Gyde JensenFDP - Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Entscheidungen im Leben, deren Komplexität mit Worten kaum zu beschreiben ist. Sich ihnen zu entziehen, ist keine Option. Die Wägung in einem Schwangerschaftskonflikt gehört zu genau diesen Situationen, ein Entschluss, in seiner gesamten Tragweite sehr individuell, den jede Frau ganz persönlich treffen muss.
Im vergangenen Jahr sind mehr als 100 000 Frauen in der Bundesrepublik zu dieser schwierigen Entscheidung gekommen, die in diesem Moment der einzig richtige Weg für sie zu sein schien. Seit über 150 Jahren ist das Abtreibungsverbot Teil des Strafgesetzbuches. Die Debatten, die in gesellschaftlicher, in politischer, in rechtlicher und in religiöser Hinsicht geführt werden, sind schon immer emotional geführt worden, leider – in beide Richtungen.
Zum Glück ist die freiheitliche und aufgeklärte Gesellschaft in der Debatte weitergekommen und beruft sich auf wissenschaftlich fundierte Kriterien. Doch die Dauer der Diskussion zeigt uns auch die Notwendigkeit auf, diese Debatte mit größtmöglicher Ruhe und Seriosität weiterzuführen.
Der Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch ist eine komplexe Wägung zwischen den Grundrechten der Frau und dem Schutz des ungeborenen Lebens, ohne dabei die Perspektive von Ärztinnen und Ärzten oder von werdenden Eltern auszublenden. Aus diesem Grund möchte ich gerne einige Beobachtungen, meinen ganz persönlichen Blick auf die Frage und einen Ausblick teilen.
Eine moderne Gesellschaft, die sich den Werten von Freiheit und Selbstbestimmung verpflichtet fühlt, muss bereit sein, eine sachliche Debatte über eine Reform von § 218 Strafgesetzbuch zu führen. Politik muss sich der grundlegenden Frage stellen, ob eine persönliche und ethische Entscheidung gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft bis zur zwölften Woche weiterhin als grundsätzlich rechtswidrig gelten sollte.
Diese Frage ist im Kern eine medizinethische Frage,
(Axel Müller [CDU/CSU]: Eine juristische Frage!)
die sich der üblichen parlamentarischen Logik von Koalition und Opposition entzieht. Aus diesem Grund ist ein ordentliches Gruppenantragsverfahren genau der angemessene Weg, diese Frage zu adressieren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich ganz persönlich bin der Auffassung: Wer in dieser schwierigen Lage ist, der sollte nicht zusätzlich der Belastung ausgesetzt sein, potenziell eine Straftat zu begehen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)
Repräsentative Studien dieses Jahres zeigen, dass sich eine große Mehrheit der Befragten für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ausspricht.
(Zuruf der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])
Wir haben die Aufgabe in der Politik, hier im Deutschen Bundestag, diese Sichtweisen in eine politische Meinungsbildung zu übertragen. Und am Ende kann eine möglicherweise neue Entscheidung stehen.
Diese Debatte muss zeitnah geführt werden, aber keineswegs in Eile. Dazu gehört eine ordentliche Anhörung, die den Prozess der politischen Meinungsbildung stützt.
(Zuruf der Abg. Carmen Wegge [SPD])
Es bräuchte Zeiträume des Nachdenkens, des Zuhörens und des individuellen, aber auch öffentlichen Abwägens.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein persönlicher Entscheidungsprozess ist abgeschlossen. Ich könnte heute hier darüber beschließen. Aber ich habe noch in keiner politischen Frage, erst recht nicht in einer rechtsethischen Frage, von meiner ganz persönlichen Entscheidungssituation auf die anderer geschlossen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich schätze es sehr, wenn Kolleginnen und Kollegen mit ihren Einschätzungen und Gedanken, die auch Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion mit uns geteilt, mit mir geteilt haben, zeigen, wie ernst und wie ernsthaft sie sich mit dieser Frage beschäftigen, aber eben noch nicht zu einer Entscheidung gelangt sind. Dafür reichte die Zeit nicht aus.
(Carmen Wegge [SPD]: Dann haben sie jetzt die nächsten sechs Wochen Zeit!)
Der Ausblick: Ich werde mich, sollte ich auch in der nächsten Legislatur diesem Hohen Haus angehören dürfen, aktiv an einem neuen Gruppenantragsverfahren beteiligen und an ihm mitarbeiten und mich für eine breit getragene Mehrheit –
Sie kommen zum Ende, bitte, Frau Kollegin.
– einer Reform des § 218 Strafgesetzbuch einsetzen, weil es für mich persönlich eine urliberale Haltung und meine eigene Überzeugung ist.
(Zuruf der Abg. Laura Kraft [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)
Das Wort hat Beatrix von Storch.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7618844 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs |