Linda TeutebergFDP - Jüdisches Leben in Deutschland
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ehrengäste auf der Tribüne!
„Der Antisemitismus, mit dem wir es heute zu tun haben, nennt seinen Namen nicht. Im Gegenteil: Will man ihn haftbar machen, verleugnet er sich … Er sei nicht der, als den man ihn hinstelle, nicht Antisemit also sei er, sondern Anti-Zionist“!
Diese Worte klingen, als könnten sie aus diesen Tagen sein. Aber der Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Jean Améry hat schon bald nach dem Sechstagekrieg 1967 hellsichtig beschrieben, dass ein neuer Antisemitismus insbesondere im linken politischen Lager – dem er sich selbst zurechnete, und deshalb schmerzte es ihn so – entsteht, bei dem Israel zum Paria gemacht wird. Gerade israelbezogener Antisemitismus, der sich als Israelkritik ausgibt, aber antisemitische Erzählungen bedient, ist besonders häufig. Er ist gesellschaftlich besonders anschluss- und deshalb salonfähig. Und insofern hat er ihn in kritischer Sicht „ehrbaren Antisemitismus“ genannt, weil er es gesellschaftlich so leicht hat, weil er an eine emotionale Infrastruktur anknüpft und weil der Antisemitismus „im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus“ – wie Améry sagte – „wie das Gewitter in der Wolke“ enthalten ist. Deshalb gilt es, eine Definition des Antisemitismus zugrunde zu legen – das machen wir mit diesem Entschließungsantrag –, die auch diese besonders gefährliche Form des Antisemitismus adressiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In Sonntagsreden heißt es, Antisemitismus habe keinen Platz. Doch er nimmt sich Platz und besetzt den öffentlichen Raum immer unverfrorener. Dieser bittere Befund erfordert eine politische Antwort.
Ein interfraktioneller Entschließungsantrag ist weder ein Patentrezept noch ein Gesetz, aber er ist ein wichtiges und der parlamentarischen Demokratie angemessenes Signal. Er ist eine Willensbekundung dieses Parlaments. Er beschreibt, welche gesellschaftliche Wirklichkeit wir anstreben, und er zwingt alle Beteiligten dazu, sich darüber ehrlich zu machen, was der Status quo ist. Das ist bei einem gesellschaftlich so aufgeladenen Konflikt keine Kleinigkeit. Das lange Ringen, das wir wegen der Ernsthaftigkeit der Sache miteinander gehabt haben, verdient Respekt und nicht verschwörungstheoretisches Geraune und Diskreditierung, die ein großer Teil der Berichterstattung der letzten Tage war.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen, mathematische Beweisführungen enden mit der Formel „Was zu beweisen war“. Dass wir ein gesellschaftliches Problem mit Antisemitismus in allen politischen Lagern und in verschiedenen kulturellen Milieus haben, hat genau diese Debatte gezeigt. Es wäre naiv, zu glauben, dass, wenn man sich diesem Problem stellt, es keinen Gegenwind gäbe, keine Blockaden. Denn sprechen wir es deutlich aus: Wenn wir dafür sorgen wollen, dass Steuergeld auch nicht ungewollt für das Verbreiten antisemitischer Inhalte oder Anliegen ausgegeben wird, dann gibt es Akteure, die da etwas zu verlieren haben.
Manche Wortmeldungen könnte man auch so zusammenfassen: Den israelbezogenen Antisemitismus zu leugnen, sei Wissenschaft und müsse weiter subventioniert werden. Nein, hier wollen wir ein Zeichen setzen: Das sehen wir mit breiter Mehrheit anders.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ist es!)
Deshalb ist es befremdlich, wie in der Debatte oft in Abrede gestellt wurde, dass man Antisemitismus überhaupt definieren könne. Die IHRA-Definition ist eine Arbeitsdefinition, die IHRA selbst bezeichnet sie in einer Art rechtsstaatlicher Demut so. Sie lässt Kritik an Israel zu, wie sie mit jedem anderen Staat stattfindet und wie sie in Israel täglich auf der Straße stattfindet.
Israel wird indes oft mit anderem Maßstab gemessen. Das abzugrenzen – legitime Kritik von Doppelstandards, Dämonisierung und Delegitimierung der Staatlichkeit Israels –, dieser Aufgabe stellt sich die IHRA; deshalb ist sie richtig.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der CDU/CSU)
Ich glaube, wir sollten uns auch so viel Differenzierung leisten. Das Strafrecht ist die Ultima Ratio. Gerade deshalb ist die Frage, ob etwas strafrechtlich justiziabel ist, weder der richtige Maßstab dafür, ob es schon deshalb förderwürdig ist, weil es nicht strafbar ist. Auch für die Eignung für höchste Ämter übrigens ist nicht maßgeblich, ob Stellungnahmen justiziabel sind oder nicht.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Genau so ist es!)
Zur Documenta ist einiges Weiteres zu sagen: Unsere Gedenkkultur, die über unsere Sprache hinaus etwas ist, was wir uns erarbeitet haben, unsere Erinnerungskultur, hat bei der Documenta funktioniert, weil die deutsche Öffentlichkeit gezeigt hat: Sie akzeptiert Antisemitismus nicht, auch wenn er postkolonial verbrämt wird, auch wenn er kulturell inszeniert daherkommt. Es ist gut, dass wir das öffentlich diskutiert haben.
Es macht aber auch klar, dass zu wenig passiert ist. Ich will das an einem Zitat deutlich machen. Wer im Netz schaut, was bei den Goethe-Instituten zum Thema Documenta zu finden ist, findet in einem Beitrag unter der Überschrift „Kunst im Erinnerungskampf“ auf der Seite der von unseren Steuergeldern finanzierten Goethe-Institute folgende Ausführung:
„Es ist ein beklemmendes Ergebnis, dass die deutsche Öffentlichkeit diese Herausforderungen … nur unter dem engen Fokus der eigenen historischen Traumata und ikonologischen Obsessionen zu skandalisieren vermochte, statt sie angemessen zu diskutieren.“
Kultureller Austausch ist keine Einbahnstraße. Wer das liest, könnte den Eindruck gewinnen, dass es nur ein deutscher Knacks, eine deutsche Besonderheit sei, Antisemitismus unerträglich zu finden, und das ist falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Um es deutlich zu sagen: Wir haben aufgrund deutscher Schuld und Verantwortung eine besondere Verantwortung für dieses Thema und die Sicherheit Israels. Es ist allerdings keine abschließende, die der Rest der Welt ignorieren könnte, sondern die Shoa ist ein singuläres Menschheitsverbrechen, das von Deutschland ausging. Es ist aber auch Teil des Gedächtnisses der Menschheit.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deshalb: Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus. Niemand hat das Recht auf ein bisschen Judenhass.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächste hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Daniela Ludwig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617727 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 197 |
Tagesordnungspunkt | Jüdisches Leben in Deutschland |