Lars CastellucciSPD - Änderung des Transplantationsgesetzes
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuletzt war es der Bruder eines Klassenkameraden, sogar der jüngere Bruder eines Klassenkameraden: Organversagen drohte. Es begann eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen. Dann verschlechterte sich der Gesundheitszustand sogar in einer Weise, dass die Ärzte sagten: Wir können da gar nichts machen! – Dann findet sich ein Krankenhaus im Ausland. Dort sagen sie, sie würden eine Operation vornehmen; aber die Krankenkasse stellt sich quer. Das Stück endet mit dem Satz: „Dieses Schreiben ist maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig.“
Es gibt Situationen in diesem Land, die will man nicht erleben, aber sie sind Realität für Tausende von Menschen – jedes Jahr. Wir müssen besser werden. Ich denke und ich hoffe und ich bin sicher, wir sind uns in diesem Punkt doch einig in diesem Haus:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Dr. Petra Sitte [Die Linke])
Wir müssen die Zahl der Spenderorgane erhöhen. Aber die Frage ist, wie.
80 Prozent sagen, sie seien der Sache positiv zugewandt; aber nur etwa 40 Prozent haben einen Spenderausweis. Wenn man die Umfragen weiter anschaut, zeigt sich: 54 Prozent sagen, sie fühlten sich gut informiert über dieses Thema. Fast die Hälfte sagt aber: Nein, ich habe Fragen. – 17 Prozent halten sich für ungeeignet, obwohl das möglicherweise gar nicht stimmt.
Es sind Ängste bei diesem Thema im Spiel, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Auffassung, wir müssen mit diesen Fragen, mit diesen Ängsten umgehen, und wir dürfen sie nicht mit einer Widerspruchslösung übergehen, wenn wir die Spendebereitschaft erhöhen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Manche Beiträge hier hören sich so an, als ob mit der Widerspruchslösung alles geregelt sei. Das ist es nicht, und Glauben reicht an dieser Stelle auch nicht. Wir haben Studien, die besagen: Die Modelle sind eigentlich gleich in ihrer Wirkung. – Wir haben Fälle, da sinkt die Bereitschaft zur Spende, weil die Menschen lieber schnell widersprechen, als sich mit der Sache auseinanderzusetzen.
Vor allem haben wir Studien, die uns ganz viel auf den Weg geben, was noch verbessert werden muss. Deshalb: Ja, es kann nicht so weiterlaufen; vieles wurde bisher zögerlich auf den Weg gebracht. Wir brauchen Investitionen in das Gesundheitswesen. Wir brauchen Aufklärungskampagnen. Wir brauchen mehr Bemühungen bei der Ansprache der Sorgen; das gilt insbesondere im Fall der Angehörigen. Wir brauchen vor allem das rarste Gut heutzutage: Wir brauchen Zeit – Zeit, die für kompetentes Personal auch vergütet wird.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Baehrens [SPD])
Schließlich: Wir brauchen Verbindlichkeit. Hier können wir tatsächlich mehr einfordern. Wir sollten es den Menschen zumuten, eine Entscheidung wirklich zu dokumentieren. Das nimmt auch die Last von den Angehörigen.
Aber wer spricht von denen, die nicht in der Lage sind, ihren Willen auszudrücken? Wer redet heute hier von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen? Was ist mit wohnungslosen Menschen? Was ist mit Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen? Was ist mit funktionalen Analphabeten? Was ist mit Menschen, die ihre Post nicht aufmachen, weil sie Angst haben, wenn das Kuvert vom Amt kommt? Ich finde, auch sie haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, und nur ihre Einwilligung kann einen Eingriff in diese Unversehrtheit rechtfertigen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Heike Baehrens [SPD])
Wer ärmer ist, hat das gleiche Recht auf Selbstbestimmung.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: In unserer Rechtsordnung ist nicht vorgesehen, dass Schweigen Zustimmung ist. Es gibt ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Solche Grundsätze müssen gerade gelten, wenn es existenziell wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Heike Baehrens [SPD])
Natürlich kann man diese hinterfragen und auch ändern. Aber dann muss doch eindeutig sein, dass es ohne nicht geht, und das ist bei der Widerspruchslösung nicht der Fall.
Wir müssen besser werden. Die bisherigen Anstrengungen waren zu schwach. Ich wünsche mir, dass diese Debatte ein Weckruf ist, die Anstrengungen mit aller Kraft in Bund, Ländern und in den Krankenhäusern auf sich zu nehmen.
Vielen Dank
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Jan-Marco Luczak.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7618883 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 203 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Transplantationsgesetzes |