Helge LimburgDIE GRÜNEN - Mindestspeicherung von IP-Adressen, StPO
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlich willkommen, Herr Ministerpräsident Rhein, hier im Plenum. Ich kann sagen: Ich hoffe, dass Sie in den kommenden Jahren noch viele Male hier im Bundestag die stärkste Oppositionsfraktion verstärken werden.
(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Sie müssen Ihren eigenen Leuten den Witz erklären!)
Ihre Rede hat allerdings auch beispielhaft gezeigt, was eines der großen Probleme in der Debatte rund um die Vorratsdatenspeicherung der letzten 15 Jahre ist. Immer wieder werden von den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung – genau so, wie Sie es gerade getan haben – in geradezu perfider Weise schlimmste Straftaten ins Feld geführt, um daraus dann ohne jegliche Abwägung mit anderen Rechtsgütern einfach pauschal erstens die Vorratsdatenspeicherung zu fordern und zweitens all diejenigen, die für eine differenzierte Abwägung sind, wie sie in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein sollte, zu diffamieren und zu diskreditieren, so wie Sie das hier unverschämterweise getan haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sie differenzieren nicht! Sie machen einfach nichts! Seit wann ist Ihr Nichtstun differenziert? – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Verdrehung der Tatsachen!)
Herr Rhein, Grundgesetz und Verfassung binden uns alle, auch Sie. Dazu gehören das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Abwägung. Und Herr Kollege Krings, das wissen Sie in Wahrheit ganz genau.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sie tun nichts! Sie differenzieren auch nicht!)
Es geht hier gar nicht in erster Linie um die Abwägung zwischen schützenswerten Grundrechten von Tätern – das ist nicht unser Punkt –, sondern die Vorratsdatenspeicherung, wie Sie sie fordern, betrifft alle Menschen in diesem Land, auch alle Unschuldigen. Da muss mal eine Abwägung stattfinden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Mit einem minimalen Eingriff! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was machen Sie denn für eine Abwägung? Das ist ja unsäglich!)
Sie wollen hier ein Strafverfolgungsinstrument, das anlasslos alle Menschen, die das Internet nutzen – übrigens auch alle Kinder in diesem Land; da steigen die Zahlen –, in ihren Grundrechten betrifft, einfordern.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Schwerste Rechtsbrüche auf der einen Seite und ein minimaler Eingriff auf der anderen Seite! Also die Abwägung ist klar! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber das ist doch nicht gleich gewichtet! Menschenskinder! Da werden Kinder missbraucht!)
Das Mindeste, was ein Rechtsstaat verlangt, wäre eine differenzierte Abwägung. Sie sind dazu entweder nicht willens oder nicht in der Lage. Beides ist beschämend in einer Rechtsstaatsdebatte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Dr. Holger Becker [SPD] – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Unglaublich, was Sie hier erzählen! Unglaublich!)
Ihre Legende, dass es ganz einfach wäre, eine Vorratsdatenspeicherung einzuführen, man müsse nur wollen, ist ja so alt wie die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung selbst.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Und richtig!)
Im Jahr 2007: CDU/CSU und SPD führen die Vorratsdatenspeicherung ein. Keine drei Jahre später, 2010, das Urteil: verfassungswidrig.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Rechtsgeschichte wird hier gemacht statt Politik!)
2014: Der Europäische Gerichtshof erklärt die entsprechende EU-Richtlinie für europarechtswidrig.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wie wäre es mal mit Politik statt Geschichte?)
2015: Die Große Koalition, CDU/CSU und SPD, haben ein Déjà-vu, lernen nichts, führen die Vorratsdatenspeicherung wieder ein. Diesmal hält es ein paar Jahre länger. Erst kippen Verwaltungsgerichte die Anwendung, 2022 schließlich der EuGH und 2023 das Bundesverfassungsgericht. Ihre Zusammenarbeit von CDU/CSU und SPD ist im Bereich der Innen- und Rechtspolitik der koalitionsgewordene Verfassungsbruch. Das darf sich nicht fortsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das sagt uns die Verfassungsbrecherkoalition! Schuldenregel! Wahlrecht! Untersuchungsausschuss verweigert!)
Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat – ich habe es vorhin gesagt – verlangt von allen, vom Gesetzgeber und von den Strafverfolgungsbehörden, eine Abwägung zwischen verschiedenen Grundrechten und Grundpflichten. Natürlich, Herr Fiedler, wir sind für differenzierte Diskussionen immer dankbar. Aber zu einer differenzierten Diskussion gehört eben, die verschiedenen Rechtspositionen, auch die all der unschuldigen Menschen in diesem Land, die dann notwendigerweise Ziel von Strafverfolgungsbehörden werden, in der Debatte mitanzuerkennen und sie miteinzubeziehen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Bedauerlich ist auch, dass Sie sich in der Diskussion – das hat Ihnen meine Kollegin Loop beim letzten Mal schon erläutert – um Kinderschutz immer rein auf diesen Aspekt der Strafverfolgung beschränken.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Keine Anträge von Ihnen zum Thema Prävention, keine Anträge von Ihnen zum Thema „Stärkung von Kindern“, zu anderen Ermittlungsinstrumenten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Sie versuchen allein, zu fokussieren, weil es Ihnen in Wahrheit darum geht, irgendeinen argumentativen Hebel zu finden, um Ihre Vorratsdatenspeicherungsideologie hier umzusetzen.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Da fällt einem nichts mehr ein! Echt!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat: Es ist Wahlkampf. Und da lohnt es sich auch mal, genauer hinzuschauen, wie denn das Verhalten im Bundesrat eigentlich ist. Als es diese Koalition noch gab, haben wir uns als Konsequenz aus Solingen auf ein Sicherheitspaket verständigt. Dieses sah auch erweiterte Befugnisse für unsere Sicherheitsbehörden vor. Dieses Sicherheitspaket ist dem Bundesrat zugeleitet worden.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)
Und dann, Herr Ministerpräsident Rhein, haben unter anderem Sie das Sicherheitspaket verhindert und blockiert, weil Sie aus billigen parteitaktischen Erwägungen dieser Regierung keinen Gesetzeserfolg gönnen, selbst wenn es um elementare Sachen wie unser aller Sicherheit geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])
Die Union hält hier Schaufensterreden und stellt Schaufensteranträge. Wenn es hart auf hart kommt, blockieren Sie mehr Maßnahmen für unsere Sicherheitsbehörden.
(Denise Loop [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es nämlich! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie wollen es doch gar nicht durchsetzen!)
Das ist die Realität in diesem Land, und das muss hier einmal so klar gesagt werden.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Stephan Brandner.
(Beifall bei der AfD)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 20 |
Session | 203 |
Agenda Item | Mindestspeicherung von IP-Adressen, StPO |