Ariane FäscherSPD - Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Mitstreitende für eine gewaltfreie Gesellschaft! Gewalt beginnt nicht erst mit einem blauen Auge. Zuvor gab es eine Geschichte der Einschüchterung, Demütigung, von Ohnmacht und Angst. Der nächste Schritt ist Mord, jeden Tag einer.
Wenn Sie nach links und rechts schauen, ist wahrscheinlich eine der beiden Ihnen am nächsten sitzenden Frauen bereits Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt geworden. Alle drei Minuten wird hinter bundesdeutschen Türen eine Frau misshandelt. Diese Gewalt ist keine Randerscheinung, sondern mitten unter uns. Sie ist unmöglich ohne eine Kultur des Wegsehens und der patriarchalen Grundübereinkunft, dass diese Form der Machtausübung gesellschaftlich mindestens geduldet wird. Diese Gewalt ist kein individuelles, kein privates Problem, sondern ein strukturelles.
Diese Gewalt ist nichts anderes als Terrorismus. Sie zielt darauf ab, Frauen zu unterwerfen und einzuschüchtern. Wenn ein Messerangriff auf Passanten bundesweit Entsetzen auslöst, dann muss auch die systematische Ermordung von Frauen dieselbe Aufmerksamkeit und denselben Handlungsdruck erzeugen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken – Zuruf der Abg. Nicole Höchst [AfD])
Betroffenheit reicht schon lange nicht mehr aus. Wir brauchen mutige politische Maßnahmen.
Eine solche liegt heute – endlich! – mit dem in die Beratung kommenden Gesetz für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt vor. Wir stehen damit vor einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Das ist ein großartiger Erfolg nach jahrzehntelangem Kampf. Endlich begegnen wir der allgegenwärtigen Gewalt gegen Frauen und Schwächere – systematisch, strukturell, finanziell.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich danke insbesondere Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Jörg Kukies und Innenministerin Nancy Faeser dafür, diesem elementaren Gesetz in letzter Minute die Tür geöffnet zu haben.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: In letzter Minute!)
Das Gewalthilfegesetz ist ein notwendiger, ein überfälliger Schritt, zu dem wir nach der Istanbul-Konvention – wir haben das gehört – völkerrechtlich längst verpflichtet sind. Es wird flankiert von einer Überarbeitung des Gewaltschutzgesetzes. Somit ist der Rahmen weit geöffnet, Frau Breher. Es gibt gewaltbetroffenen Personen einen Rechtsanspruch auf Schutz, Beratung und Unterstützung, unabhängig vom Familieneinkommen, auf das die Frauen oft gar keinen Zugriff haben.
Bei bundeseinheitlichen Standards unterstützt der Bund die Länder in der Bereitstellung einer ausreichenden Hilfestruktur, insbesondere in Frauenhäusern und Beratungsstellen. Momentan fehlen zwei von drei benötigten Plätzen, und das ist regional auch noch sehr unterschiedlich verteilt. Das Gesetz fokussiert zudem wirksame Maßnahmen der Prävention. Es geht um verpflichtende Täterarbeit und eine bessere Ausbildung und Verzahnung von Polizei, Justiz und Behörden.
Gewalt entsteht nicht aus dem Nichts, oft wird sie vererbt. Hebammen, Familiencoaches und pädagogische Einrichtungen könnten helfen, ungesunde Beziehungs- und Konfliktmuster frühzeitig zu erkennen und zu durchbrechen – in der Familie, in der Schule und in der Gesellschaft.
Gewalt gegen Frauen kostet nicht nur Menschenleben. Jährlich belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten auf 54 Milliarden Euro für Krankenhausaufenthalte, Arbeitsausfälle, Polizeieinsätze und Gerichtsverfahren sowie Hilfestrukturen. Wenn wir Gewalt präventiv verhindern, reduzieren wir nicht nur Leid, sondern auch Kosten durch eine kleinere Hilfe- und Schutzstruktur. Strafverschärfung wirkt laut Expertenanhörung übrigens nicht tateinschränkend, und ein Haftplatz ist auf jeden Fall teurer als jede andere Maßnahme.
Alle demokratischen Fraktionen haben eigene Anträge für den Gewalt- und Opferschutz eingereicht. Das zeigt einen breiten Konsens für eine grundlegende Veränderung dieser unhaltbaren Situation. Dann machen wir das doch bitte auch!
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Sacher [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Dieses wichtige Thema darf unter gar keinen Umständen zum Spielball von wahltaktischer Symbolpolitik werden.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Genau!)
Ich durfte am Mittwoch der Expertenanhörung zum Unionsantrag beiwohnen. Bei nahezu allen Sachverständigen, Juristinnen und Juristen, Vertretern von Frauenhäusern, Polizei, Gerichten und der Wissenschaft, ist der Antrag und sind die Einzelmaßnahmen in vorgeschlagener Form durchgefallen. Wenn das also noch nicht der richtige Weg war, dann lassen Sie uns doch gemeinsam einen Weg finden.
Ich appelliere an Ministerin Paus, an die Fraktionen und an die Bundesländer: Lassen Sie uns den jeweils anderen die beste Absicht unterstellen! Lassen Sie uns offen, lösungsorientiert und ohne Schaum vor dem Mund gemeinsam das hier geöffnete Möglichkeitsfenster nutzen. Jetzt!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Belegen Sie, dass Frauen- und Menschenrechte für Sie mehr sind als politisches Marketing. Dieses Gesetz jetzt nicht zu Ende zu bringen, bedeutet, mit jedem Tag, den wir verstreichen lassen, den Tod einer weiteren Frau zu billigen. Der Preis für die Aussagen „Das machen wir in der nächsten Legislatur in Ruhe und mit einem eigenen Antrag“ sind somit mindestens 170 Frauenleben. Arbeiten wir bitte zusammen – ohne Maximalforderungen, aber mit maximalem Umsetzungswillen. Unsere Hand ist ausgestreckt. Wo ein Wille ist, da wartet eine Lösung.
Danke.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächste hat das Wort für die FDP-Fraktion Nicole Bauer.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7619107 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 204 |
Tagesordnungspunkt | Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen |