Simona KoßSPD - 35 Jahre Mauerfall
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Ehrengäste! In meinem Wahlkreis in Bad Freienwalde existierte zu DDR-Zeiten ein Kindergefängnis für Kinder ab drei Jahren. Folter und Misshandlungen waren an der Tagesordnung.
Erst nach der Wende wurde das gesamte Ausmaß des Grauens bekannt. Zunächst herrschte die Meinung, die Kinder und Jugendlichen hätten diese Behandlung „schon irgendwie verdient“. Erst Schritt für Schritt wurde durch die Aufarbeitung bekannt, welche Verbrechen im Namen der SED-Diktatur begangen wurden. Erst nach und nach trauten sich Opfer, ihr Schicksal öffentlich zu machen. Sie treffen auch heute noch auf Menschen, die sie beschimpfen und verhöhnen und die historischen Fakten nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Das zeigt an einem drastischen Beispiel, dass schon viel geleistet worden ist, aber die Aufarbeitung ist noch längst nicht abgeschlossen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Knut Abraham [CDU/CSU])
Diese Arbeit, meine Damen und Herren, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Ich danke an dieser Stelle ganz herzlich insbesondere der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur, Frau Zupke, und den Landesbeauftragten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Außerdem danke ich der Bundesstiftung Aufarbeitung und den vielen ehrenamtlichen Initiativen. Ihre Arbeit ist für unser Land unverzichtbar.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD)
Mit dem Antrag der Koalition würdigen wir auch die aktive Rolle der ostdeutschen Oppositionellen, der Bürgerrechtsbewegung und der zahlreichen mutigen Unterstützer in den Wendejahren und im Vereinigungsprozess. Sie haben den Sturz der Diktatur herbeigeführt, und die deutsche Einheit ist vor allem ihr Verdienst.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Aber es gab auch noch die vielen anderen, die – aus welchen Gründen auch immer – die Proteste nicht unterstützt haben oder die nicht sehen wollten, was passierte, oder die Angst hatten vor Veränderung, die nicht einschätzen konnten, was die Nachrichten zum Beispiel aus Polen bedeuteten. Denn die polnische Solidarność hatte Aufmerksamkeit erregt und einen Anstoß gegeben, auch für die Menschen in der DDR. Einige fühlten sich ermutigt, andere waren verunsichert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist nun aus dem ostdeutschen Aufbruch in ein freiheitliches Land geworden? Warum hat die Erzählung von den Ostdeutschen als Opfer heute Konjunktur? Wie kommt es, dass für viel zu viele Menschen die SED-Diktatur immer schöner erscheint, je länger sie her ist? Wie kommt es, dass es nach der Erfahrung von zwei deutschen Diktaturen heute eine neue Hinwendung zu Autokraten gibt und eine menschenverachtende Tradition des völkischen Denkens, des Antisemitismus und des Rechtsextremismus wieder auflebt?
Welche Ursachen liegen dabei in der DDR begründet? Wie können wir die Erfahrung aus der Friedlichen Revolution positiv nutzen, um die heutige Demokratieverachtung zu bekämpfen? Wie können insgesamt die freiheitlichen Versprechen dieses Staates – Bildungsgerechtigkeit, Aufstiegschancen, eine gerechtere Verteilung des Reichtums – wieder glaubwürdiger zur Geltung kommen?
Lassen Sie uns darüber sprechen: in der Aufarbeitungspolitik, in den Schulen und am Abendbrottisch. Lassen Sie uns Menschen in Ost und West weiter darin unterstützen, diese teilweise schmerzhaften Diskussionen zu führen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vielen Dank. – Für die Unionsfraktion hat nun das Wort Maximilian Mörseburg.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617826 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 198 |
Tagesordnungspunkt | 35 Jahre Mauerfall |