Fabian FunkeSPD - 35 Jahre Mauerfall
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war ich noch nicht geboren. Demokratie gibt es in Sachsen, seit ich denken kann. Aber es ist genau diese Selbstverständlichkeit, die eine große Gefahr birgt; denn Demokratie ist alles andere als selbstverständlich. Überall dort, wo sie existiert, wurde sie erkämpft und kann auch wieder zerstört werden. Das erleben wir zurzeit weltweit, und den Versuch dazu gibt es auch in diesem Land. Deswegen ist es wichtig, in großem Respekt und Dankbarkeit gegenüber all denen, die diese Freiheit damals erkämpft haben, nach vorne zu schauen; denn damit wir auch 100 Jahre Mauerfall noch in einem demokratischen Deutschland feiern können, müssen wir unsere Demokratie pflegen.
Es gab unzählige Entwicklungen in den letzten 35 Jahren, die mich mit Selbstbewusstsein auf Ostdeutschland blicken lassen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ostdeutschland ist Vorreiter für Zukunftsindustrien; das hat auch Herr Kellner vorhin gesagt. Die Chipindustrie, die Wasserstoffinfrastruktur, die Fertigung von Elektroautos: Die ostdeutsche Industrie hat sich zu einem Eckpfeiler des Wohlstandes in Deutschland entwickelt.
(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Ulrike Schielke-Ziesing [AfD])
Sie ist für den wirtschaftlichen Erfolg der nächsten Jahrzehnte in diesem Land unverzichtbar. Gerade nach all den bitteren Erfahrungen der 90er-Jahre macht mich das als Ostdeutschen stolz.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Gleichzeitig bleibt es eine große Herausforderung, diesen Wohlstand in voller Breite Ostdeutschland zuteilwerden zu lassen. Viele Regionen haben sich vom Schock der Wiedervereinigung wirtschaftlich noch immer nicht erholt, von schließenden Betriebsstätten und fehlender Anerkennung für das Geleistete. Die Schere zwischen den abgehängten und den erfolgreichen Regionen wird immer größer. Die Durchschnittslöhne in Ostdeutschland liegen noch immer deutlich unter denen in Westdeutschland.
Die Frage bleibt weiter: Wem gehört eigentlich der Osten? Wie sind die Vermögen in diesem Land verteilt? Auch in den Führungsetagen sind Ostdeutsche weiterhin rar. Darunter leiden vor allem die Chancen junger Menschen meiner Generation; denn sie sind es, die in Zukunft Verantwortung für dieses Land übernehmen sollen. Die Unterschiede bei den Vermögen sind dafür ein Hindernis. Auch deswegen bin ich dem Staatsminister und Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland für Vorschläge wie beispielsweise das Grunderbe dankbar. Was wir im Osten zusätzlich brauchen, sind Investitionen, und zwar nicht ein Förderprogramm hier und ein Leuchtturmprojekt dort. Wollen wir ganz Ostdeutschland auf das Niveau heben, auf dem seine stärksten Regionen gerade voranpreschen, brauchen wir eine Regierung, die den Kommunen flächendeckend finanzielle Mittel zur Verfügung stellt; denn Lösungen für die Probleme vor Ort gibt es nur mit Handlungsfähigkeit vor Ort.
Das ist für mich der Schlüssel; denn ich teile die Überzeugung des Soziologen Steffen Mau, dass es an der Zeit ist, eine zentrale Erzählung der Wiedervereinigung zu hinterfragen, nämlich die sogenannte Angleichung der Lebensverhältnisse. Im Ziel der Angleichung schwingt mit, dass sich Ostdeutschland hin zum Westen entwickeln muss, dass die Wiedervereinigung erst dann abgeschlossen ist, wenn sich alle ostdeutschen Kennziffern – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich – denen Westdeutschlands angeglichen haben. Die D-Mark 1990 mag einem sinnvollen Gedanken entsprungen sein. Sie verkennt aber das pluralistische Wesen unserer Bundesrepublik. Schließlich würde auch niemand erwarten, dass sich die Kultur Bayerns an die Niedersachsens anpasst, dass sich die Demografie Dortmunds genauso wie die Freiburgs entwickelt oder dass die Wirtschaftsstruktur Hannovers der von Frankfurt am Main ähnelt.
(Beifall bei der SPD)
Der Osten bleibt anders – genauso wie Bayern, das Saarland und Schleswig-Holstein. Das zu akzeptieren, ist eine Frage des Respekts.
(Beifall bei der SPD)
Nur mit diesem Respekt und der Arbeit mit den lokalen Unterschieden – nicht gegen sie – wird es uns gelingen, Demokratie und Wohlstand in Ostdeutschland langfristig zu stärken.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die Gruppe Die Linke hat das Wort Sören Pellmann.
(Beifall bei der Linken)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617829 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 198 |
Tagesordnungspunkt | 35 Jahre Mauerfall |