Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde: Wirtschaftswende, Mercosur-Abkommen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der geopolitischen Lage ist es wichtig und richtig, dass die Bundesregierung eine ganze Reihe von Handelsabkommen auf den Weg gebracht hat. Ich finde es schon bemerkenswert, dass sich ausgerechnet die Union beschwert, dass nicht eine ausreichende Zahl an Handelsabkommen auf den Weg gebracht worden sei. Sie haben 16 Jahre regiert – 16 Jahre! –, und Sie haben exakt null Handelsabkommen auf den Weg gebracht – null!
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Da sind wir die falschen Adressaten, Herr Hofreiter!)
Dann regieren wir Grünen mit, und jetzt sprechen wir davon, dass Mercosur vielleicht kurz vor dem Abschluss steht. Das ist in den dreieinhalb Jahren, in denen diese Regierung bestanden hat, bereits das vierte Handelsabkommen.
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Ihr habt es doch immer verhindert! Ihr habt TTIP verhindert! Ihr habt Mercosur verhindert! – Tilman Kuban [CDU/CSU]: Sie haben doch immer gegen TTIP gewettert!)
Das heißt: in 3,5 Jahren vier, in 16 Jahren null Abkommen. Und dann reißen Sie den Mund weit auf? Ich würde über meine eigene Arbeit oder Nichtarbeit nachdenken.
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Na, dann mach doch bitte!)
Wie gesagt, das passt eigentlich überhaupt nicht zusammen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie haben TTIP verhindert! Sie haben CETA verhindert! Sie haben Mercosur ständig nachverhandeln wollen! Das ist die Wahrheit!)
Kommen wir zu Ihrem Agieren im Europaparlament. Im Europaparlament hat gerade die Europäische Volkspartei unter Vorsitz eines Deutschen, nämlich Herrn Weber von der CSU, gemeinsam mit den Rechtsradikalen, auch den prorussischen Rechtsradikalen, was schon als solches ein Skandal ist, versucht, die Entwaldungsverordnung zu kippen. Am Ende sind Sie am Trilog gescheitert.
Aber warum haben wir denn jetzt Handelsabkommen? Und warum haben Sie keine zustande gebracht? Die Ursache dafür, dass es jetzt Handelsabkommen gibt, ist: weil wir die berechtigten Bedenken aus der Gesellschaft aufnehmen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
weil wir uns anschauen, was Entwaldung bedeutet, weil wir mit Brasilien reden. Wenn Sie sagen: „Den Menschen in Brasilien ist die Entwaldung egal“,
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
sage ich: Den Großgrundbesitzern ist sie vielleicht egal; aber wenn Sie mit den Kleinbauern sprechen, wenn sie mit den Indigenen sprechen, dann stellen Sie fest: Sie sind sehr dafür, dass die Entwaldungsverordnung umgesetzt wird. Deshalb:
Erstens. Hören Sie auf, im Europaparlament mit den Rechtsradikalen zusammenzuarbeiten!
(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Jetzt reicht es aber! Jetzt hören Sie mal auf! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Zweitens. Hören Sie auf, hier Geschichten zu erzählen nach dem Motto: „Die jetzige Regierung hat keine Freihandelsabkommen zustande gebracht“, wenn Sie selber null zustande gebracht haben im Verhältnis zu drei oder vielleicht sogar zu vier durch uns!
Drittens. Hören Sie auf, die gesellschaftliche Akzeptanz der Freihandelsabkommen zu untergraben, indem Sie eine soziale und ökologische Abfederung im Europaparlament bekämpfen! – Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Tilman Kuban [CDU/CSU]: Sie überfrachten die Abkommen doch andauernd, und deswegen kommen sie nicht zustande!)
Am Ende müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir natürlich nicht mehr nur in Zeiten von Globalisierung und Freihandel leben, wie die FDP es dargestellt hat, sondern dass wir inzwischen auch in Zeiten leben, in denen China seine Handelsbeziehungen strategisch einsetzt, in Zeiten von Weaponization of Everything, also dass alles zur Waffe gemacht wird, die Verfügbarkeit von Seltenen Erden, die Verfügbarkeit von Halbleitern. Deshalb müssen wir mit Handelspolitik deutlich strategischer umgehen. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass zum Beispiel der Betrieb einer Halbleiterfabrik in Europa und in Deutschland nicht nur eine ökonomische Frage ist, sondern eine zentrale Sicherheitsfrage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn wie viel funktioniert bei uns noch, wenn China – es muss Taiwan gar nicht angreifen – die Straße von Taiwan blockiert? Wie schnell betrifft das unsere Autoindustrie? Auch im Bereich der Landwirtschaft: Wie viele Traktoren funktionieren denn noch, wenn wir dauerhaft keine Halbleiter aus Taiwan bekommen?
Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass wir in einer Zeit leben, in der Geopolitik, Sicherheit, ökonomische Fragen und Handelspolitik eng miteinander verknüpft sind. Deshalb brauchen wir neue Bündnisse. Deshalb sollten wir gemeinsam stolz darauf sein: Wir haben das Handelsabkommen mit Chile, mit Neuseeland, wir haben CETA geschafft. Sie haben von alldem nichts geschafft. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür. Deshalb ist es so entscheidend, dass wir gesellschaftliche Akzeptanz dafür erhalten.
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Es wird durch ständiges Wiederholen nicht richtiger, Herr Kollege!)
Deshalb hilft es überhaupt nichts, auf Frankreich und die Landwirte zu schimpfen, was Sie mal so, mal so machen. Es ist ganz spannend – es ist schon angesprochen worden –: Als Frau Klöckner Landwirtschaftsministerin war, war sie mit voller Härte dagegen; jetzt ist sie mit voller Härte dafür. Das funktioniert so nicht. Wir brauchen dafür gesellschaftliche Akzeptanz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie waren gegen LNG!)
Anstatt hier Fake News über das Handeln der Bundesregierung zu verbreiten, sollten Sie endlich mal dafür arbeiten, dass wir gesellschaftliche Akzeptanz für Handelsabkommen bekommen. Diese gesellschaftliche Akzeptanz brauchen wir aus Sicherheitsgründen und aus geostrategischen Gründen.
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Haben Sie Ihre Zeiten von TTIP schon vergessen?)
Deshalb: Arbeiten Sie zukünftig wieder konstruktiv zusammen mit der demokratischen Mehrheit, die es auf europäischer Ebene im Grunde gibt, sodass wir die Handelsabkommen sozial und ökologisch flankieren.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Für Die Linke hat Ina Latendorf das Wort.
(Beifall bei der Linken)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7618833 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Wirtschaftswende, Mercosur-Abkommen |