Kristine LütkeFDP - Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, die uns heute zuhören und zusehen! Die Debatte, die wir heute führen, hat Respekt und auch Anstand verdient. In den 1990er-Jahren wurde der Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch, so wie wir ihn heute kennen, verhandelt. Er basiert auf der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Darin heißt es – und ich zitiere –:
„Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen.“
Aus dieser Entscheidung wurde schließlich das heutige Gesetz: Abtreibung ist rechtswidrig, aber in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft straffrei, wenn sich die Frau vor dem Eingriff beraten lässt. Es ist eine wichtige Errungenschaft, dass Frauen Zugang zu sicheren Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs haben. Sie können selbstbestimmt über ihre Schwangerschaft entscheiden, und diesen gesellschaftlichen Fortschritt und diese Freiheit zu verteidigen und weiterzuentwickeln, muss unser gemeinsames Ziel sein.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dabei ist es wichtig, dass wir nicht nur aus einer rein rechtlichen Perspektive debattieren. Denn die geltende Fassung des § 218 mag sich in der Praxis bewährt haben; aber es ist tatsächlich so, dass die Zahl der Einrichtungen, die fachkundig Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, in den vergangenen 20 Jahren um 50 Prozent zurückgegangen ist.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!)
Am Anfang des Jahrtausends waren noch 2 000 Arztpraxen und Kliniken gemeldet, die den Eingriff vorgenommen haben. Bis zum Jahr 2023 hat sich diese Zahl fast halbiert, und insbesondere im ländlichen Raum ist die Versorgungslage dünn bis prekär. Ob der vorliegende Gesetzentwurf daran etwas ändern kann, ist aber auch fraglich.
Die ELSA-Studie der Bundesregierung hat zusätzliche Daten zur Versorgungslage geliefert. Demnach leben rund 4,5 Millionen Menschen in Deutschland außerhalb einer angemessenen Erreichbarkeit des nächsten Angebots für einen Schwangerschaftsabbruch. Jeder fünfte Landkreis ist betroffen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist ja schrecklich!)
Diese Landkreise liegen überwiegend in Bayern, aber auch in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen.
Die ELSA-Studie zeigt auch, dass fast 60 Prozent der befragten Frauen von Schwierigkeiten berichten, Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch zu erhalten.
(Nicole Höchst [AfD]: Das ist jetzt nun wirklich nicht das Problem!)
Jede vierte Frau musste mehr als eine Einrichtung kontaktieren, um einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.
(Zuruf von der AfD: Wie lange warten sie?)
Nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz haben auch die Länder für eine ausreichende Zahl von Einrichtungen zur Vornahme der Abbrüche zu sorgen, und die Länder müssen diesen Auftrag auch umsetzen, damit jede ungewollt Schwangere Zugang zum Schwangerschaftsabbruch bekommt. Dieser muss auch als regulärer Bestandteil der Gesundheitsversorgung gewährleistet werden, damit eben keine Versorgungslücken entstehen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD und des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und es ist auch nicht so, dass in dieser Legislatur nichts geschehen ist.
Wissen und Informationen über die eigene Gesundheit und den eigenen Körper sind entscheidend, um bewusste und selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können, ganz besonders in der Phase vor einem Schwangerschaftsabbruch. Seit Ende November ist beispielsweise das Gesetz zur Verhinderung von Gehsteigbelästigungen in Kraft.
(Beatrix von Storch [AfD]: Die es gar nicht gibt! – Gegenruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist gut und wichtig, dass Frauen auf dem Weg zu einer Beratungsstelle keine Angst mehr vor einem Spießrutenlauf haben müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Ach, die gibt es doch gar nicht! Hirngespinst!)
Schwangere haben das Recht auf eine unvoreingenommene Beratung und eine selbstbestimmte Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch.
(Beifall der Abg. Anikó Glogowski-Merten [FDP])
Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen lässt sich auch durch pragmatische Schritte verbessern.
Und ganz ehrlich, die Debatte zum § 218 eignet sich wahrlich nicht als Wahlkampfthema.
(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ach was! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Das gilt umso mehr, als in der Vergangenheit ja schon verschiedene Fristenregelungen vom Bundesverfassungsgericht verworfen wurden. Und mit einer Neuregelung, die gegebenenfalls verfassungswidrig ist, wäre ja auch niemandem geholfen, weder den Ärztinnen und Ärzten noch den Beratungsstellen und ganz besonders nicht den betroffenen Frauen.
Wie ein solches Ergebnis verhindert werden soll, das bleibt mir bei der Lektüre des Antrags noch unklar.
(Zuruf der Abg. Sonja Eichwede [SPD])
Und auch das Ergebnis der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ist keineswegs zwingend. Es gibt in der Wissenschaft auch andere Stimmen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, eine verantwortungsvolle Abwägung braucht Zeit, so wie das bei medizinethischen Themen die Regel ist. Und wir brauchen gerade jetzt keinen parlamentarischen Schnellschuss.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe der Abg. Anke Domscheit-Berg [Die Linke], Dr. Gesine Lötzsch [Die Linke] und Dr. Petra Sitte [Die Linke])
Die nächste Rednerin ist Dr. Christina Baum.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7618851 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs |