Kristine LütkeFDP - Änderung des Transplantationsgesetzes
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich selbst besitze seit meinem 18. Lebensjahr einen Organspendeausweis. Lassen Sie mich daher zu Beginn einmal festhalten: Wir alle, die Befürworter und die Gegner einer Widerspruchslösung, sind uns einig, dass wir mehr Organspenden in Deutschland brauchen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir debattieren heute dabei nicht über das Ziel, mehr Menschenleben zu retten, sondern alleine über den Weg zum Ziel. Und eine Verbesserung ist dringend notwendig.
Die aktuelle Situation ist deprimierend und ernüchternd. Immer wieder sterben Menschen, weil sie vergeblich auf eine neue Leber, eine neue Niere oder ein neues Herz warten. Und jeden Tag – die Frau Staatssekretärin hat es schon erwähnt – sterben drei Menschen in Deutschland, weil sie ein benötigtes Spenderorgan nicht erhalten. Gleichzeitig sehen wir in Umfragen eine hohe Zustimmung zur Organspende.
Die Befürworter der Widerspruchslösung gehen davon aus, dass die geringe Zahl der Spender nicht auf mangelnder Bereitschaft beruht, sondern auf Bequemlichkeit oder der Scheu vor der Beschäftigung mit dem eigenen Tod. Die Widerspruchslösung helfe nur, den wirklichen Willen der Bürger umzusetzen. Ob das tatsächlich der Fall ist, darf auch bezweifelt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Vergessen wird oft, dass die Entscheidung des Staates – jeder ist nun erst einmal Organspender – die Grundrechte eines jeden Einzelnen zutiefst berührt. Die Entscheidung über die Organspende ist für viele Menschen eine höchstpersönliche. Eine Widerspruchslösung bedeutet zunächst einmal, dass sich der Staat die Antwort auf die Frage nach der Organspende selbst herausnimmt und für alle beantwortet.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Dabei ignoriert die Widerspruchslösung den Konsens, dass bloßes Schweigen keine Zustimmung ist.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper über den Tod hinaus ist doch ein Grundpfeiler unserer Verfassungsordnung und auch von zentraler Bedeutung. Eine staatliche, verpflichtende Organbeschaffung wird den Menschen und ihrem individuellen Selbstbestimmungsrecht deshalb nicht gerecht.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)
Eine solche Entscheidung über die Organe von Menschen muss immer Ultima Ratio sein. Und erst wenn alle anderen wirksamen Wege erfolglos beschritten wurden, darf die Widerspruchslösung in Betracht gezogen werden.
Und ganz ehrlich: Wir haben in Deutschland noch viele andere Möglichkeiten. Wir könnten beispielsweise durch eine Liberalisierung der Regelungen zur Lebendspende helfen. Es gibt viele Menschen, denen eine solche Spende derzeit vom Staat verboten wird. Die Lebendspenden nehmen Druck von den Wartelisten. Im Vereinigten Königreich etwa übersteigt die Zahl der Lebendspender von Nieren bereits die der postmortalen Spender. Und im Moment ist es so, dass Menschen ins Ausland reisen, um Überkreuz-Lebendspenden durchführen zu lassen. Dabei fallen enorme Kosten von bis zu 100 000 Euro für die Betroffenen an, die die Krankenversicherungen nicht übernehmen. Diese lebensrettende Behandlung hängt derzeit also vom Einkommen der Patientinnen und Patienten ab. Das ist ein Zustand, der so nicht sein darf.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Auch Alternativen wie die Mandated-Choice-Lösung könnten die vermeintlichen Hürden der Bequemlichkeit überwinden. Die Einführung einer solchen Regelung bedeutet, dass jeder, der ein bestimmtes Lebensalter überschritten hat, sich bei der Beantragung oder Verlängerung eines Reisepasses oder Personalausweises für oder gegen die Organspende entscheiden muss. Es gibt also mildere Mittel als die Widerspruchslösung, um die Zahl der Organspender zu erhöhen.
Die Debatte über medizinethische Fragen, über Gewissensentscheidungen sind oftmals Sternstunden im Deutschen Bundestag. Wichtige Themen wie das heutige müssen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit besprochen und beraten werden. Den Abgeordneten und der Bevölkerung muss Zeit für die Debatte eingeräumt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU und der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Noch wichtiger: Den Abgeordneten und der Bevölkerung muss auch Zeit zum Nachdenken und Abwägen des Gewissens eingeräumt werden. Und wir sollten uns daher genau überlegen, ob wir solche Fragen und Gewissensentscheidungen in Zeiten des Wahlkampfs diskutieren oder vielleicht an der einen oder anderen Stelle sogar nutzen wollen. Ich halte das nicht für den richtigen Weg.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner ist Martin Sichert.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7618870 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Transplantationsgesetzes |