07.11.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 197 / Tagesordnungspunkt 6

Hakan DemirSPD - Jüdisches Leben in Deutschland

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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Ehrengäste! Ich darf mich bei Herrn Laschet bedanken für diese differenzierten Worte, die deutlich zeigen, dass wir heute und auch mit Blick auf den 9. November zusammenhalten müssen. Es ist mit Blick auf unsere Geschichte wichtig, dass wir heute ein Zeichen setzen, ein Zeichen, dass wir jüdisches Leben in Deutschland stärken und verteidigen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine Großmutter Esme und mein Großvater Ibrahim Demir sind vor 50 Jahren in dieses Land gekommen. Sie sind nach dem Holocaust, nach dem Zweiten Weltkrieg in dieses Land gekommen. Natürlich gilt: Die Geschichte dieses Landes ist auch meine Geschichte. Ich habe wie Millionen von anderen Menschen die Verantwortung, Leben zu schützen und Menschenrechte zu verteidigen – hier und überall.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Antisemitismus kennt verschiedene Gesichter: völkische und rechtsextremistische Personen, es gibt den religiösen Antisemitismus, und natürlich gibt es auch Antisemitismus, der von Extremisten mit Migrationsgeschichte ausgeht. Zugleich müssen wir aufpassen, dass wir Menschen nicht unter Generalverdacht stellen, wenn wir einzelne Regionen in diesem Antrag nennen und sie mit Antisemitismus verknüpfen. Was soll ich Menschen sagen, die vor Extremisten zu uns nach Deutschland, in die Freiheit, geflohen sind, denen wir nun aber pauschal antisemitische Verhaltensweisen zuordnen? Ich will an dieser Stelle sagen, dass es auch hier im Haus Abgeordnete gibt, die aus diesen Regionen zu uns gekommen sind. Auch vor diesem Hintergrund ist es nicht fair, wenn solche Sätze in diesem Antrag stehen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD – Konstantin Kuhle [FDP]: Völlig unverständlich!)

Wir sollten ganz andere Grenzen ziehen. Wir sollten keine Grenze ziehen zwischen Deutschen auf der einen Seite und Menschen, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind. Wenn wir zwischen „wir“ und „den anderen“ unterteilen wollen, dann so: Wir sind die Demokratinnen und Demokraten, die Menschen, die mit Respekt miteinander umgehen, und die anderen sind diejenigen, die spalten wollen, die diese Demokratie überwinden wollen. Das ist die einzige Grenze, die wir setzen sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, in meinem Wahlkreis habe ich nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 einen Rabbiner und einen Imam verknüpft, also dazu beigetragen, dass sie ihre Handynummern austauschen. Sie haben sich getroffen und gemeinsam ein Fastenbrechen organisiert mit rund 200 Menschen mit christlichem, jüdischem und muslimischem Glauben. Sie haben einen Ort der Zusammenkunft geschaffen. Heute sind sie befreundet und arbeiten zusammen. Auch das ist ein Teil der Normalität dieses Landes, über die wir mehr reden sollten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

Gemeinsame Projekte wie Schalom-Aleikum des Zentralrats der Juden und meet2respect aus Berlin, bei denen interreligiöse Begegnungen und Dialoge ermöglicht werden, gibt es überall in Deutschland. Sie sind so wichtig und sollten mehr unterstützt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Linken)

Wir sollten auch ernster nehmen, dass der heute vorliegende Antrag unter anderem von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eben nicht nur als gelungener Beitrag zum Schutz von jüdischem Leben gesehen wird. Stattdessen besteht die Befürchtung, dass die Konzentration auf eine Definition von Antisemitismus so wichtige zivilgesellschaftliche Arbeit eher erschweren statt fördern kann.

Und wie sieht es eigentlich ganz konkret mit den Gesetzen aus, die jüdisches Leben schützen könnten, beispielsweise das Demokratiefördergesetz oder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das wir eigentlich auch reformieren wollten?

(Beatrix von Storch [AfD]: Da fragen Sie mal die Juden, was die davon halten! Schwachsinn!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden und wir müssen mit allen Seiten ins Gespräch kommen, um den Zusammenhalt zu stärken. So ist es auch wichtig, dass die Zweistaatenlösung im Antrag genannt wird. Es wäre auch wichtig gewesen, das Leid auf israelischer Seite und auch auf palästinensischer Seite zu nennen.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht drin!)

Ich denke, dass unsere Herzen Platz für das Leid auf allen Seiten haben. Ich glaube daran, dass erst, wenn wir das Leid anerkennen, das Verständnis füreinander wachsen kann.

Heute ist nicht der Schlusspunkt dieser Debatte. Wir müssen immer wieder auf Menschen zugehen und das Gespräch suchen. Das ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns spätestens jetzt stellen müssen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7617740
Wahlperiode 20
Sitzung 197
Tagesordnungspunkt Jüdisches Leben in Deutschland
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