15.11.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 201 / Zusatzpunkt 11

Bärbel Bas - Aktuelle Stunde: Cannabis-Legalisierung - Auswirkung auf die innere Sicherheit

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es waren Wissenschaftler, es waren Experten und vor allem Praktiker aus Justiz, Sicherheit, Gesundheit und Wirtschaft, die eindringlich gewarnt haben: vor den negativen Konsequenzen, vor den trügerischen Zielvorstellungen und vor allem vor den verheerenden Signalen einer Cannabislegalisierung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einige waren dafür!)

Die massiven Bedenken zahlreicher Bundesländer – ich rede hier nicht nur von den unionsgeführten Bundesländern – wurden bedauerlicherweise einfach ignoriert.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Genau so war es!)

Was von der Bundesregierung als „Meilenstein“ in der Drogenpolitik angepriesen wurde, hat sich in der Praxis schon jetzt, also nach wenigen Monaten, als ein untauglicher Versuch erwiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Kristine Lütke [FDP])

Lieber Kollege Lauterbach, das Gesetz ist leider nicht nur inhaltlich und rechtlich mangelhaft ausgearbeitet worden. Vor allem wird dieses Gesetz nicht der Schutzpflicht des Staates vor Gesundheitsgefahren und damit erst recht nicht dem Kinder- und Jugendschutz gerecht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist eine Farce für den Kinder- und Jugendschutz!)

Was wollte man mit dem Gesetz erreichen? Gemäß der Gesetzesbegründung sollte die Cannabislegalisierung den Gesundheitsschutz stärken, die Justiz entlasten, den Schwarzmarkt eindämmen und die Organisierte Kriminalität bekämpfen;

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)

wir haben schon viel dazu gehört. Aber ich denke, dass genau das Gegenteil eingetreten ist.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Genau das ist passiert! – Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Denken ist das eine, Evidenz das andere!)

Und ich möchte das gerne anhand von Zahlen, Daten und Fakten Punkt für Punkt zeigen.

Erstens ignoriert dieses Gesetz in einem schon befremdlichen Maße die gesundheitlichen Risiken.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!)

Cannabis ist keinesfalls ein harmloses Genussmittel, sondern Studien belegen, dass Cannabiskonsum das Risiko für Angststörungen, Depressionen und Psychosen erheblich steigert.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht der Schwarzmarkt alles schlimmer! – Dorothee Bär [CDU/CSU], an die Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gewandt: Das müsste man als Psychiaterin eigentlich wissen!)

Zweitens war ein zentrales Argument für die Legalisierung die angebliche Entlastung unserer Justiz. Und auch hier zeigt die Realität leider das glatte Gegenteil. Die völlig unnötige Amnestieregelung hat dazu geführt, dass bundesweit über 210 000 Akten durch Staatsanwaltschaften und Gerichte

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

manuell überprüft werden müssen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn! – Widerspruch der Abg. Heike Baehrens [SPD])

Verfahren müssen nicht nur daraufhin geprüft werden, ob sie unter diese Amnestieregeln fallen, sondern Verfahren müssen in Teilen komplett neu aufgerollt werden.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Die gesamten Strafen sind alle hinfällig! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Unfassbar! – Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind die anderen Bundesländer schon viel weiter! – Zurufe von der SPD)

Da geht es um die Frage: Liegt nur ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vor, oder geht es auch um weitere Straftaten? Wenn das der Fall ist, müssen neue Gesamtstraftaten gebildet werden. Das bedeutet: Die Justiz wird mit Aufgaben belastet, Ressourcen werden verschwendet,

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die anderen Bundesländer schon geschafft! Das ist ja ein Ding: Berlin noch gar nicht?)

die an anderer Stelle natürlich fehlen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn die Altfälle aber erst mal abgearbeitet sind, wird es auch nicht besser. Wir haben im Cannabisgesetz großzügige Freimengen für den privaten Gebrauch. Sehr kurios sind die Abstandsregelungen, die für die zuständigen Behörden einen erheblichen Aufwand verursachen. Das bedeutet in der Praxis: Die Staatsanwaltschaft wird die Polizei wohl mit Maßbändern losschicken müssen, um zu prüfen, ob der Joint auch wirklich mehr als 100 Meter entfernt vom Kinderspielplatz, von Schulen oder Fußgängerzonen geraucht wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist geändert worden! Ist das eine Rede von vor der Gesetzgebung?)

Drittens war eines der zentralen Versprechen die Eindämmung des Schwarzmarktes. Wir dürften uns, glaube ich, alle einig sein, dass der Zeitraum zwischen Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April und der Gründung der ersten Anbauvereinigung im Spätsommer den Schwarzmarkt erst mal angekurbelt hat.

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht so! Stimmt nicht!)

Es war und es ist naiv, zu glauben, dass allein die Legalisierung den Schwarzmarkt austrocknen wird. Warum? Ein Großteil der Konsumenten wird weiterhin auf illegale Angebote zurückgreifen, weil die legalen Produkte teurer sind, die legale Anschaffung mit bürokratischem Aufwand verbunden ist und die Anbauvereinigungen nicht im erforderlichen Umfang liefern können.

