Carmen WeggeSPD - Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für Frauen. Heute ist ein guter Tag für Ärztinnen und Ärzte. Heute ist ein guter Tag für die Frauen und Männer, die seit Jahrzehnten darum kämpfen, dass wir genau diese Debatte endlich im Plenum des Deutschen Bundestages führen. Jetzt ist es so weit!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)
Denn das, worüber wir heute reden, ist niemandem spontan in den letzten drei Wochen eingefallen, sondern ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen und auch parlamentarischen Auseinandersetzung über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen beim Schwangerschaftsabbruch und darüber, welchen Rahmen der Staat für diese Entscheidung vorgibt. Das, worüber wir heute reden, ist keine theoretische Debatte über Regelungsorte oder die Frage, ob wir Frauen und Ärztinnen und Ärzte beim Schwangerschaftsabbruch nun lieber vermeintlich kriminalisieren wollen oder nicht. Denn das Strafrecht führt nicht nur zur Stigmatisierung von Frauen und Ärztinnen und Ärzten, sondern hat auch dramatische Auswirkungen auf die Versorgungslage von Frauen in diesem Land.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Ergebnisse der ELSA-Studie zeigen, dass 4,5 Millionen Menschen in Deutschland außerhalb einer angemessenen Erreichbarkeit zum nächsten Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch leben.
(Beatrix von Storch [AfD]: Ja, das rettet Menschenleben!)
In 85 von 400 Landkreisen werden nicht die erforderlichen Kriterien erfüllt. Denn die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Die überwiegende Mehrheit der befragten Ärztinnen und Ärzte gibt an, aufgrund der Regelung im Strafgesetzbuch keine Schwangerschaftsabbrüche zu erlernen und/oder durchzuführen. Deshalb muss sich das Strafgesetzbuch ändern, wenn wir die Versorgungslage von Frauen sicherstellen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ganz schlimm! Ganz schlimm!)
In den vergangenen drei Jahren ist in Debatten hier im Bundestag immer wieder die Befürchtung geäußert worden, dass wir mit dem Thema nicht sorgsam umgehen würden, dass wir den Schutz des ungeborenen Lebens außer Acht lassen oder einen gesellschaftlichen Konsens aufkündigen würden. All das ist bei diesem Gesetzentwurf nicht der Fall.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken – Beatrix von Storch [AfD]: Dummes Zeug!)
Wir schlagen eine reine Entkriminalisierung der Frau vor. Wir wollen eine Entkriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten beim Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche. Wir wollen die praxisferne Wartefrist von drei Tagen zwischen Beratung und Abbruch streichen. Ansonsten bleibt alles gleich:
(Beatrix von Storch [AfD]: Ist klar! Natürlich!)
Der Abbruch nach der zwölften Woche bleibt strafbar. Die Beratungspflicht der Frau als zentraler Bestandteil des Konzeptes zum Schutz ungeborenen Lebens bleibt erhalten. Selbst der § 218 bleibt bestehen, um die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens in der Systematik des Strafgesetzbuches zu betonen. Das ist kein „Ich wünsch mir was“-Gesetzentwurf, sondern ein ausgewogener, moderater und alle Rechte berücksichtigender Entwurf, der unter uns Abgeordneten mehrheitsfähig sein sollte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])
Denn auch wir in diesem Haus bilden einen Querschnitt der Gesellschaft ab, einer Gesellschaft, die die Frage längst für sich entschieden hat. Das zeigen nicht nur die Umfragen der letzten Wochen, sondern auch die zahlreichen Verbände und Organisationen, die sich an uns gewandt haben: vom Deutschen Frauenrat bis hin zu den Evangelischen Frauen. Selbst die katholischen Frauen erkennen Versorgungslücken bei Frauen an und fordern uns zu einer ausgewogenen und sachorientierten Debatte auf.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sachorientiert!)
Und genau das ist es, was wir wollen.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Warum schreien Sie denn so?)
Wir, das sind 328 frei gewählte Abgeordnete dieses Hauses – fast schon eine Mehrheit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten der FDP – Beatrix von Storch [AfD]: Warum so aggressiv?)
Ich möchte sagen: Ich bin auch allen Kolleginnen und Kollegen der FDP sehr dankbar, die sich ebenfalls positiv für eine grundsätzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs und für eine breite Debatte ausgesprochen und sich in der Öffentlichkeit positioniert haben. Und mir ist wichtig, eins zu betonen: Das hier ist kein Wahlkampfthema.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Doch! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Natürlich!)
Denn wie kann das ein Wahlkampfthema sein,
(Enrico Komning [AfD]: Kommen Sie doch mal runter!)
wenn doch die Mehrheit aller Wählerinnen und Wähler aller Parteien hier in diesem Haus für eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sind?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos])
Sollten wir uns da nicht vielmehr einig sein?
Machen wir stattdessen die Entscheidung über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs zu einer Sternstunde des Parlaments.
(Nina Warken [CDU/CSU]: Was Sie sagen, ist auf jeden Fall keine Sternstunde!)
Nutzen wir den Moment, um tatsächlich eine wichtige Verbesserung für ungewollt Schwangere und Ärztinnen herbeizuführen – mutig und in dem Wissen, dass wir von der Mehrheit der Gesellschaft getragen werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie kommen zum Ende, bitte.
Um nicht mehr und nicht weniger bitte ich alle Abgeordnete.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken und des Abg. Stefan Seidler [fraktionslos] – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das war so peinlich! So peinlich! So unangenehm! Unwürdig!)
Das Wort hat Elisabeth Winkelmeier-Becker.
(Beifall bei der CDU/CSU – Nina Warken [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder mehr Sachlichkeit in die Debatte!)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 20 |
Session | 203 |
Agenda Item | Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs |