06.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 204 / Zusatzpunkt 24

Carmen WeggeSPD - Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute stehe ich hier, um eine klare Botschaft zu senden: Die Gewalt gegen Frauen in unserem Land ist ein untragbares Problem, das wir mit aller Kraft bekämpfen müssen. Und sie ist nicht nur ein untragbares Problem, sie ist eine Bedrohung der inneren Sicherheit. Wir dürfen es nicht akzeptieren, dass der gefährlichste Ort für Frauen ihr eigenes Zuhause ist.

Die Zahlen, die uns das Bundeskriminalamt mit dem vor wenigen Wochen vorgelegten Bundeslagebild „Geschlechtsspezifische Gewalt“ vorgelegt hat, sind erschreckend und beschämend: Über 52 000 Frauen und Mädchen wurden Oper von Sexualstraftaten; das sind 6,2 Prozent mehr als im Vorjahr. 180 715 Frauen und Mädchen sind Opfer von häuslicher Gewalt geworden; das sind 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. 938 Frauen und Mädchen wurden Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten; das ist 1 Prozent mehr als im Vorjahr. Und 360 Frauen und Mädchen wurden getötet. Sie wurden getötet, weil sie weiblich waren. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, gab es fast jeden Tag in diesem Land einen Femizid.

Diese Zahlen sind nicht nur Zahlen. Sie sind das Spiegelbild einer tief verwurzelten gesellschaftlichen Haltung, einer Haltung, die patriarchal ist, die wegschaut, die Gewalt gegen Frauen lächerlich macht und die Gewalterfahrungen delegitimiert mit Sätzen wie: „Stell dich doch nicht so an, ich habe es doch nur nett gemeint“, Sätzen wie: „Das war doch nur ein Kompliment.“ Und vor diesen Sätzen stand die verbale sexuelle Gewalt.

Wir müssen als Gesetzgeber stärker tätig werden, als wir es bis jetzt getan haben. Und ja, liebe Union, da gebe ich Ihnen recht: Auch ich persönlich hätte mir gewünscht, dass wir schon längst dabei gewesen wären, das sogenannte Catcalling unter Strafe zu stellen, endlich die Istanbul-Konvention umzusetzen, im Bereich des Sorge- und Umgangsrechts, im Bereich der Migrationspolitik. Vieles davon war vorbereitet. Der Bruch der Koalition hat dafür gesorgt, dass wir das jetzt nicht mehr durch dieses Parlament bringen können.

Aber es gibt etwas, was wir durch dieses Parlament bringen können, und das ist das Gewalthilfegesetz; denn es wird nun endlich nicht mehr im Finanzministerium blockiert,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

sondern ist nun im Kabinett beschlossen und auch von den Koalitionsfraktionen auf den Weg gebracht worden. Es ist – wenn man die Zahlen betrachtet – fünf nach zwölf. Genau deswegen ist es so wichtig, dass wir dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode beschließen. Es ist an der Zeit, dass wir gemeinsam für einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung eintreten. Jede Frau hat das Recht auf Sicherheit und Unterstützung, und zwar genau dort, wo sie lebt.

Als bayerische Abgeordnete weiß ich, wie die Realität in meinem Bundesland ausschaut. Mit nur 735 Schutzplätzen für über 6,6 Millionen Frauen stehen wir am Ende der Liste der Bundesrepublik. Das ist, mit Verlaub, mehr als nur beschämend, weil sie vorne und hinten nicht ausreichen. Ich habe in den letzten Jahren einige Frauenhäuser und Beratungsstellen in ganz Bayern besucht, im letzten halben Jahr über 20. Ich möchte dazu schon noch mal was sagen: Für mich persönlich sind Transfrauen Frauen. In jedem Gespräch, das ich mit Frauenhäusern geführt habe – auch mit der Frauenhauskoordinierungsstelle –, wurde uns gesagt: Wir können damit umgehen, wenn Transfrauen zu uns kommen. Wir haben noch nie Probleme gehabt. Wir finden immer eine Lösung. – Die Lösung, die sich diese Frauenhäuser wünschen, sind Apartmentlösungen; denn das wäre etwas, womit man diesem Problem – dem vermeintlichen Problem – begegnen könnte. Dafür braucht es Geld.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Und dafür braucht es dieses Gewalthilfegesetz. Denn wir als Bund sind bereit, einzusteigen und dieses Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen zu stärken und zu unterstützen.

Viele der Frauen im ländlichen Raum müssen zum Beispiel stundenlang fahren, um überhaupt Unterstützung zu erfahren. Das ist nicht tragbar. Wir müssen die Beratungsstellen und Frauenhäuser in Bayern und überall im ganzen Land stärken und ausbauen. Der Bund greift – das habe ich gerade ausgeführt – nun mit diesem Entwurf den Ländern unter die Arme.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht vergessen: Jede dieser abgewiesenen Frauen hat eine Geschichte, hat Träume und Hoffnungen. Sie alle verdienen unseren staatlichen Schutz. Wir müssen uns fragen: Wie viele Frauen müssen noch abgewiesen werden, bevor wir endlich handeln? Wir müssen sicherstellen, dass jede Frau einen sicheren Ort hat, an dem sie sich vor Gewalt schützen kann. Aus diesem Grund wollen wir bundesweit einen kostenfreien und niedrigschwelligen Zugang zu Schutz- und Beratungseinrichtungen. Das vorliegende Gesetz sichert diesen Zugang durch einen Rechtsanspruch ab. Wir werden uns als Bund in einem erheblichen Umfang an den entstehenden Kosten für die Länder beteiligen. Wir werden mit dem Gesetz ermöglichen, dass betroffene Frauen nun auch bundesweit Hilfeeinrichtungen aufsuchen können.

Deshalb appelliere ich an alle demokratischen Fraktionen hier in diesem Haus: Lassen Sie uns gemeinsam dieses Gewalthilfegesetz zum Abschluss bringen! Lassen Sie uns zusammenarbeiten und ein starkes Signal setzen! Und an jede Person in diesem Land, die schon einmal Gewalt erfahren hat oder sie auch noch immer erleben muss: Wir stehen eng an Ihrer Seite. Wir werden alles dafür tun, dass Ihr Schutz und Ihre Hilfe oberste Priorität in diesem Land haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Als Nächste hat das Wort für die FDP-Fraktion Katja Adler.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619112
Wahlperiode 20
Sitzung 204
Tagesordnungspunkt Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
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