06.11.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 196 / Zusatzpunkt 1

Michael Kellner - Aktuelle Stunde - Kurs der Bundesregierung in der Wirtschaftskrise

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Sehr geehrter Herr Präsident!

(Stephan Brandner [AfD]: Wo ist eigentlich der Minister?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Reinhard Houben hat ja gerade darauf hingewiesen: Julia Klöckner hat keinen eigenen Vorschlag unterbreitet. Noch besser fand ich die Ausführungen von Tilman Kuban,

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Guter Mann! Gute Rede! Aber nicht von Ihnen!)

die Bundesregierung habe sich aufgrund von Chlorhühnchen und Schwarzwälder Kirschtorten davon abhalten lassen, Freihandelsabkommen abzuschließen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Also, ich muss sagen: Da sind Olaf Scholz, Herr Lindner, Herr Habeck aus härterem Holz geschnitzt; von Kuchen und Hühnchen lassen sie sich nicht abschrecken. Deswegen hat die Ampel mehr Freihandelsabkommen abgeschlossen als die Große Koalition, als die vorherige Regierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Ampel hat die Regierung während des Auslaufens der Coronapandemie übernommen. Kurz darauf folgte der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die damit einhergehende Energiepreiskrise. Beides trübte das wirtschaftliche Wachstum deutlich ein. Dazu kommen strukturelle Herausforderungen, denen unsere Wirtschaft ausgesetzt ist und die in den 2010er-Jahren durch die deutsche Politik weitgehend ignoriert wurden. Die geopolitische Zeitenwende und die anhaltenden russischen Aggressionen haben Deutschland sicherheitspolitisch und energiepolitisch unvorbereitet getroffen. Die Alterung unserer Gesellschaft reduziert das Potenzialwachstum und treibt die Kosten in den Sozialversicherungssystemen in die Höhe. Der menschengemachte Klimawandel und seine zunehmende krisenhafte Zuspitzung – ich verweise auf Extremwetterlagen; schauen Sie mal nach Valencia – verdeutlichen die Dringlichkeit effektiver Klimapolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: So ein Quatsch!)

Und nicht zuletzt sehen wir vernachlässigte Standortfaktoren wie das angewachsene Dickicht in der Bürokratie sowie den hohen öffentlichen Investitionsstau mit dem Blick auf Digitalisierung, Infrastruktur und Verteidigung. Das Auswärtige Amt digitalisiert dieses Jahr – erst jetzt; das muss man einmal sagen – alle Visaverfahren.

(Stephan Brandner [AfD]: Afghanistan vor allem!)

Das hätte man vor zehn Jahren machen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Sandra Detzer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawoll!)

Die Ampel macht das jetzt gemeinsam.

Im Ergebnis hatten wir übrigens in den Nullerjahren ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent. In den Zehnerjahren sah es nicht viel besser aus: Da betrug das durchschnittliche Wachstum 1,1 Prozent. Das waren bereits Zahlen, mit denen wir uns nicht zufriedengeben können.

Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund gehandelt. Lassen Sie mich nur drei Punkte nennen: Die Energiemärkte wurden im Zuge des Gaspreisschocks stabilisiert. Die Versorgungssicherheit – was haben wir an Schwarzmalerei hier im Haus immer wieder gehört! – war immer gegeben,

(Stephan Brandner [AfD]: Wie war das noch mal mit der Gasumlage? Sagen Sie mal!)

und zwar in einer Situation, die nicht vorbereitet war. Das war ein riesiger Erfolg des gemeinsamen Handelns der Ampel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Der Inflationsschub wurde in seinen unmittelbaren Härten durch viel Unterstützung abgefedert. Inzwischen liegt die Inflation wieder im Zielbereich – um 2 Prozent –, und die Reallöhne steigen. Das war die Ampel!

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das hat aber nichts mit Ihrem Handeln zu tun!)

