Helge LindhSPD - Migrationspolitik
Guten Tag! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich höre gerade den Zwischenruf: „AfD-blaue Schuhe: Finde ich toll!“. Lieber AfD-blaue Schuhe als AfD-blaues Hirn; das würde dem Land guttun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aber jetzt erst mal Ihren epochalen Wortbeitrag, Herr Dr. Baumann, aufnehmend: Die Frauen in Deutschland verwehren sich dagegen, dass Sie von „unseren Frauen“ sprechen, und das entlarvt auch das Ganze.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist ja das perfide wie auch dämliche – leider bei manchen verfangene – Prinzip, dass Sie sich zu 99 Prozent Ihrer Arbeit bei anderen Themen null darum scheren, wie es um Frauenrechte, Femizide und sonst wie steht. Aber wenn es Ihnen angenehm ist, das im Kontext der Migration auszubeuten, fällt Ihnen plötzlich Ihr besonderes Interesse an dem Schicksal von Frauen ein. Das ist so scheinheilig, doppelmoralisch und selbstgerecht, dass man schreien möchte.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das nimmt Ihrem Anliegen jede Berechtigung. Bei Antisemitismus und anderen Themen ist es genauso: rein instrumentell, ohne jede Haltung, ohne jede Überzeugung.
Deshalb ist Ihr Kalkül – das muss man im Sinne eines guten Parlamentarismus auch sagen –, jetzt hier sozusagen das Spiel zu spielen und zu versuchen, die CDU vorzuführen und damit entsprechend zu taktieren, ja auch durchschaubar. Ich finde, es gebietet auch der Anstand im Umgang miteinander, die CDU davor zu schützen.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
Da bestehen sehr wohl deutliche Unterschiede, und das sage ich hier auch so deutlich.
Allerdings sage ich auch,
(Josef Oster [CDU/CSU]: Nichts „allerdings“!)
dass mittlerweile einzelne Forderungen der inzwischen ja zum Regelprinzip gewordenen Forderungen der AfD nach generellen Zurückweisungen auch Eingang in Anträge und Forderungen der Union gefunden haben.
(Zuruf von der AfD: Ach!)
Das ist eine nüchterne Bestandsaufnahme. Deshalb machen Sie es der AfD leider leicht, auf Anträge der Union verweisen zu können und die zum Teil wortgleich vorzulegen.
Das ist in der Tat eine deutliche Verschiebung. Denn ich erinnere mich noch daran, wie wir hier Anfang 2018 gemeinschaftlich – abgesehen von der AfD – deutlich und in aller Klarheit generelle Zurückweisungen abgelehnt haben. Diese Deutlichkeit ist leider geschwunden. Und auch die Union hat sich ja am Ende dagegen entschieden.
Ich erinnere mich noch ganz vage an die Auseinandersetzung von Merkel und Seehofer. Das Ergebnis war, dass man – übrigens auch das BMI – der Überzeugung war: Es geht nicht, weil es gute und überzeugende rechtliche Gründe gibt, dass wir nicht etwas durchsetzen können, was gegen europäisches und internationales Recht verstößt. Wir können auch nicht das Kalkül gelten lassen – und das ist auch das Prinzip dieses Antrags –: Machen wir es einfach! Uns interessiert internationales Recht nicht. Und wenn es dann irgendwann vor Gericht kassiert werden sollte, ist es uns auch egal.
Das ist nicht das Prinzip dieser Regierung. Wir sind für Humanität, Ordnung und Steuerung auf der Basis des Rechts, weil wir unsere Rechte nicht für billige Gewinne von Wählerstimmen verscherbeln. Das ist unanständig, und das ist nicht machbar.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Was Sie tun, ist ja Unrecht! – Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])
Es kommt noch hinzu, dass es ja Vorschläge gibt. Das ist das Interessante an dem Ganzen: dass wir uns hier in einer absurden Debatte befinden. Zum Beispiel haben der Kanzler und das BMI einen maßgeblichen Vorschlag für eine europarechtskonforme Zurückweisung an den deutschen Grenzen im Modus der Dublin-Rücküberstellung – komplett konform mit der Dublin-Verordnung – vorgelegt. Das Ergebnis war: Ablehnung der Union. Und von der AfD brauchen wir gar nicht zu reden. Das heißt, die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Man könnte sich ihnen anschließen und sie unterstützen. Nichts ist geschehen, weil man das Thema lieber weiter köcheln lassen will.
(Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])
Und dann gucken wir uns doch mal den Tatbefund an. Was haben die Ampelregierung und jetzt in der Nachfolge Rot-Grün gemacht? Wir haben genau das gemacht, was unbequem ist, aber was der richtige Weg ist, nämlich beides miteinander versöhnt: Menschlichkeit und Rechtsstaatsdurchsetzung. Aber mit dem Unterschied, dass wir der Meinung sind: Rechtsstaatsdurchsetzung, Law and Order, Recht und Ordnung, das geht ohne jeden rassistischen Muff und ohne Ressentiments. Das ist verdammt noch mal auch unsere Pflicht gegenüber allen Menschen mit internationaler Familiengeschichte, mit Fluchthintergrund oder wie auch immer in diesem Land. Sie verdienen es nicht, dass Rechtsstaatspolitik auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Das macht auch dieses ganze Vorgehen so schändlich.
