Bärbel Bas - Mindestspeicherung von IP-Adressen, StPO
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war der 20. September 2022, als der Europäische Gerichtshof entschieden hat: Das Speichern von IP-Adressen bei der Kriminalitätsbekämpfung ist zulässig. Und wenn wir heute erneut über das Thema sprechen, dann sprechen wir unweigerlich auch über eine Zahl: Diese Zahl lautet 40 000.
Meine Damen und Herren, 40 000 Verfahren im Bereich der Kinderpornografie konnten seit dem 20. September 2022 nicht weiterverfolgt werden, weil es in Deutschland dafür keine Rechtsgrundlage gibt, obwohl der EuGH das möglich macht. 40 000 Verfahren gegen Straftäter, gegen die der Verdacht besteht, dass sie Kinder missbrauchen und kinderpornografisches Material herstellen, 40 000 Verfahren mit unzähligen Bildern und unzähligen Opfern mussten eingestellt werden, weil es in Deutschland keine Rechtsgrundlage gibt.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So ist es leider!)
Abscheuliche und feige Taten. Abscheuliche und feige Täter. Sie sind einfach davongekommen, und die meisten machen einfach weiter, meine sehr geehrten Damen und Herren, obwohl wir es in Deutschland hätten verhindern können. Die Tatsache, dass Deutschland seit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht handelt, kann man nicht anders bezeichnen als einen Offenbarungseid in diesem Land.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und ich will auch das sehr deutlich sagen: Datenschutz darf kein Täterschutz sein, und Kinderschänder haben kein Recht auf Privatsphäre.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Denise Loop [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir müssen handeln! Wir müssen das beenden! Und insbesondere dürfen wir nicht bereit sein, das einfach so weiterzumachen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Damit wir nicht im Ungefähren bleiben – denn die Debatte ist oftmals sehr im Ungefähren und oftmals am Rande –, will ich Sie fragen: Erinnern Sie sich eigentlich an die Darknet-Plattformen „Elysium“ und „Boystown“? Es ist verstörend. Es ist verstörend, was die Beamten des BKA, was unsere hessischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, was hessische Polizisten dort zu sehen bekommen haben: schreckliche Bilder, abscheuliche Chats, abscheulichste Dinge, menschliche Abgründe. Und sie haben vor allem eins zu sehen bekommen: Sie haben Leid zu sehen bekommen. Sie haben das Leid von denen gesehen, die wir eigentlich schützen müssten. Sie haben Leid von Babys, Leid von Kindern und Leid von Jugendlichen gesehen. Die jüngsten Opfer sexuellen Missbrauchs sind ein paar Monate alt.
Unsere Ermittler bekommen Täter zu sehen, die Tag für Tag viele Megabyte große Datenpakete hoch- und auch runterladen. Unsere Ermittler müssen zusehen, wie Nutzer mit Namen wie „Geiler Daddy“ im Internet nach Videos von gequälten Kindern suchen. Unsere Ermittler müssen zusehen, wie ein Nutzer namens „Mad Mouse“ sich im Netz mit einem Mann in Wien verabredet, um ein Geschwisterpärchen zu vergewaltigen. Die Geschwister sind vier und acht Jahre alt – vier und acht Jahre!
Und, meine Damen und Herren, wir sprechen hier nicht von perversen, besonders perversen Einzelphänomenen. Nein, es handelt sich um ein Massenphänomen. Die Plattform „Boystown“ hatte 400 000 – 400 000! – registrierte User. Das ist in etwa die Einwohnerzahl von Bochum oder von Wuppertal, und, um eine hessische Stadt zu nennen, es ist das Doppelte von Kassel. Das ist die Dimension, über die wir heute sprechen.
