Robert Habeck - Übertragungsnetzkosten, Treibhausgasemissionshandel
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am Mittwoch haben wir darüber gesprochen, ob es noch möglich ist, in dieser Legislaturperiode die Dinge, die allen helfen, die in dem Sinne unpolitisch sind, wovon das Land profitieren würde und die noch beschlossen werden können, zu beschließen. Heute, am Freitag, zwei Tage später, muss man sagen: Jetzt gilt es.
Sehr geehrte Damen und Herren, es liegen Ihnen heute in jeweils erster Lesung zwei Gesetzentwürfe vor: erstens zum TEHG. Das ist eine EU-Umsetzung, die zwingend erforderlich ist und über die es meiner Ansicht nach keinen politischen Dissens gibt, die Rechtssicherheit für die Unternehmen herstellt und die von den Unternehmen erwartet wird, damit sie rechtssicher planen können. Zweitens geht es darum, die Netzkosten mit 1,3 Milliarden Euro zu bezuschussen, um sie da zu stabilisieren, wo sie sind.
Reicht das? Nein. Mehr wäre wünschenswert. Mehr wäre meiner Ansicht nach auch nötig. Aber es ist das, was darstellbar ist, ohne den Haushaltsgesetzgeber der Zukunft zu sehr zu binden und damit vorzubelasten, ohne einen Nachtragshaushalt zu beschließen. Die bessere Möglichkeit wäre ein Nachtragshaushalt. Aber die demokratische Opposition hat es abgelehnt, diesen Nachtragshaushalt zu beschließen. Das nehme ich, das nehmen wir zur Kenntnis.
Dennoch wäre es möglich, diese kleinere Summe aufzubringen, um damit die Netzentgelte wenigstens zu stabilisieren. Auch das hilft der Wirtschaft, auch das wird von der Wirtschaft erwartet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das entlastet Verbraucherinnen und Verbraucher – nicht in dem gewünschten und notwendigen, aber doch immerhin in einem gewissen Maße. Es ist das, was möglich ist, und das, was wir noch erreichen können in dieser Legislaturperiode. Deswegen mein Werben: Lassen Sie uns das gemeinsam tun!
Allerdings wäre mehr nötig, und es ginge auch mehr. Meiner Ansicht nach müssen die Netzentgelte deutlich reduziert werden. Als Hausmarke würde ich ansetzen: mindestens um die Hälfte. Gleichzeitig sollten wir die Stromsteuer abschaffen.
(Michael Kruse [FDP]: Das ist gar nicht erlaubt!)
Warum? Die erneuerbaren Energien haben ihren Siegeszug angetreten. Der Strom ist sauber geworden. Je mehr wir diesen Strom gebrauchen bei Wärme, beim Verkehr, in der Industrie, umso besser ist das für die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Industrie, für die Wirtschaft und für das Klima.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Indem wir Strom günstig machen, schaffen wir mit einer Maßnahme drei Ziele. Deswegen werden wir den Strom in der Zukunft günstig machen.
(Michael Kruse [FDP]: So wie die letzten drei Jahre!)
Wie wird das finanziert? Nun, verschiedene Modelle sind denkbar. Wir könnten uns ein Amortisationskonto wie beim Wasserstoffnetz überlegen. Das konnten wir in dieser Legislaturperiode nicht umsetzen, weil die FDP sagte: Das könnte ein Schattenhaushalt sein. – Wir könnten eine gemeinsame Netzgesellschaft gründen. Netze sind natürliche Monopole.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Immer staatlich, immer staatlich, immer staatlich! Immer ist alles staatlich!)
Dort findet keine Konkurrenz statt. Die Effizienzen wären gut zu heben gewesen, vom Einkauf bis zur Steuerung. Auch das war nicht umsetzbar, obwohl wir eigentlich mit den Niederländern an dieser Stelle verhandlungseinig waren.
(Michael Kruse [FDP]: Außer beim Preis! Aber Geld spielt ja bei Ihnen keine Rolle!)
Wir können auch einen dauerhaften direkten Zuschuss verabreden, wie ich es vorschlage und anrege und wie es die Industrie auch erwartet.
Woraus ergibt sich die Begründung dafür? Wir bauen das Stromnetz nicht für eine Legislaturperiode, auch nicht für zwei oder drei. Wir bauen es für 30, 40, 60, vielleicht 70 oder 80 Jahre.
(Michael Kruse [FDP]: Das gilt für alles in diesem Land! Das ist kein Grund für Schulden!)
Natürlich kann man die Kosten dann auch vorfinanzieren. So muss nicht die Generation, die das Netz ausbaut, die Kosten direkt tragen. Es ist ein Generationenprojekt. Deshalb es ist auch geboten, die Investitionen für den Klimaschutz über die Generationen zu verteilen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Kruse [FDP]: Deswegen lasten Sie es den folgenden Generationen auf!)
– Ich weiß, Herr Kruse, das alles war bei Ihnen nicht eingängig.
(Michael Kruse [FDP]: Das ist auch beim Bundesverfassungsgericht nicht eingängig, was Sie erzählen! Auch bei der EU nicht eingängig!)
Deswegen müssen wir heute über die 1,3 Milliarden Euro reden und können die Wirtschaft nicht da entlasten, wo sie es am stärksten braucht. Das Argument ist trotzdem richtig.
Erlauben Sie mir abschließend noch eine kurze Analyse, woher eigentlich die hohen Kosten kommen, die wir im Moment zu tragen haben.
(Michael Kruse [FDP]: Weil Sie ja bloß die Erneuerbaren ausbauen!)
Über die Zukunft habe ich ja gerade geredet. Das Stromnetz hätte 2022 fertig sein sollen. Mit dem Atomausstieg 2012 von Schwarz-Gelb, von FDP und Union, wurde beschlossen, das Stromnetz so auszubauen, dass es 2022 fertig ist.
(Michael Kruse [FDP]: Wollten wir ja verlängern! Das haben Sie bekämpft!)
Durch das Zögern und das Versagen der letzten Regierungen, durch zehn Jahre Nichtstun haben wir heute die Kosten zu tragen. Wir liegen sieben Jahre hinter der Zeitplanung.
Nun ist interessant, wie eigentlich die Verzögerung entstanden ist; denn drei Jahre lang wurde ja eifrig geplant.
(Zuruf des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU])
Und dann hat die bayerische Landesregierung – ich war damals im Bundesrat – gesagt: Oh, die Planung wollen wir doch nicht, wir wollen lieber ein Erdkabel haben. – Und dann gab es kein Halten mehr.
(Zuruf des Abg. Patrick Schnieder [CDU/CSU])
Jetzt bauen wir das teuerste Stromnetz mit drei Jahren Verzögerung, und daraus wurden dann sieben Jahre, weil die Planungen noch viel komplizierter waren und die bayerische Landesregierung die Planung aufgehalten hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die hohen Netzentgelte heute sind die Konsequenz aus dieser Bummeligkeit und dem teuersten Stromnetz, das man sich denken kann. Es wäre denkbar, dass wir das Stromnetz jetzt wieder günstig bauen. Wir haben mit dem Ministerpräsidenten gesprochen. Eine Bereitschaft, die Verantwortung dafür zu übernehmen, gab es an dieser Stelle nicht. Nun muss man mit den Konsequenzen leben.
Woher kommen die Kosten?
(Zuruf von der CDU/CSU)
Das Stromnetz ist nicht fertig ausgebaut. Wir müssen jetzt über die Netzentgelte finanzieren, wenn günstiger Strom von den Windkrafterzeugungsanlagen abgestellt wird und teure Gasverbrennungsanlagen hochgefahren werden, die sogenannten Redispatch-Kosten. Das ist in den Netzentgelten drin. Und wo werden die teuren Gasanlagen hochgefahren? Nun, im Süden der Republik, beispielsweise in Bayern. Die Netzentgelte sind allen Unkenrufen zum Trotz aus München und aus dem Süden der Republik ein Ausgleichsmechanismus vor allem für die teuren Erzeugungsanlagen in Bayern.
(Zuruf der Abg. Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist ein Solidaritätsmechanismus für Bayern.
Man könnte eine weitere Überlegung anstellen und sagen: Bauen wir das Stromnetz nicht so doll aus. Machen wir verschiedene Strompreiszonen in Deutschland. – Ich will das nicht. Ich bin dagegen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will, dass wir als Solidargemeinschaft gemeinsam handeln. Aber das heißt natürlich auch, dass die teureren Orte in Deutschland subventioniert werden von den günstigeren Orten. Und die liegen nun mal nicht in Bayern.
(Zuruf der Abg. Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das heißt, die Netzentgelte sind nicht nur ein Ausgleich für das Verbummeln und die Verantwortungslosigkeit aus Bayern, sondern das Festhalten an der Strompreiszone ist ein großes Subventionsinstrument, damit in Bayern und in anderen Bundesländern die gleichen Strompreise gezahlt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, warum erzähle ich das?
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Gute Frage! Das ist eine sehr gute Frage! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das fragen wir uns wirklich!)
Ich erzähle das nicht, um Schuld zuzuweisen, sondern um darauf hinzuweisen, dass wir hier eine gemeinsame Verantwortung haben, die heute mit einer Debatte und mit einem Beschluss in eine Verantwortungsübernahme münden könnte.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Das Wort hat Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7619041 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 204 |
Tagesordnungspunkt | Übertragungsnetzkosten, Treibhausgasemissionshandel |