Anerkennung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Konstantin Kuhle [FDP]: Sehr elegant!)
Jürgen Hardt für die Unionsfraktion ist der nächste Redner.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617314 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 195 |
Tagesordnungspunkt | India-Middle East-Europe Economic Corridor |