06.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 204 / Zusatzpunkt 35

Philipp HartewigFDP - Aktuelle Stunde: Abschaffung Paragraf 188 StGB - Politikerbeleidigung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Für uns Freie Demokraten ist ein schlankes und treffsicheres Strafrecht essenziell für einen funktionierenden Rechtsstaat – ein Strafrecht, das nur diejenigen Delikte führt und sanktioniert, die notwendig sind, ein Strafrecht, das in sich konsistent ist, ein Strafrecht, das auf nicht benötigte Delikte auch verzichtet.

Und genau in diese Zieldiskussion passt natürlich auch die Debatte über § 188 des Strafgesetzbuches. Es geht dabei um die Konsistenz des Strafrechts, um die Meinungsfreiheit im Allgemeinen sowie den richtigen Umgang mit Beleidigungen im öffentlichen Raum.

Um es klar zu sagen: Das gesellschaftliche Klima in aufgeheizten Debatten ist besorgniserregend.

(Maja Wallstein [SPD]: Ja!)

Die Debatte heute ist ja auch ein gutes Beispiel dafür.

(Maja Wallstein [SPD]: Richtig!)

Die beantragende Fraktion trägt nicht nur mit den heutigen Debattenbeiträgen weiter dazu bei. Für sie sind Grenzüberschreitungen, Diskreditierungen und eine Diskursverrohung Geschäftsmodell.

(Stephan Brandner [AfD]: Bingo, bingo, bingo!)

Das geben Sie von der AfD auch selbst gerne zu.

Statt, liebe Kollegen von der AfD, im Rahmen der heutigen Aktuellen Stunde in diesem Haus den Anschein zu erwecken, der Staat nutze das Strafrecht zur Unterdrückung des politischen Diskurses und zur Verfolgung Andersdenkender aus, nutzen Sie vielleicht selber einmal die Gelegenheit, sich zu hinterfragen, was Sie zur Vergiftung des Klimas und des Diskurses in dieser Gesellschaft beitragen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Fragen Sie mal Ihre FDP-Kollegen!)

Sie nutzen das Verbreiten von Fake News und die Diffamierung Ihrer politischen Konkurrenten als Kampfmittel. Sie säen die Saat des Misstrauens in unseren Rechtsstaat. Sie spielen die Menschen gegeneinander aus. Sie sind in Bezug auf die Lösung der Probleme nicht konstruktiv; Sie sind eher Brandbeschleuniger der Diskursverrohung in diesem Land.

(Maja Wallstein [SPD]: So ist es! Ganz genau! – Stephan Brandner [AfD]: Herr Hartewig, eigentlich sind wir ein höheres Niveau gewohnt von Ihnen! – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Und dennoch stellt sich die Frage: Ist der sogenannte Politikerbeleidigungstatbestand der richtige Weg, um der wachsenden Zahl von Beleidigungen entgegenzuwirken, die vor allem im Internet zunehmen? Meine Antwort darauf ist leider klar: Nein. Im Gegenteil: Ich halte es für gefährlich, wenn das Strafrecht auch als Werkzeug für politische Korrektheit und die Verengung des Meinungskorridors wahrgenommen wird. Es wurden die Unterschiede im Tatbestand in Bezug auf die §§ 185 ff. angesprochen. Aber es ist doch auch eine Ungleichbehandlung.

Amts- und Mandatsträger müssen sich – vielleicht sogar mehr als jeder andere Bürger – unangenehmen Kommentaren stellen können, ohne dass der Staat sofort eingreift und diese unter Strafe stellt. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu zutreffend ausgeführt:

„Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist … davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden.“

Aber wie gehen wir damit um? Ist es angenehm, beschimpft oder beleidigt zu werden?

(Stephan Brandner [AfD]: Nö!)

Natürlich nicht. Müssen oder sollten wir es hinnehmen? Nein, natürlich nicht. Es ist oft der richtige Weg, Äußerungsdelikte anzuzeigen, zum Beispiel solche, die Bedrohungen enthalten. Anzeigen und Strafanträge als Geschäftsmodell haben dabei aber ebenso einen faden Beigeschmack wie der Eindruck, die Grenze des Strafbaren würde sich verschieben durch das Anzeigen von vermeintlichen Bagatellen wie bei der Bezeichnung „Schwachkopf“ in Bezug auf einen Minister.

Eine solche Entwicklung ist ebenfalls gefährlich für die Entwicklung des Diskurses, der frei und gerne auch mal überspitzt geführt werden darf und muss. Die Debatte ist heikel, weil niemand ein Klima möchte, in dem Politiker sich nicht mehr trauen, Bedrohungen, Verleumdungen und üble Nachreden anzuzeigen. Für mich gilt auch da: Im Zweifel für die Freiheit und gegen den Strafantrag. Im Zweifel für den harten Diskurs. Aber ohne jeden Zweifel gemeinsam für einen deutlich respektvolleren Diskurs.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Maja Wallstein [SPD])

Das Wort hat die Kollegin Janine Wissler für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Maja Wallstein [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619095
Wahlperiode 20
Sitzung 204
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Abschaffung Paragraf 188 StGB - Politikerbeleidigung
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