Schließlich hat die Bundesregierung seit 2022 und gerade durch die Wachstumsinitiative strukturelle, angebotsseitige Reformen auf den Weg gebracht. Viele Elemente der Wachstumsinitiative werden zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: die vom BMWK erfolgreich pilotierten Praxischecks zum konkreten Bürokratieabbau, die nun systematisch auf alle Ressorts ausgerollt werden; die Stärkung privater und öffentlicher Investitionen durch die Verbesserung von Abschreibungsbedingungen, indem die degressive AfA bis 2028 verlängert und der Abschreibungssatz von 20 auf 25 Prozent erhöht wird; die Vereinfachung des Vergaberechts – es befindet sich in der Ressortabstimmung –; die Ausweitung des Arbeitsangebotes durch verbesserte Anreize zur Erwerbstätigkeit und attraktive Bedingungen für ausländische Fachkräfte.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Warum braucht es denn gerade Gespräche im Kanzleramt?)

Die attraktiven Reformen der Bundesregierung haben gewirkt. Aber wir bleiben da nicht stehen; denn die Seitwärtsbewegung beim Wachstum stellt uns natürlich alle nicht zufrieden.

(Stephan Brandner [AfD]: Seitwärtsbewegung? Das ist eine Abwärtsbewegung!)

Die Strompreise an der Börse sind zwar nahezu auf das Niveau vom Sommer 2021 – vor der Energiepreiskrise – gesunken und machen sich langsam in den neu abgeschlossenen Verträgen bemerkbar. Dennoch sieht sich die energieintensive Industrie weiterhin mit höheren Energiekosten konfrontiert als internationale Wettbewerber.

Um wettbewerbsfähige Energiepreise zu erreichen,

(Stephan Brandner [AfD]: … muss die Ampel weg!)

müssen wir an vielen Stellschrauben drehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigt.

(Stephan Brandner [AfD]: Schlimm genug!)

Wir haben die Verfahren zur Genehmigung von Netzen um das Achtfache beschleunigt. Das ist das Tempo der Ampel an dieser Stelle.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und wir werden weitere Modernisierungsmaßnahmen umsetzen und den Strommarkt fitmachen für die Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dazu gehören die Speicherung und die Flexibilisierung des Stromsystems. Diese sind zentral, um die günstigen Erzeugungskosten der erneuerbaren Energien bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen zu lassen. Dazu müssen wir Hemmnisse abbauen. Ein wirksamer Mechanismus zur Sicherung ausreichend verfügbarer, steuerbarer Kapazitäten ist notwendig, um die Erneuerbaren möglichst kosteneffizient und verlässlich zu flankieren. Dafür schaffen wir die Weichenstellungen durch die Umsetzung der Kraftwerksstrategie im neuen Kraftwerkssicherheitsgesetz.

(Stephan Brandner [AfD]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist für die Dekarbonisierung unserer Industrie zentral. Vor zwei Wochen hat die Bundesnetzagentur den Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber für das Wasserstoffkernnetz genehmigt, um das Grundgerüst für eine Wasserstoffinfrastruktur zu legen, damit Industriezentren, Kraftwerke und Importkorridore angebunden werden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Dafür haben wir ein Finanzierungskonzept entwickelt, das privatwirtschaftliche Investitionen anreizt und langfristig die vollständige privatwirtschaftliche Finanzierung ermöglicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt beginnt die Umsetzung. Ich war letzte Woche in Leuna. Dort werden die Leitungen für das Kernnetz gebaut. Die ersten Leitungen werden 2025 – im nächsten Jahr – fertig werden,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir wollen Wirtschaftswachstum! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: An Bayern und Baden-Württemberg vorbei! Das ist die Realität!)

und das gesamte Kernnetz soll bis 2032 stehen. Das ist das Tempo, und das ist der Erfolg, den wir gemeinsam erreicht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)

Auch für CCS und CCUS haben wir den Weg geebnet. Um Rechtssicherheit für CCU- und CCS-Anwendungen und den Hochlauf von CCU- und CCS-Technologien in Deutschland herzustellen, wird das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz novelliert. Die Beratungen laufen aktuell hier im Deutschen Bundestag.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wann kommt es?)