Und viertens – ich komme jetzt zu den besonders gravierenden Folgen für die innere Sicherheit –: Das Gesetz ist in der Tat ein Geschenk, ein großes Geschenk für die Organisierte Kriminalität.

(Heike Baehrens [SPD]: Was für ein Unsinn!)

Die Organisierte Kriminalität wird nahezu eingeladen, ihre lukrativen Geschäfte in Deutschland auszuweiten,

(Heike Baehrens [SPD]: Nein! – Weitere Zurufe von der SPD)

weil der Verfolgungsdruck erstens mit der Herabsetzung von Strafen, zweitens mit der inzwischen schnellen Verjährung und drittens mit den erheblichen Einschränkungen bei Ermittlungsmaßnahmen deutlich gesunken ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Megaerfolg der Ampel! Toll gemacht! Großartig! Ihr seid fantastisch!)

Mit der Herabsetzung der Strafen meine ich, dass der Handel mit 1 Tonne Cannabis mittlerweile nicht schwerer geahndet werden kann als ein einfacher Diebstahl. Das ist Fakt. Die Verjährungsfristen für cannabisbezogene Straftaten wurden drastisch verkürzt.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Völlig irre!)

Wo früher zum Beispiel eine Verjährungsfrist von 20 Jahren galt, beträgt diese in vielen praktischen Fällen nur noch fünf Jahre.

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Strafnormen für die Organisierte Kriminalität sind ja angehoben worden!)

Ich darf auf die zahlreichen Verfahren aus dem internationalen Komplex Encrochat erinnern, die bei cannabisbezogenen Straftaten nun in der Verjährung und damit in der Einstellung der Verfahren zu enden drohen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Tino Sorge [CDU/CSU], an SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gewandt: Wollt ihr das? – Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Die Strafverfolgungsbehörden sind mit erheblichen Einschränkungen bei den verdeckten Ermittlungsmaßnahmen konfrontiert. Die durch das Gesetz eingeschränkten Möglichkeiten erschweren die Detektion der Netzwerke der Drogenkriminalität. Der Verzicht auf notwendige Ergänzungen in der Strafprozessordnung führt dazu, dass die Überwachung von Kommunikationsmitteln bei schwerwiegenden Drogendelikten nicht mehr ohne Weiteres möglich ist.

Damit komme ich zu einem Fall aus der Praxis, damit die Tragweite dieser Änderungen verdeutlicht wird. Ein Angeklagter, der 450 Kilogramm Marihuana in die Bundesrepublik eingeführt hatte, musste freigesprochen werden. Er ist freigesprochen worden, weil die Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungen inzwischen aufgrund der rechtlichen Änderungen nicht mehr gegen ihn verwendet werden konnten.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was sagt denn die SPD dazu? – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das wollt ihr wahrscheinlich so! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Vielen Dank, liebe Ampel!)

Der Verfolgungsdruck ist zusätzlich durch die hohen Toleranzgrenzen für den Cannabisbesitz deutlich gesunken. Dealer können sich sicher sein, dass sie straffrei bleiben, solange sie nicht mehr als 25 Gramm bei sich führen. Das ist schon eine aberwitzig hohe Menge, die mit einem Gelegenheitskonsum so wenig zu tun hat wie eine Kofferraumladung voller Alkohol.

Das Gesetz gibt Kriminellen einen gefährlichen Spielraum. Der Staat verliert zunehmend die Kontrolle über den Drogenmarkt.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist doch das Ziel der Ampel!)

Die Organisierte Kriminalität wird dieses Machtvakuum füllen. Wir sehen bereits jetzt, wie sich diese gefährliche Entwicklung auswirkt.

(Heike Baehrens [SPD]: Gucken Sie sich mal die Kontrollen hier in Berlin an!)

Jetzt komme ich zur Mocro-Mafia. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen bekämpft die sogenannte Mocro-Mafia. Das ist eine niederländisch-marokkanische Organisation,

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

die für brutale Kämpfe um den Drogenmarkt bekannt ist. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sich dieses Phänomen auf die gesamte Bundesrepublik ausweitet. Die ersten Anzeichen sind bereits sichtbar.

Als Ergebnis kann ich dieses Gesetz nur als einen Irrweg bezeichnen. Es gefährdet die Gesundheit. Es belastet die Justiz. Es stärkt den Schwarzmarkt und öffnet der Organisierten Kriminalität Tür und Tor.

(Zurufe von der SPD)

Insofern, Herr Minister Lauterbach: Eine verantwortungsvolle Politik geht aus meiner Sicht anders. Sie hatten gefragt, was das Konzept der Union ist. Das Konzept ist, dieses Gesetz aufzuheben,

(Kristine Lütke [FDP]: Tolles Konzept!)

bevor es unserem Land weiteren, nachhaltigen Schaden zufügt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion Dunja Kreiser.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Darauf muss man gar nicht mehr antworten! Es ist alles gesagt jetzt!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7618313
Wahlperiode 20
Sitzung 201
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Cannabis-Legalisierung - Auswirkung auf die innere Sicherheit
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