06.11.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 196 / Zusatzpunkt 2

Nina ScheerSPD - Ganzheitliche Klimapolitik

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Jung, in Ihrem Antrag, den wir heute federführend an den Ausschuss für Klimaschutz und Energie überweisen möchten, sind einige Punkte enthalten, die zum einen schon in Arbeit sind und die wir zum anderen schon beschlossen haben und durchaus unterstützen. Das betrifft die Aussagen zu Bioenergie, zu Wasserstoff. Es gibt vieles, was wir ohnehin tun oder im Begriff sind, zu tun, und auch unterstützen.

Aber was mich schon besorgt, ist, dass Kernaussagen Ihres Antrages und auch Kernaussagen des zeitgleich vorgelegten, etwas umfangreicheren Papiers von CDU/CSU von massiven Widersprüchen gekennzeichnet sind. Diese muss man der Bevölkerung schon darlegen, und das möchte ich hier tun.

Ein ganz zentraler Widerspruch ist, dass zur Leitfrage erklärt wird, auf eine CO2-Bepreisung zu setzen. Wenn man als Leitfrage für den Klimaschutz auf CO2-Bepreisung setzt, dann muss man den Menschen natürlich erklären, dass das eine Preissteigerung mit sich bringt.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Nicht Ihr Ernst!)

Ich habe mitbekommen – das ist ja nichts Neues –, dass es mit dem Klimageld einen Kompensationsmechanismus gibt.

(Andreas Jung [CDU/CSU]: Das wäre schon was Neues!)

Aber es muss Ihnen ja klar sein, dass zum Beispiel in der Industrie, gerade in den Bereichen, in denen sehr viel Energie verwendet wird, genau der Effekt einer Kompensation nicht unbedingt wirkt. Man wird also Ausnahmen einkalkulieren. Ich frage mich wirklich, wie Sie allen Ernstes diesen Lenkungsmechanismus etablieren wollen, wenn Sie genau wissen, dass man bei einer CO2-Bepreisung immer auch mit scheunentorgroßen Ausnahmen agieren wird. Einen Lenkungseffekt durch CO2-Bepreisung kann es schon deswegen nicht geben, weil ein Lenkungseffekt erst wirken kann, wenn der direkt adressierte Verbraucher schon eine Alternative verfügbar hat, und zwar unmittelbar verfügbar.

Eine CO2-Bepreisung kann zwar ein stabilisierendes Instrument sein; deswegen stehen wir auch dazu. Und natürlich muss es auch eine Kompensation bzw. einen Ausgleich geben. Der soziale Ausgleich, und zwar gestaffelt, wird bei der SPD großgeschrieben. Aber man streut den Menschen Sand in die Augen, wenn man meint, um wirklich etwas zu bewegen, um wirklich etwas voranzubringen, alles auf die Karte der CO2-Bepreisung als Klimaschutzlenkungsinstrument setzen zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Ja, gerne.

Bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für das Zulassen der Frage. Vielen Dank auch an Sie, Frau Kollegin Scheer. – Erstens – das nur als Bemerkung –: Sie sind anderer Meinung bei der CO2-Bepreisung – darauf komme ich gleich noch –, aber das ist ja kein Widerspruch bei uns.

Wir wollen den CO2-Preis in der Tat zum zentralen Lenkungsinstrument machen. Ihr Gegenargument ist, wenn ich mal bei der Wirtschaft anfangen darf, das würde für einige Industrien zu teuer werden. Es würde teuer werden. Wenn er wirken soll, muss es irgendwann über die Zeit teuer werden; das ist schon so. Aber es ist mindestens genauso teuer, wenn ich das über das Ordnungsrecht mache,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Teurer!)

weil ich dann nämlich das Timing des Umstieges planwirtschaftlich vorgebe. Das erhöht die Kosten und reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt investiert wird. Insofern akzeptiere ich, dass wir einen Meinungsunterschied in der Frage haben. Aber es ist jedenfalls keine widersprüchliche Argumentation in unserem Konzept. Wir sagen: Wenn wir die Wirtschaft aus der fossilen Energie herausführen wollen – ich glaube, in der Frage sind wir einer Meinung – und wenn wir die Dekarbonisierung wollen, dann ist es einfacher für die Wirtschaft, sich umzustellen, wenn wir das über einen CO2-Preis machen, als wenn wir es über Verbote machen; denn nichts anderes ist ja Ordnungspolitik.

Da unterschlagen Sie natürlich die Instrumente, auf die ich sowieso noch hingewiesen hätte – aber das kann ich jetzt in meiner Antwort auf Ihre Frage tun –, nämlich die Instrumente, die bisher in der Energiewende erfolgreich waren. Wir haben massive Erfolge im Bereich der Anreizwirkungen. Wir wissen heute, dass die gesicherte EEG-Einspeisevergütung, die inzwischen auch Wandlungen erfahren hat, sowohl für die Einspeisung als auch für die Vergütung, die Investitionen in den Ausbau gesichert hat und dass das für die Banken das richtige Signal war, um das Go für Finanzierungen zu geben.

(Thomas Dietz [AfD]: Und der Steuerzahler zahlt es!)

Der nötige Ausbau der erneuerbaren Energien, um überhaupt zu kostengünstigen Energiegewinnungsformen zu kommen, ist tatsächlich über diese Anreizmechanismen angeregt worden.

(Beifall des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Thomas Heilmann [CDU/CSU]: Das ist Energie, nicht Industrie!)

– Dadurch kommen wir aber zu dem günstigen Strom, den wir alle wollen.

