Oliver KaczmarekSPD - Jüdisches Leben in Deutschland
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich klar, dass in Deutschland alle Menschen sicher unser Bildungssystem besuchen dürfen, dass alle sicher studieren, lernen und forschen können müssen. Aber wir müssen uns mit Vorfällen beschäftigen, bei denen jüdische Schülerinnen und Schüler, jüdische Studierende eben Opfer von Attacken, Opfer bei Diskussionen waren: ob es Diskussionen über den Nahostkonflikt in Schulen waren, ob es die Verbreitung des Antisemitismus in Hochschulen oder auch Gewalt war, die dort teilweise gegen Jüdinnen und Juden ausgebrochen ist. Insofern ist für uns völlig klar, was der Auftrag heute ist: In Deutschland darf kein jüdischer Schüler auf dem Schulweg Angst haben. Kein jüdischer Studierender darf sich genötigt sehen, Davidstern oder Kippa zu verstecken. Das ist unsere immerwährende Verpflichtung, die sich aus der deutschen Geschichte ergibt und die für uns als Deutscher Bundestag nie enden wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Linda Teuteberg [FDP])
Wir sehen Hochschulen in ihrer gesellschaftlichen Funktion als Impulsgeber für Forschung, für die Lösung von Menschheitsfragen, aber auch als Impulsgeber für gesellschaftliche Diskussionen. Nicht zuletzt haben jüdische Forscherinnen und Forscher dazu beigetragen und sind Teil unserer Wissenschaftsgeschichte: nicht nur Albert Einstein, sondern auch der Mediziner Paul Ehrlich, Selma Stern, die die deutsch-jüdische Geschichtsschreibung etabliert hat, oder Rudolf Hilferding und Eduard Bernstein, die sich in der Ideengeschichte der Sozialdemokratie einen Konflikt geliefert haben.
Aber wenn wir diese Rolle und die damit verbundenen offenen Diskursräume an Hochschulen erhalten wollen, brauchen wir Regeln und Grenzen, gerade mit Blick auf die jüdische Gemeinschaft. Die Freiheit des Diskurses endet ohnehin bei Gewalt und Sachbeschädigung, aber genauso selbstverständlich bei der Verbreitung von Antisemitismus, egal aus welcher Quelle er sich speist, und auch bei der Infragestellung des Existenzrechts Israels sowie seines Rechts auf Verteidigung. Das sind die Grenzen des freien Diskurses. Diese müssen etabliert sein, und es muss auch Sanktionen geben, wenn dagegen verstoßen wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])
Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fragen sich und bringen das auch in Appellen und Aufrufen zum Ausdruck: Darf man denn jetzt überhaupt noch Israel kritisieren? – Ich rate dazu, einmal nach Israel selbst zu blicken, weil die israelische Gesellschaft natürlich genauso divers ist wie viele andere und sich auch mit ihrer Regierung in Teilen kritisch auseinandersetzt. Ich finde, das muss man noch einmal festhalten; denn es ist ein Prinzip demokratisch gewählter Regierungen, dass sie Kritik aushalten müssen. Es ist übrigens ein Unterscheidungsmerkmal, dass die Menschen in Israel, der einzigen Demokratie im Nahen Osten, ihre Regierung kritisieren dürfen und die Menschen in autoritären Regimen ihre Regierung eben nicht kritisieren dürfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Deswegen will ich auch sagen: Ich verstehe, dass die Frage gestellt wird, ob dieser Antrag die Freiheit der Wissenschaft einschränkt. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass wir klarmachen müssen und das auch hier heute in der Debatte zum Ausdruck bringen müssen: Es gibt ein klares Bekenntnis der demokratischen Mitte des Hauses – auch gegenüber den Feinden im Inneren – für die Wissenschaftsfreiheit. Das entscheidende Kriterium für die Vergabe von Fördermitteln ist Exzellenz. Und was exzellent ist, das wird durch wissenschaftsgeleitete Verfahren in der Wissenschaft selbst entschieden. Wir sichern die Wissenschaftsfreiheit. Das muss auch ein Signal aus dieser Debatte heute sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD])
Ich will das einmal sagen, weil ich diese Klarstellung in der Diskussion, die ja weitergehen wird, nachdem wir den Antrag heute verabschiedet haben werden, für unverzichtbar halte. Wir haben aus der demokratischen Mitte des Hauses heraus – SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP – gemeinsam an einer solchen Positionierung für die Wissenschaftspolitik gearbeitet;
(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Das ist doch eine Verhöhnung der Demokratie, solche Floskeln „aus der demokratischen Mitte“! – Kay Gottschalk [AfD]: Das war ein Anschlag auf die Demokratie, was Sie da sagen!)
und das ist richtig. Ich glaube und wünsche mir, dass alle, die jetzt in dieser Situation Verantwortung tragen, auch die Kraft haben, diesen Antrag weiter zu beraten und im Plenum des Deutschen Bundestages zur Abstimmung zu stellen. Ich halte es für richtig,
(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
für Bildung und Forschung an dieser Stelle Partei zu ergreifen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Armin Laschet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Nils Schmid [SPD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617738 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 197 |
Tagesordnungspunkt | Jüdisches Leben in Deutschland |