Meine Damen und Herren, wissen Sie, warum die Staatsanwälte und die Polizisten diesen Horrorplattformen den Garaus machen konnten? Nicht wegen der Rechtslage, nicht weil wir gehandelt haben. Nein, sie konnten das einzig und alleine deswegen tun, weil wir Glück hatten. Sie konnten es einzig und alleine deswegen tun, weil ausgerechnet der Telekommunikationsanbieter, den diese Kriminellen genutzt haben, deren IP-Adressen gespeichert hatte. Es war Zufall, dass wir diese Plattformen abschalten konnten.
Aber das darf doch nicht der Weg sein. Es kann doch nicht sein, dass es vom Zufall abhängt, dass wir Kinderschändern ihr abscheuliches Handwerk legen können, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nein, das darf nicht der Weg sein. Kommissar Zufall ist nicht die Lösung.
Es gibt keine Alternative zu einer gesetzlich verankerten Mindestspeicherung von IP-Adressen. Die IP-Adresse ist der einzige Anhaltspunkt zur Identifizierung des Täters. Und wer den Strafverfolgungsbehörden die Mindestspeicherung von IP-Adressen vorenthält, der verhindert de facto – es ist nichts anderes – die Identifizierung der Täter und ermöglicht ihnen – auch da gibt es keine zwei Meinungen – systemische Straflosigkeit. Das ist die Realität, über die wir sprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine unerhörte Zuspitzung, die Sie hier machen! Absolut unlauter, wie Sie hier argumentieren!)
– Interessant. Der Zwischenrufer findet sich ja glücklicherweise im Protokoll wieder.
(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, zum Glück! Genauso wie Ihre unterirdische Rede!)
Und, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, jeder muss wissen, dass es in einer Vielzahl der Fälle – es passt sehr gut, dass Sie jetzt zwischengerufen haben – der Verbreitung von Kinderpornografie zum Realmissbrauch kommt, ein Missbrauch, der in einer Vielzahl der Fälle sogar anhält. Das sollten Sie sich überlegen, wenn Sie solche Zwischenrufe machen!
(Beifall bei der CDU/CSU – Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bestreitet keiner! Aber Ihre Unterstellungen sind infam! Und das wissen Sie auch!)
Ich will auch das in aller Deutlichkeit hier an diesem Ort sagen: Das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren ist nichts als ein Etikettenschwindel. Vergessen Sie das Quick-Freeze-Verfahren! Es ist großer Quatsch. Es hat keinen Nutzen, es ist keine Alternative.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thorsten Lieb [FDP]: Aber der Bundesrat hat es doch befürwortet!)
– Lieber Herr Lieb, es tut mir leid, dass ich den Freunden der FDP das zurufen muss: Es gibt niemanden außer der FDP, der ans Quick-Freeze-Verfahren glaubt, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist einzig und allein die Speicherpflicht, die hilft. Das BKA sagt eindeutig: Bei einer einmonatigen Speicherpflicht steigt die Aufklärungsquote auf über 90 Prozent.
Die Entscheidung des EuGH ist ein klarer Arbeitsauftrag an uns alle. Heute können wir ihn umsetzen. Machen Sie den 5. Dezember zum Tag des Kampfes gegen Kinderpornografie! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist gezielt, er ist maßvoll, er ist angemessen, er ist unionsrechtskonform. Auf was warten wir eigentlich noch? Was diskutieren wir eigentlich noch, meine sehr geehrten Damen und Herren?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Falsch verstandene Liberalität, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, schützt die Falschen, und falsch verstandene Liberalität gefährdet die, die wir eigentlich schützen müssen.
Es ist allerhöchste Zeit. Acht deutsche Länder, die von Christdemokraten, von Christsozialen, von Sozialdemokraten und auch von Grünen regiert werden, die über 60 Millionen Deutsche repräsentieren, machen Ihnen heute einen Vorschlag – diesen Vorschlag, über den ich heute rede. Und ich bitte Sie, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, um Ihre Unterstützung für diesen Vorschlag.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion Sebastian Fiedler.
(Beifall bei der SPD)
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Electoral Period | 20 |
Session | 203 |
Agenda Item | Mindestspeicherung von IP-Adressen, StPO |