Es wird häufig falsch dargestellt – das ist auch bei den Reden der CDU/CSU der Fall –, dass der Emissionshandel für die Klimaschutzerfolge verantwortlich sei. Das ist genau genommen nicht so darstellbar.

(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Natürlich! Sehr genau genommen so darstellbar! Natürlich ist das genauso darstellbar!)

– Nein. Genau genommen sind es die Instrumente, die uns befähigt und – da nehme ich das Wort „Ermöglichung“, was Sie von uns übernommen haben, gerne wieder in den Mund – es uns ermöglicht haben, zu diesen kostengünstigen Energiegewinnungsformen zu kommen, nämlich zu erneuerbaren Energien, die die CO2-Einsparungen ermöglicht haben.

(Karsten Hilse [AfD]: Frau Scheer ist schon über Ihrer Redezeit!)

Wenn diese Möglichkeiten geschaffen wurden, dann können ein CO2-Preis und ein Emissionshandel wirken. Jetzt kommen wir also tatsächlich in die Phase, in der ein Emissionshandel Wirkung zeigen kann. Aber ein Emissionshandel ist nicht geeignet, um Investitionsförderungen, um Forschung, um all diese Dinge, die als Anschub gebraucht werden, um etwas zu entwickeln, voranzubringen. Dafür ist ein Emissionshandel eben gerade nicht geeignet.

(Steffen Janich [AfD]: Ist das eine eigene Rede?)

Die Antwort auf die Zwischenfrage ist nicht so lang wie die Redezeit.

Das war jetzt die Antwort.

(Beifall des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie wollen einfach nicht einsehen, dass in den erneuerbaren Energien tatsächlich was drinsteckt. Wenn man zugrunde legt, dass die erneuerbaren Energien über diese Mechanismen gefördert wurden, und zwar erfolgreich, dann erschließt sich daraus auch, dass die CO2-Bepreisung nicht der einschneidende Weg sein kann, wie Sie das immer unterstellen.

Ich möchte das noch mal kurz aufgreifen. Wenn man das aber dennoch tut und dann sieht, was in Zeiten der Energiekrise passiert ist, nämlich dass wir den CO2-Preis sofort eingefroren haben, dann erkennt man auch, mit welchem Risiko so etwas behaftet ist.

(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das ist ja nicht der ETS! Es gibt ja einen Unterschied zwischen CO2-Preis und ETS!)

Die erste Folge, die eintritt, wenn eine Krise kommt, ist, dass der CO2-Preis nicht mehr wirkt.

(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Nein, das stimmt nicht!)

Insofern streut man den Leuten Sand in die Augen, wenn man meint, man könnte dies zum einzigen Klimaschutzinstrument erklären; denn es entfaltet einfach nicht diese Wirkung.

Ich möchte auf einen zweiten Widerspruch eingehen, und zwar die Widersprüchlichkeit bei der Atomenergie. Sie fordern immer wieder ein, man brauche Planbarkeit. Ja, Planbarkeit heißt doch aber auch, dass man den Leuten nicht immer wieder einmal „Hü“ und einmal „Hott“ sagt, nicht einmal das und einmal jenes auf den Tisch legt. Sie selbst haben bei der Atomenergie diesen Zickzackkurs gefahren. Sie wollten erst nicht aussteigen, dann wollten Sie mit aussteigen, dann wollten Sie wieder rein. Jetzt liegt das Thema wieder auf dem Tisch. Wir sind gerade vollendet ausgestiegen, und jetzt wollen Sie wieder in die Atomenergie einsteigen.

Auch dazu schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass Sie auf marktwirtschaftliche Instrumente setzen. Wie passt das denn, bitte schön, zusammen? Sie wollen marktwirtschaftliche Instrumente, aber dann sprechen Sie sich explizit dafür aus, in Deutschland zwei Fusionsreaktoren zu bauen. Fusionsreaktoren! Haben Sie mal nachgeschaut, wie viel Cent pro Kilowattstunde die benötigen? Das ist ungefähr das Sechs- bis Zehnfache dessen, was bei der Gewinnung erneuerbarer Energien anfällt.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])

Und eine Sache wird ganz übersehen: Wir haben heutzutage doch überhaupt keine Möglichkeit, mit Kernfusion Energie zu erzeugen. Die Fusionsforschung ist noch gar nicht so weit und wird vielleicht auch nie so weit sein, weil man bisher überhaupt keine Ummantelung gefunden hat, um diese Kernfusionsreaktoren zu betreiben. Also, wenn es dann vielleicht – so auch die Forschungsinstitute – in 20, 30, 40 oder 50 Jahren so weit sein sollte, dass man eine Kilowattstunde daraus gewinnen kann, was nach wie vor mit hohen Kosten verbunden ist: Woher soll die Senkung kommen? Das ist ja noch kein Markthochlauf. Und wo, bitte schön, sollen diese Kernfusionsreaktoren denn dann laufen? Bis dahin haben wir schon 100 Prozent Erneuerbare, wahrscheinlich 200 Prozent, und können den Strom exportieren.

Insofern ist das ein Widerspruch: Sie erklären zwar, Sie wollen Planbarkeit und Sie wollen Markt, aber in Ihren Konzepten fordern Sie etwas komplett anderes, nämlich fett Geld auszugeben, –

Vielen Dank, Frau Kollegin.

– was mit Ihrem Begriff „Kostenwende“ rein gar nichts zu tun hat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD hat jetzt Karsten Hilse das Wort.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7617685
Wahlperiode 20
Sitzung 196
Tagesordnungspunkt Ganzheitliche Klimapolitik
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