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Ganz viele Menschen in diesem Land, die eingewandert oder geflüchtet sind, fordern auch Ordnung und Prinzipien. Sie unterstützen auch ein Einwanderungsrecht. Sie unterstützen konsequente Abschiebungen. Es wird aber immer fragwürdig, wenn das wie bei Ihnen mit offensichtlich völkischen und rassistischen Vorstellungen von Menschengruppen kombiniert wird. Das ist das Perfide daran. Es wird genauso durchschaubar, wenn es mit der Forderung verbunden wird, grundsätzlich alle Aufnahmeprogramme abzustellen, das Staatsangehörigkeitsrecht wieder zu schleifen und auf alte, völkische Blut- und Bodenprinzipien zurückzuführen.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Das ist inakzeptabel und mit uns nicht zu machen. Und das zeigt, dass es Ihnen überhaupt nicht um den Rechtsstaat geht. Ohnehin: Bei Ihrem eigenen Handeln ist Ihnen der Rechtsstaat ja sowieso egal, was man sieht, wenn man mal in die Reihen Ihrer Mitarbeiterschaft guckt.
(Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])
Gucken wir uns mal an, was geschehen ist. Die Zahl der Ausreisepflichtigen, über die ja jetzt so viel diskutiert wird, ist nicht unter einem SPD-Kanzler gewachsen,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ja, weil Sie allen die Staatsbürgerschaft gegeben haben!)
ist nicht unter der Ampelregierung gewachsen, sondern sie ist in dem Fall angewachsen unter langer CDU-Kanzlerschaft und auch CDU/CSU-Innenministern; das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Die Schuld kann man dieser Regierung wahrlich nicht geben. Die Asylantragszahlen und noch mehr die Asylgesuchzahlen sind deutlich zurückgegangen: 40 Prozent bzw. 25 Prozent, das ist das aktuelle Ergebnis. Diese Politik wirkt.
(Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Diese Regierung hat ein Chancen-Aufenthaltsrecht gemacht, das umfassend genutzt wird, das aber nicht den Automatismus bedeutet, ein Bleiberecht zu bekommen, sondern das genau das macht, was der Name sagt: dass es Chancen für diejenigen eröffnet, die sich besonders anstrengen, die ihren Lebensunterhalt sichern, die nicht straffällig geworden sind, die ihre Identität klären. Das ist wirklich mal vernünftige Politik, die aber nicht dem populistischen Impuls nachgibt.
Welche Regierung hat einen europäischen Kompromiss hinbekommen? Die letzten waren es nicht. Diese Regierung war es. Alle haben gepredigt: Wir brauchen die europäische Einigkeit. Jetzt liegt sie vor. Plötzlich wollen alle nationale Alleingänge. Wir machen den Menschen doch etwas vor. Es geht darum, glaubhaft über Abschiebungen zu sprechen. Diese Regierung hat mehrfach ein Abschiebungsrecht etabliert, das so konsequent, so klar und auch in Teilen so hart ist, wie es noch nie war. Das ist Fakt.
Dass aber Abschiebungen seriell scheitern, ist wahrlich nicht Ergebnis des Handelns dieser Bundesregierung, sondern das hat mit der Situation in den Kommunen und Ländern zu tun. Diese Ehrlichkeit gibt es hier im Raum nie; die benennen Sie nicht. Was Sie aber machen, ist Täuschung der Menschen in diesem Land.
Wir haben gesehen, dass ganz viele Menschen, die real längst Teil dieses Landes sind und hier arbeiten, Steuern zahlen, Sozialversicherungsbeiträge zahlen, überhaupt nicht abgeschoben werden können und auch nicht sollten. Diese haben die Möglichkeit, zu bleiben. Andersrum ist bei Straftätern alles gemacht worden, um die Bedingungen zu verschärfen.
(Josef Oster [CDU/CSU]: Ja, genau!)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Am Ende sehen wir, dass viele eine Anerkennung bekommen, und zwar weil das BAMF und die deutschen Gerichte ordentlich arbeiten.
Sie müssen sich also entscheiden:
Lieber Herr Lindh, letzter Satz.
Wollen Sie in einem Rechtsstaat leben, der europäisches und internationales Recht anerkennt, oder ist es Ihnen lieber, um billig Menschen für Ihre Position zu gewinnen, das Recht zu schleifen und gegen die Menschenwürde zu verstoßen?
(Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])
Wir haben uns entschieden: für die Menschenwürde, für den Rechtsstaat.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Gegen Deutschland!)
Das ist der Unterschied.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich grüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen. – Wir führen die Debatte fort. Der nächste Redner ist für die Unionsfraktion Detlef Seif.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7618787 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Migrationspolitik |