Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - 35 Jahre Mauerfall
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Friedliche Revolution fing nicht auf der Straße an. Sie war nicht gleich eine Massenbewegung. Menschen haben sich getroffen: in Küchen, in Kirchen. Manche kamen dafür in den Knast. Es waren nicht die Ostdeutschen, die ihr Leben, die Freiheit aufs Spiel setzten für ein Leben in Freiheit, sondern es waren wenige, und ihr Mut, ihre Überwindung der Angst,
(Beifall der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
hat unser Land heute zu dem gemacht, was es ist, nämlich frei, demokratisch, in der Mitte Europas.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dass es anfangs wenige waren, hat wohl auch mit dazu geführt, dass manche, die dann im Herbst 1989 auf die Straße gingen, später das Gefühl hatten, die alte Bundesrepublik hätte irgendwie über die DDR gesiegt, weil die Fabriken schlossen, die Postleitzahlen angeglichen wurden und Nutella Nudossi im Regal verdrängte. Natürlich war das Stress – und der Frust verständlich. Aber ist das irgendein Grund dafür, die DDR-Diktatur im Rückblick in ein Erinnerungs-Bullerbü zu verwandeln?
Die eine sagt allen Ernstes – und sie meint die DDR –: Früher wurde mehr kritisch hinterfragt. – Nein, das ist Quatsch. In der DDR sah es so aus: Wer Dinge öffentlich kritisch hinterfragte, wer seine Meinung frei äußerte, stand mit einem Bein im Stasiknast.
(Daniel Föst [FDP]: Ja!)
Und so machen das Diktaturen – wir wissen das heute –, in Russland, in Belarus, im Iran. Nein, wer so etwas behauptet, betreibt Geschichtsklitterung und verrät das Erbe der Friedlichen Revolution.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Die andere behauptet: Früher hatten die Menschen noch Werte. – Welche Werte, bitte, sollen das gewesen sein? Das DDR-Regime raubte der Bevölkerung alle Freiheiten. Von freien Wahlen konnte keine Rede sein, reisen durfte man nur dorthin, wohin der Staat es zuließ, zum Studium durfte nur, wer dem Staat gerade würdig genug erschien. Solidarität erschien an jeder Hauswand, aber nur dann, wenn man regimetreu war, meine Damen und Herren. Nein, wer so etwas behauptet, betreibt Geschichtsklitterung und verrät das Erbe der Friedlichen Revolution.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Und noch andere behaupten: Früher war der Staat friedlicher. – Und sie meinen die DDR. Hä? Die DDR ließ Panzer auffahren und schlug einen Volksaufstand brutal nieder, sie sperrte ihre Bevölkerung mit Stacheldraht, Selbstschussanlagen und einer Mauer ein. In meiner Schule gab es, wie in allen anderen Schulen der DDR, vormilitärischen Unterricht. Nichts, wirklich gar nichts an der DDR war friedlich, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Daniel Föst [FDP]: Bravo!)
Wer heute anderes behauptet, verrät das Erbe der Friedlichen Revolution. Und es muss gesagt werden: Nein, das BSW ist keine Friedenspartei. Das BSW setzt mit seiner Ideologie unsere Sicherheit in unserem Land aufs Spiel, meine Damen und Herren. – Kleiner können wir es nicht machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Ja, es war längst nicht die Mehrheit, die die Freiheit anfangs erkämpfte. Aber die, die damals kämpften, wollten wirklich Veränderung, sie wollten ein besseres Land: ohne Spitzel, ohne Gift in den Flüssen, ohne Grenzen, die nicht überwindbar sind. Mit dieser Leidenschaft, mit diesen Ideen von einem guten, einem besseren, einem freien Land haben die wenigen die vielen dann mitgezogen. Und das ist das eigentliche Erbe, was es zu feiern gilt: dass es gelungen ist, die Angst zu überwinden, dass es gelungen ist, sich und andere dafür zu begeistern, es nicht so zu machen, wie man es immer schon gemacht hat.
Dass man zusammen Großes erreichen kann, auch wenn es zuerst illusorisch wirkt,
(Zuruf von der AfD: Deshalb AfD wählen!)
ist das, was wir gelernt haben sollten und was wir gerade heute in diesen schwierigen und unübersichtlichen Zeiten anwenden können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Denn die Themen sind auch heute noch groß: Autokraten, die versuchen, uns anzugreifen, immer noch fossile Abhängigkeit, Lügen und Hass.
Ja, die Menschen in der DDR sind auch gegen Lügen, Hass, Diffamierung von Minderheiten auf die Straße gegangen. Dafür braucht es Mut und Kraft, dafür braucht es die Überwindung von Angst. Wir haben sie, wenn wir aus der Vergangenheit lernen, aus der Verzagtheit ausbrechen und aufhören zu erzählen, warum was nicht geht.
Und noch etwas sollten wir heute feiern: Europa wurde erst als der freie demokratische Kontinent geboren, als der Eiserne Vorhang ihn nicht mehr schnürte. Das sollten wir nie vergessen. Ohne Polen, Rumänien, Litauen, all die anderen sind wir nicht wirklich gemeinsam Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zum Schluss lassen Sie mich an eines erinnern: Als wir hier 1991 die Einheit gefeiert haben,
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Die die Grünen nicht wollten!)
entstand in der Ukraine die erste Demokratiebewegung. 1991 hat sie die Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetunion erklärt. 2004 habe ich in der Orangenen Revolution mit anderen auf dem Maidan gestanden. 2014 brach Putin die Verträge und griff die Ukraine an, besetzte die Krim und führte gegen die Ukrainer Krieg – bis heute.
Sie müssen zum Schluss kommen.
Damals hat Deutschland leider mitgeholfen, Putins Macht und Aggressionsstreben noch einmal zu verlängern. Auch das ist eine Verantwortung, die wir heute haben,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Daniel Föst [FDP])
die Verantwortung für die Ukraine aus unserer eigenen Geschichte, meine Damen und Herren.
Es geht nicht, –
Sie müssen zum Schluss kommen.
– dass wir heute verharmlosen. Die Friedliche Revolution hat Mut gebraucht. Wir brauchen ihn heute wieder für unser gemeinsames Europa und den Frieden.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Tobias Matthias Peterka.
(Beifall bei der AfD sowie der Abg. Robert Farle [fraktionslos] und Thomas Seitz [fraktionslos])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617819 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 198 |
Tagesordnungspunkt | 35 Jahre Mauerfall |