Konstantin KuhleFDP - Jüdisches Leben in Deutschland
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst dafür bedanken, dass es in dieser schwierigen Woche möglich ist, in diesem Haus eine Debatte über ein Thema zu führen, bei dem sich weite Teile dieses Hauses einig sind, und das ist die Bekämpfung des Antisemitismus.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese gemeinsame Resolution kommt spät, aber sie kommt. Sie kommt nach intensiven Diskussionen mit vier Fraktionen. Sie kommt etwa ein Jahr nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres.
(Beatrix von Storch [AfD]: Erstaunlich, dass so was so lange dauert!)
Und sie kommt vor dem Jahrestag des 9. November. Deswegen ist es angemessen, dass wir in dieser Woche hier im Parlament, in diesem wichtigen Forum für unsere Nation, über dieses wichtige Thema sprechen.
Die heutige Debatte über diese Resolution des Deutschen Bundestages zum Kampf gegen Antisemitismus findet erkennbar im Kontext einer großen gesellschaftlichen Debatte über das Thema Antisemitismus statt. Natürlich ist es zu begrüßen, dass in Deutschland breit über dieses Thema und breit über diese Resolution diskutiert wird. Ich habe mich in den letzten Tagen aber über so manche Wortmeldung in dieser Diskussion gewundert.
So wird etwa vorgetragen, dass die hier vorliegende Resolution die Meinungs-, die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit verletze, weil mit der in der Resolution enthaltenen Definition von Antisemitismus rechtliche Unklarheiten verbunden seien. Hinter diesem Vorwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt ein fundamentales Missverständnis; denn diese Resolution soll ja die Konflikte beim Thema Antisemitismus in der Gesellschaft nicht beenden. Diese Resolution soll auch nicht die Diskussionen in der Gesellschaft über das Thema Antisemitismus beenden.
Vielmehr sind diese Diskussionen, die wir in Deutschland führen müssen, und diese Resolution gerade dazu gedacht, Konflikte über das Thema Antisemitismus auszutragen. Der vorliegende Text soll nicht einfach abgeheftet werden, sondern er soll zum Nachdenken, zum Reflektieren, zum Diskutieren und auch zum Überprüfen des eigenen Handelns anhalten. Deswegen führen wir diese Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Warum kommen eigentlich Menschen auf die Idee, dass die Auseinandersetzung mit Antisemitismus – ausgerechnet die Auseinandersetzung mit Antisemitismus! – eine bequeme Angelegenheit sein muss? Das Gegenteil ist richtig. Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus muss eine unbequeme Angelegenheit sein, wenn sie angesichts wachsender Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden und zunehmender Gewalt gegen sie in Deutschland etwas ausrichten soll.
Das gilt gerade angesichts der deutschen Vergangenheit. Wenn die Formulierung – die wir auch heute schon gehört haben –, dass Deutschland angesichts seiner Vergangenheit eine besondere Verantwortung für das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland trägt, etwas bedeuten soll, dann heißt das doch, dass die Auseinandersetzung mit Antisemitismus eine unbequeme Angelegenheit sein muss. Dabei sprechen wir auch über eigenes Fehlverhalten und eigene Probleme in dieser Gesellschaft.
Das gilt auch für Kunst und Kultur. Angesichts antisemitischer Skandale wie bei der documenta in Kassel ist es richtig, dass wir uns in Deutschland fragen, wie es verhindert werden kann, dass Fördermittel, dass Steuergelder für Projekte ausgegeben werden, bei denen Antisemitismus auch noch gestärkt wird.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt auch für die Wissenschaft. Angesichts mancher antisemitischen Exzesse an deutschen Hochschulen, die dazu führen, dass jüdische Studierende sich nicht mehr auf den Campus trauen, ist es richtig, dass Hochschulen sich fragen, was sie tun können, um jüdische Studierende besser zu schützen. Natürlich ist das unbequem, aber diese Diskussion muss geführt werden.
Das gilt auch für die Muslime in Deutschland. Wer für sich selbst zu Recht den Schutz vor Diskriminierung und Rassismus verlangt, der darf bei antisemitischen Erzählungen und Klischees, bei Ausgrenzung und Gewalt, die auch von Muslimen ausgeht, nicht schweigen, sondern muss sich einer unbequemen Debatte in den eigenen Communitys stellen.
(Carolin Bachmann [AfD]: Schöne Töne von Ihnen!)
Das gilt auch für den Antisemitismus von rechts, das gilt für den Antisemitismus von links, und es gilt für den Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft. Es ist doch frappierend, dass Menschen, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben und Ideologien vertreten, deren Anhänger sich oftmals feindlich gegenüberstehen, ausgerechnet beim Thema Antisemitismus den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Das äußert sich bei Kriegen, bei Krisen und bei schwierigen Situationen, indem wieder Jüdinnen und Juden für bestimmte Dinge verantwortlich gemacht werden. Das haben wir in der Coronasituation gesehen, und wir sehen es auch jetzt in der Diskussion über Israel.
In der öffentlichen Debatte über den vorliegenden Antrag wird mitunter verlangt, den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und die außenpolitische Debatte über den sogenannten Nahostkonflikt voneinander zu trennen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Luxus können sich viele Jüdinnen und Juden in Deutschland gar nicht erlauben; denn für die Juden in Deutschland ist diese Trennung nicht möglich. Seit dem Terrorangriff der Hamas haben die antisemitischen Angriffe in Deutschland dramatisch zugenommen. Seit einem Jahr haben Vertreterinnen und Vertreter jüdischer Institutionen mehr Personenschutz als vorher. Und seit einem Jahr müssen die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Institutionen drastisch verschärft werden. Das ist inakzeptabel, und das muss auf den entschiedenen Widerstand aller Demokratinnen und Demokraten in Deutschland stoßen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das zeigt aber auch, dass eine Auseinandersetzung über Antisemitismus in Deutschland gar nicht von unserem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels getrennt werden kann. Das gilt übrigens, nicht weil man Israel nicht kritisieren darf – ich muss nur den Fernseher anmachen, dann sehe ich den ganzen Tag viel Israelkritik; die gibt es jeden Tag in Deutschland –, sondern weil die künstliche Trennung zwischen Israel und dem Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht möglich ist.
Wir müssen diese Diskussion führen, auch auf unbequeme Weise. Viele, die diese öffentliche Diskussion begleiten, wie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Herr Dr. Klein, sind heute hier. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Und ich möchte mich auch bedanken für die vielen Wortmeldungen in der gesellschaftlichen Debatte.
Es ist nicht zutreffend, dass diese Diskussion hinter verschlossenen Türen geführt wurde. Im Gegenteil: Selten wurde über eine Resolution so breit in der Gesellschaft und im Parlament diskutiert. Das ist gut so. Der heutige Tag bedeutet aber nicht das Ende der Diskussion, sondern den Beginn einer weiteren selbstkritischen Auseinandersetzung dieser Gesellschaft mit dem Thema Antisemitismus. Dafür bitte ich Sie herzlich um Zustimmung.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Als Nächster das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Michael Breilmann.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617722 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 197 |
Tagesordnungspunkt | Jüdisches Leben in Deutschland |