07.11.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 197 / Tagesordnungspunkt 6

Helge LindhSPD - Jüdisches Leben in Deutschland

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau von Storch, wenn eine Partei, wie wir wissen, die deutsche Schuld und den Nationalsozialismus regelmäßig relativiert,

(Enrico Komning [AfD]: Was Sie alles wissen!)

sollte man in einer Debatte zu Antisemitismus mit mehr Demut und mit weniger Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral auftreten. Das täte dem Thema gut.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Malte Kaufmann [AfD])

Eine bittere Ironie der intensiven Debatte über diesen Antrag, über die Resolution, ist: Wenn er das jüdische Leben und die Sicherheit von Jüdinnen und Juden zum Thema hat,

(Beatrix von Storch [AfD]: Dass das eine intensive Debatte erforderlich macht, ist eine Schande! Nur Selbstverständlichkeiten auf dem Papier!)

dann haben wir, wenn wir ehrlich sind, oft allzu wenig über Jüdinnen und Juden und die Sicherheit von Jüdinnen und Juden gesprochen.

Wenn wir aber heutzutage von Staatsräson reden, sollten wir daran erinnern, dass im damaligen deutschen NS-Staat Vernichtung und Verfolgung von Juden Staatsdoktrin war – von Massen von Organisationen und Millionen Menschen getragen, geduldet und exekutiert, unter ihnen mein Urgroßvater als Kriegsgerichtsrat im sogenannten Osteinsatz.

Daher sollte die Debatte über diese Resolution uns vielleicht auch zu denken geben, ob wir, wenn wir über Antisemitismus sprechen, nicht allzu oft über nichtjüdische Befindlichkeit sprechen, darüber, wie wir gut dastehen in der Debatte, darüber, was diese oder jene Formulierung in welcher Wählergruppe auslösen könnte, was aber wohl kein Kriterium sein kann, wenn es um den Schutz von Jüdinnen und Juden geht, und um deren Perspektive.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten vielleicht auch weniger über Antisemitismusdefinitionen streiten und mehr über die reale Lage von den Opfern von Antisemitismus, von Jüdinnen und Juden sprechen. Das wäre doch ein Anfang, den wir mit der heutigen Debatte machen könnten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht also, nennen wir es beim Namen, um allzu viel Instrumentalisierung. Damit werden wir der Lage von Jüdinnen und Juden in diesem Land und weltweit nicht gerecht.

Wenn wir das so sehen, dann gehört zu unserer Souveränität aber auch, Kritik zu benennen, wenn sie ernst zu nehmen ist. Ich meine etwa Kritik, die Fragen wie die des Zusammenspiels von Kunstfreiheit, Förderpraxis und Regulatorik in der Praxis in den Kommunen betrifft. Mit der Frage werden wir uns auseinanderzusetzen haben.

Darüber hinaus erleben wir wiederum, wie viel Sorge, Verunsicherung und auch Aufregung von Menschen empfunden wird, die einen arabischen, nordafrikanischen Familienhintergrund oder enge Verbindungen in Palästinensische Gebiete haben, weil sie angesichts von einigen Passagen in dem Antrag das Gefühl haben, unter pauschalierenden Antisemitismusgeneralverdacht gestellt und stigmatisiert zu werden.

(Jürgen Braun [AfD]: Aha!)

Wenn wir klug sind, nehmen wir auch diese Hinweise ernst und sehen sie als Auftrag, künftig noch präziser und genauer zu formulieren, weil es ja, wenn wir umfassend gegen Antisemitismus kämpfen wollen, nicht in unser aller Interesse sein kann, dass der Diskurs sich auf eine Diversitäts-, Islam- oder Migrationsdebatte reduziert.

Es geht aber auch in anderer Hinsicht weiter; darauf hat Hanna Veiler hingewiesen. Es ist allzu übliche Praxis, politische Opportunität unserer eigenen, auch parteipolitischen Interessen in den Mittelpunkt zu stellen, dann zum Beispiel allein auf Antisemitismus von rechts zu gucken oder anderen Antisemitismus zu benennen, anstatt vor der eigenen Tür zu kehren. Meine eigene Tür ist der linksprogressive Raum. Es ist eine tiefe und bis zum heutigen Tage nicht zu leugnende Schande, dass diejenigen, die antraten, an die Geschichte des Nationalsozialismus zu erinnern, auch solche waren, die jüdische Institutionen verbal oder physisch attackierten oder die etwa in Flugzeugen Menschen mit israelischer Staatsangehörigkeit oder weil sie sie als Jüdinnen und Juden wahrnahmen, selektierten. Dies ist unerträglich, und dies ist eine Frage, wahrscheinlich die zentrale Frage, der sich auch intellektuelle und kreative Milieus werden stellen müssen.

(Beifall der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Also, gucken wir, dass wir uns weniger der Instrumentalisierung bedienen, dass wir uns weniger politischer Opportunität bedienen und weniger das Thema Antisemitismus zum Spielball unserer Selbstdarstellung machen. Gucken wir, dass das im Mittelpunkt steht, was im Mittelpunkt stehen muss: die Sicherheit und der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und weltweit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Als Nächster hat das Wort für die Gruppe Die Linke Dr. Gregor Gysi.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7617729
Wahlperiode 20
Sitzung 197
Tagesordnungspunkt Jüdisches Leben in Deutschland
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta