Sabine DittmarSPD - Änderung des Transplantationsgesetzes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manch einer mag sich fragen, warum wir ausgerechnet in diesen turbulenten Tagen eine Debatte über die Organspende führen. Die Antwort ist simpel und dramatisch zugleich: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Organspende, damit todkranke Mitmenschen eine Überlebenschance erhalten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Menschen haben keine Zeit zu verlieren. Sie und ihre Angehörigen warten darauf, dass sich der Deutsche Bundestag erneut mit der Thematik beschäftigt.
In den zurückliegenden 15 Jahren haben wir eine ganze Menge an Maßnahmen unternommen, um die strukturellen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen in unseren Krankenhäusern zu verbessern und die Entscheidungsbereitschaft zu steigern. Das Ergebnis ist ernüchternd: Nach wie vor stehen über 8 500 Menschen auf der Warteliste. Täglich versterben bis zu drei Mitmenschen, die vergeblich auf ein Spenderorgan gewartet haben. Nirgends sonst in der EU warten Patienten so lange auf ein Organ wie in Deutschland, im Durchschnitt acht Jahre. Deshalb sage ich hier in aller Deutlichkeit: Die Entscheidungslösung ist eklatant gescheitert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Fraktionsübergreifend haben wir deshalb in den zurückliegenden Monaten den vorliegenden Gesetzentwurf erarbeitet. Wir haben uns mit vielen Expertinnen und Experten, mit Vertretern der Religionsgemeinschaften, mit Verfassungsrechtlern, mit Betroffenen und Angehörigen ausgetauscht. Wir haben von erschütternden Schicksalen gehört, von Angehörigen, die in der Stunde der Not eine Entscheidung treffen mussten – Geschichten voll von Verzweiflung, aber auch Geschichten voll von Hoffnung. Und wir haben uns gefragt, warum das, was bei unseren Nachbarn in 25 europäischen Ländern die Norm ist, hier in Deutschland nicht zumutbar sein soll.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesen Gründen haben wir uns entschieden, dem Parlament erneut einen Antrag zur Einführung der Widerspruchsregelung vorzulegen. Kritiker werden sagen: Die Widerspruchsregelung, isoliert betrachtet, steigert die Zahlen nicht; wir brauchen Verbesserungen der Strukturen. – Aber genau das haben wir doch in den letzten Jahren auf den Weg gebracht und unsere Strukturen in den Krankenhäusern verbessert. Der Blick auf das Ausland zeigt uns, dass uns eben noch ein Baustein fehlt, und das ist die Widerspruchsregelung. In Spanien kommt man mit dieser Regelung auf 46 Spender pro 1 Million Einwohner, in Österreich auf 24, und wir in Deutschland sind mit 10 Spendern das traurige Schlusslicht. Deshalb soll zukünftig jeder erwachsene, einwilligungsfähige Mensch bei einem irreversiblen Ausfall der Hirnfunktion als Organspender infrage kommen, es sei denn, er hat zu Lebzeiten widersprochen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und der Widerspruch ist möglich: Eintrag ins Register, Ausfüllen des Organspendeausweises, der berühmte Zettel im Geldbeutel oder verbal geäußert gegenüber Angehörigen. Unser Gesetzentwurf sieht darüber hinaus sehr differenzierte Regelungen für Minderjährige und nicht einwilligungsfähige Personen vor. Das Gesetz soll 2027 in Kraft treten, sodass ausreichend Zeit besteht, die Bevölkerung über die Rechtsfolgen eines erklärten oder eines nicht erklärten Widerspruchs zu informieren.
Meine Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Tatsache, dass über 84 Prozent unserer Bürger der Organspende positiv gegenüberstehen, 9 Prozent unschlüssig sind und 6 Prozent diese ablehnen, ist es zumutbar, dass sich die Minderheit bewegt und aktiv wird. Niemand wird gezwungen, Organspender zu sein, er muss nur widersprechen. Und angesichts der dramatischen Zahlen auf der Warteliste und der dramatischen Schicksale ist es auch zumutbar, dass sich jeder einmal im Leben mit der Frage der Organspende befasst und, wenn er zu der Entscheidung kommt: „Ich will nicht spenden“, dies auch dokumentiert.
Wir werden heute in der Debatte sicher wieder hören: Es gibt ein Recht auf Schweigen; Schweigen ist keine Zustimmung. – Ich sage Ihnen: Ja, es gibt ein Recht auf Schweigen und Nichtbefassung, aber es gibt auch ein Recht auf Leben. Und in Abwägung dieser beiden Schutzrechte sage ich in aller Klarheit: Das Recht auf Leben hat für mich einen höheren Stellenwert als das Recht, sich nicht mit dem Thema Organspende befassen zu müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ein Weiter-so ist für mich, ist für uns kein Weg. Lassen Sie uns mit der Widerspruchsregelung ein Zeichen setzen für das Leben und die Hoffnung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für den Bundesrat spricht jetzt Karl-Josef Laumann, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7618867 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Transplantationsgesetzes |