Rolf MützenichSPD - Regierungserklärung zur aktuellen Lage
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ende unserer Koalition war schmerzlich, ja,
(Zuruf von der AfD: … aber notwendig!)
aber unausweichlich. Selbst wenn die kommenden Wochen anstrengend werden, meine Damen und Herren, müssen wir – und das ist mein Appell an das gesamte Haus – sachlich bleiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Maximilian Mordhorst [FDP])
Allein mit dem Wahlsieg Trumps werden die Sorgen noch größer, was Berechenbarkeit und Integrität betrifft.
(Zuruf von der FDP)
Genau diese beiden Dinge sind – bei allen Zwischenrufen – existenziell für die Demokratie, insbesondere für die parlamentarische Demokratie, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir die vor uns liegenden Aufgaben meistern wollen, dann ist dafür ein Mindestmaß an Kompromissen und Anstand erforderlich.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Anstand, ja!)
Die SPD-Fraktion möchte dazu beitragen, dass das weiterhin gelingt. Herr Kollege Merz, Sie wissen, ich bin nicht auf diesen Plattformen unterwegs, die Sie gerade kritisiert haben. Aber wenn es stimmt, dass sich eine Kollegin oder ein Kollege meiner Fraktion dieser fragwürdigen Technik der KI bedient hat, dann werde ich dafür sorgen, dass dieser oder diese Abgeordnete sich bei Ihnen entschuldigt, Herr Kollege Merz.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Historiker müssen später bewerten, ob das Scheitern unserer politischen Zusammenarbeit unausweichlich war.
(Zuruf von der SPD: Wer war es?)
Waren es strukturelle Gründe, oder waren es menschliche Unzulänglichkeiten? Ich glaube, am Ende war es vermutlich beides. Gleichwohl möchte ich feststellen – das sage ich auch an die Adresse des Kollegen Lindner –: Wichtiges ist der Koalition gelungen, und anderes wäre bei gutem Willen noch möglich gewesen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Viele Vorhaben, meine Damen und Herren, haben unser Land gerechter und nachhaltiger gemacht.
Herr Kollege Lindner, die Verbindung von Liberalismus, Ökologie und sozialem Miteinander war kein leichtfertiges Experiment. Sie haben gesagt: Wir haben uns nicht gesucht. – Ja, aber der Souverän hat uns dafür eine Mehrheit gegeben, und ich war damals, vor drei Jahren, überzeugt: Es ist in der Tat kein leichtfertiges Experiment, aber es ist an der Zeit, diese drei herausragenden politischen Fragen, die auch Deutschland in der politischen Theorie und Praxis mitbestimmt haben, zusammenzuführen. Ich muss aber heute bekennen, Herr Kollege Lindner: Vielleicht war meine Einschätzung leichtfertig. Ich hatte gedacht, der Liberalismus würde in seiner ganzen Breite in diese Koalition eintreten. Aber von Anfang an war der soziale Liberalismus nicht dabei, und das, Herr Kollege Lindner, war ein großes Versäumnis.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn unsere Aufgabe war nicht mehr und nicht weniger, als den Umbau der Arbeitsgesellschaft in sozialer Sicherheit mitzugestalten, neues Wirtschaften, das unser Klima schont, zu ermöglichen
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
und den Frieden zu stiften – nicht nur zu sichern, sondern immer wieder auch zu stiften. Deswegen sage ich auch: Krisenbewältigung, Anpassung und Wandel bleiben für die Zukunft die Prüfsteine, ob unser Land im Innern geordnet und ein guter Nachbar im Äußeren bleibt.
Ja, der russische Überfall auf die Ukraine hat nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch tiefe Veränderungen mit sich gebracht. Dennoch haben wir die politischen, die wirtschaftlichen und auch die sozialen Herausforderungen so gut wie möglich gemeistert: keine Massenarbeitslosigkeit, keine Energieengpässe und gleichzeitig umfangreiche militärische, finanzielle und humanitäre Unterstützung der Ukraine, ohne direkt in den Krieg verwickelt zu werden.
Deswegen sage ich für meine Fraktion: Ich bin dem Bundeskanzler dankbar, dass Deutschland eben nicht leichtfertig Marschflugkörper vom System Taurus, wie es hier im Parlament gefordert wurde, an die Ukraine liefert. Das würde die Verwicklung in diesen Krieg herbeiführen. Deswegen bin ich dankbar, dass der Bundeskanzler dem widerstanden hat, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Erfahrung, Besonnenheit und Solidarität bleiben die richtige Kombination für die kommende Zeit. Die SPD und der Bundeskanzler haben zusammen alle notwendigen Eigenschaften dafür, und wir haben sie in den letzten drei Jahren eingebracht. Aber in der Tat: Was einige in unserer Koalition nicht wahrhaben wollten, war, dass die Mittel für die Ukraine nicht gegen Investitionen in die Köpfe, in die Arme und in die Infrastruktur unseres Landes hätten ausgespielt werden dürfen.
Deswegen sage ich für meine Fraktion: Genau darum wird es am 23. Februar 2025 gehen. Soll unser Land weiter tief gespalten werden, oder wollen wir es zusammenführen? Wollen wir den sozialen Zusammenhalt gegen andere notwendige Investitionen in die Sicherheit ausspielen oder nicht? Das sind die Fragen, die sich stellen werden, und dafür steht unser Bundeskanzler Olaf Scholz.
(Beifall bei der SPD)
Sie haben verschwiegen – ich habe es wirklich vermisst, Kollege Lindner –: Ohne grundlegende Sicherheit gibt es auch keine Unterstützung der Bevölkerung für ein wirtschaftsfreundliches Umfeld.
(Beifall bei der SPD)
Die Sicherheit der anderen und die Sicherheit unserer Bevölkerung dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Mit Blick in die Zukunft gerichtet sage ich – denn der Souverän entscheidet; manche Rede, die ich heute hier gehört habe, suggerierte ja, dieses Parlament würde darüber entscheiden; das stimmt nicht, der Souverän ist jetzt gefragt –: Jede neue Regierung wird vor demselben Problem stehen, an dem die alte Regierung zerbrochen ist: Sie wird viel mehr Geld investieren müssen, als sie derzeit einnimmt.
(Stephan Brandner [AfD]: Sie schmeißen das Geld zum Fenster raus!)
Sie wird die Ungleichheit zwischen den vielen mit normalem Einkommen und den ganz wenigen mit sehr großem Vermögen anpacken müssen und zugleich in die internationale Sicherheit investieren müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Auch deswegen hatte ich immer wieder Gespräche über die Ausgestaltung unserer Verfassung für notwendige Investitionen angeregt und Solidarität der starken Schultern angemahnt. Leider kamen diese Gespräche nicht zustande, und ich befürchte, Herr Kollege Merz, wir haben kostbare Zeit verloren. Wenn Sie heute in der „Süddeutschen Zeitung“ plötzlich ankündigen: „Na ja, auch über die Schuldenbremse können wir reden“,
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nee!)
dann kann ich Ihnen sagen: Das ist zu spät,
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nee!)
zu wenig,
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nee!)
zu unambitioniert. Und ich sage Ihnen: Das ist genau das Merkmal, was die Leute an Ihnen erkennen werden: Sie taktieren nur, Sie kommen zu spät. Und das wird unserem Land nicht guttun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist genau die Herausforderung, vor der wir stehen.
Dass die letzten Jahre keine einfachen waren, ist doch offensichtlich. Deswegen: Ja, ich bekenne mich zu Fehleinschätzungen, auch zu persönlichen Unzulänglichkeiten.
(Stephan Brandner [AfD]: Davon gibt es genug bei Ihnen!)
Ich finde, am Ende einer Koalition gehört das auch dazu. Wo ich verletzend und unbeherrscht war, möchte ich mich entschuldigen.
(Beifall des Abg. Daniel Föst [FDP])
Ich will gleichzeitig auch sagen: Herr Kollege Dürr, ich bin froh, dass wir drei Jahre als Fraktionsvorsitzende zusammen versucht haben, Brücken zu bauen. Dafür bin ich Ihnen dankbar, und das werde ich Ihnen auch nicht vergessen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Gleichzeitig sage ich den Kolleginnen Haßelmann und Dröge: Ich hoffe, dass das Vertrauen ineinander, was wir uns in den dreieinhalb Jahren erarbeitet haben, auch über die kommenden Wochen hilft. Ich will dazu beitragen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin auch stolz auf meine Fraktion. In Zeiten großer Herausforderungen haben wir dem Kanzler und der Regierung den Raum für Kompromisse gegeben, selbst dann – das weiß ich, liebe Kolleginnen und Kollegen –, wenn manches bis an unsere Schmerzgrenze ging. Es tut mir leid, dass ich das abverlangt habe. Es war notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich sage auch: Die größte Fraktion im Deutschen Bundestag war solidarisch und verantwortungsvoll und wird es bis zum Ende der Legislaturperiode sein. Denn ich habe gelernt, als ich mich damals, 1975, für die Sozialdemokratische Partei entschieden habe: Sinn und Zweck des Regierens ist es, Dinge zu schaffen, die bleiben und die andere nicht mehr antasten: Sicherheit für Familien, Sicherheit für Arbeitsplätze, Sicherheit für die Demokratie, meine Damen und Herren.
(Stephan Brandner [AfD]: Da haben Sie ja 50 Jahre versagt!)
Aber auch ein gutes Verhältnis innerhalb des demokratischen Verfassungsbogens ist eine weitere Bedingung, damit unser Land keinen Schaden nimmt.
Deshalb war es gut, dass wir das Sondervermögen gemeinsam verankert haben. Seitdem gelingt auch die Stärkung unserer Sicherheit. Auch jetzt waren Gespräche über die Parteigrenzen hinweg notwendig, ja. Herr Kollege Merz, ich bin froh, dass wir einen Weg aufzeigen konnten, um den unwürdigen Streit über den Wahltermin zu befrieden. Ich finde – das darf man hier im Parlament auch mal sagen –, der Zeitpunkt von Wahlen ist kein Wünsch-dir-was-Konzert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aus guten Gründen – daran haben ja hier einige erinnert – gibt es rechtliche und praktische Voraussetzungen. Diese haben die Wahlleiter und insbesondere die Verantwortlichen in den Kommunen zu verantworten, aber jetzt auch zu tragen.
Es ist gut, dass wir uns auf den 23. Februar verständigen konnten. Jeder frühere Tag hätte die Wahlhelfer, die Wahlleitungen, aber auch die Parteien, die ja in den Wettstreit eintreten wollen, vor enorme Herausforderungen und Hindernisse gestellt. Und persönlich will ich sagen: Selbst der 23. Februar ist ambitioniert. Bei alledem sollten wir auch nicht vergessen: Ja, gestern durften wir dem Bundespräsidenten, unserem Staatsoberhaupt, unseren Zeitplan
(Stephan Brandner [AfD]: … diktieren!)
erläutern, und der Bundespräsident wird, wenn es so weit ist, allein in aller Souveränität und Verantwortung entscheiden.
(Beatrix von Storch [AfD]: Ganz allein!)
Das ist das Gebot der Verfassung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: 23. Februar!)
– Und genau an Ihre Adresse, weil Sie das nämlich tun: Wie leicht Demokratien durch regellose und unfaire Wahlen ins Straucheln geraten können, haben wir erleben müssen.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Wo denn?)
Das sollte uns allemal in Deutschland eine Warnung sein, auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Umso mehr bedaure ich auch die völlig überzogenen und haltlosen Angriffe auf die Bundeswahlleiterin.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Eine anerkannte Staatsdienerin so anzugreifen, ist nicht nur ungehörig,
(Beatrix von Storch [AfD]: Nur weil sie dummes Zeug redet!)
sondern nährt Unterstellungen gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes allgemein. Das gehört sich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn die Vertrauensfrage gestellt ist, dann sollten wir uns auf die notwendigen gesetzlichen Schritte verständigen – wir haben uns darüber unterhalten –, aber nicht, weil wir uns darüber unterhalten haben, sondern, weil wir die Sorgen der Menschen lindern wollen; die Sorgen, die sie oft am Jahreswechsel haben.
(Stephan Brandner [AfD]: Wo kommen die Sorgen denn her?)
Deswegen sind wir dafür, dass wir das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöhen, das Deutschlandticket verlängern, die steuerlichen Nachteile für Arbeitnehmer mildern, unseren Wirtschaftsstandort stärken, ja, und die Widerstandskraft des Verfassungsgerichts und des Bundestages steigern. Deswegen, Kollege Merz, bitte ich Sie sehr nachdrücklich: Schlagen Sie sich dort nicht in die Büsche!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe dies eben so verstanden. Es ist wichtig, dass die Menschen Sicherheit haben.
Sie können hier nicht behaupten, dass wir keinen Haushalt haben. Ja, es ist richtig: Wir haben einen vorläufigen Haushalt. Aber ein vorläufiger Haushalt ist davon getragen: Wenn es die Gesetze gibt, dann werden sie auch durch den vorläufigen Haushalt bedient. Und dies gilt auch bei der Entscheidung für mehr Kindergeld, für einen Kinderzuschlag, für das Deutschlandticket und für die Arbeitsplätze hier in unserem Land, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der kurze Wahlkampf wird anstrengend. Dabei geht es um eine politische Richtungsentscheidung und um die Frage, wer der bessere Kanzler ist. Es geht um Kompetenz, Erfahrung und Integrität. Olaf Scholz erfüllt alle Voraussetzungen. Wir und ich werden ihn mit ganzer Kraft unterstützen.
(Beifall bei der SPD)
Weil hier in den letzten Tagen zu oft nach der besten Schlagzeile oder einfachen Antworten geschaut wurde, möchte ich am Ende meiner Rede an einen Schlüsseltext der politischen Ethik –
(Zuruf von der AfD)
– politische Ethik ist für Sie ein Fremdwort; ich weiß – erinnern. Ich gebe Ihnen auch keine Buchempfehlung, aber ich möchte einfach an etwas erinnern, was unser Land groß gemacht hat und was Sie zerstören wollen.
Es war der große Soziologe Max Weber, der uns Normen und Verhalten für gutes Regieren an die Hand gegeben hat. 1919 stellte Max Weber in seinem Vortrag über „Politik als Beruf“ fest, dass es ein „abgrundtiefer Gegensatz“ ist, „ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt … oder unter der verantwortungsethischen“. Alle im politischen Raum – alle, meine Damen und Herren! – tätigen Menschen, eben nicht nur der Politiker, müssten über die voraussehbaren Folgen ihres Handelns Rechenschaft ablegen.
Marianne Weber erinnerte noch viele Jahre danach an die Absicht ihres verstorbenen Mannes. In einem Jahrzehnt der Kriege und anlässlich der Gründung unserer ersten Demokratie, was noch nicht so lange her ist, habe Max Weber Integrität, Ehrlichkeit und Vernunft bei der politischen Klasse angemahnt.
Deswegen finde ich – das als Abschluss –: Gerade heute in einer brüchigen Welt dürfen wir diese Anleitung für eine politische Ethik nicht vergessen. Später könnten andere für unser Übermaß und unsere Torheit bestraft werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat Dr. Alice Weidel für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7617951 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 199 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zur aktuellen Lage |