Die begleitende Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung wird zudem zahlreiche Maßnahmen zur Umsetzung der rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen aufführen. Das machen wir. Das haben Sie nicht geschafft, Herr Spahn. Sie hatten wahrscheinlich Angst vor Kuchen und Chlorhühnchen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir hatten Wachstum! Ihr habt nichts! – Gegenruf des Abg. Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war hier Wüste!)

Auch in den anderen Handlungsfeldern darf und wird es keinen Stillstand geben. Die Wachstumsinitiative war und ist ein wichtiger Meilenstein. Weitere Schritte werden folgen, auch im Bereich des Arbeitsmarktes, wie zum Beispiel beim Thema „Bürokratieabbau“ und beim Thema „Mutterschutz für Selbstständige“. Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin vom letzten Jahr, Claudia Goldin, hat gezeigt, dass Elternschaft

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wann kommt denn nun das Wachstum?)

der wichtigste Faktor zur Erklärung der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist. Die Verbände fordern daher klare gleichstellungspolitische Signale und die Verringerung des diesbezüglichen Wettbewerbsnachteils gegenüber selbstständigen Männern.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wachstum!)

Ich als Mittelstandsbeauftragter

(Stephan Brandner [AfD]: Das sind Sie auch noch!)

unterstütze diese Forderung ausdrücklich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein Baustein aus meiner Sicht ist ein umlagefinanzierter Mutterschutz, der den Verdienstausfall von selbstständigen Frauen zu 100 Prozent netto ersetzt. Es soll ein Mutterschutz sein, den diese Frauen nicht alleine finanzieren müssen und der die Abgabenquote nicht erhöht oder den Haushalt übermäßig belastet.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist Ihre Wirtschaftspolitik?)

– Ja, dass wir die Selbstständigkeit für Frauen in diesem Land verbessern, das ist auch Wirtschaftspolitik,

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ihr habt doch unseren Antrag abgelehnt!)

und das sollten wir tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Sandra Detzer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawoll! Das ist genau das, was Sie nicht machen! – Gegenruf der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wir haben den Antrag gestellt! Ihr habt ihn abgelehnt! Ihr habt mit Nein gestimmt!)

Ja, das ist richtig. Das ist Wirtschaftspolitik. Das wurde vernachlässigt, und uns – mir – ist daran gelegen, Mutter und Kind zu schützen und dafür zu sorgen, dass Schwangerschaften keine existenzielle Bedrohung für die Arbeit von Selbstständigen und ihren Familien, für ihre Betriebe sowie gegebenenfalls für ihre Angestellten und Auszubildenden darstellen. Lassen Sie uns hier gemeinsam – also gerne mit Ihnen zusammen – an der Umsetzung arbeiten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hätte ein ehemaliger Gesundheitsminister schon machen können, Herr Spahn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ein zentraler Faktor bei allen Reformen sind verlässliche Rahmenbedingungen, Planungssicherheit und Technologieklarheit.

(Zuruf der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU])

Wir brauchen dringend eine Einigung beim Haushalt, damit der Staat weiter investieren kann. Das gilt gerade für die Bauwirtschaft mit Blick auf unsere Infrastruktur – denken Sie nur an die Brücken in Dresden und Remscheid.

Die Wahlergebnisse in den USA machen gerade wirtschafts- und klimapolitisch klar: Deutschland und Europa müssen des eigenen Glückes Schmied sein. Wenn Donald Trump seine angekündigten Zollpläne umsetzt, hat das einen Rückgang des globalen BIP um bis zu 2,3 Prozent zur Folge; das zeigen unsere Berechnungen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das schaffen wir ja sogar ohne ihn!)

Umso mehr kommt es in den kommenden Wochen und Monaten auf Verlässlichkeit und eine Fortsetzung der Reformen und Anstrengungen im Sinne des deutschen Standortes, aber auch der Stabilität in Europa an. Das ist der Kurs dieser Bundesregierung.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Janine Wissler aus der Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7617655
Wahlperiode 20
Sitzung 196
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Kurs der Bundesregierung in der Wirtschaftskrise
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