Christian LindnerFDP - Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 GG
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Deutschland befindet sich in einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ach nee! – Zurufe von der SPD)
Tausende, Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Menschen müssen fürchten, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren, von dem sie geglaubt hatten, dass er sicher – vielleicht sogar lebenslang sicher – und gut bezahlt wäre, weil die Ampelkoalition des Bundeskanzlers Olaf Scholz auf diese Herausforderung keine gemeinsame Antwort gefunden hat.
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Deshalb hat diese Regierung die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern verloren.
(Beifall bei der FDP)
Seit Jahren hat Deutschland kein Wachstum mehr. Das ist nichts, was sich nur an der Statistik festmacht. Nach Jahren des Wachstums merken die Menschen das beim eigenen Lebensstandard. Sie können ihr Leben nicht mehr finanzieren. Deshalb ist eine wachstumsorientierte Politik immer auch die sozialste Politik, die man für unsere Gesellschaft machen kann.
(Beifall bei der FDP)
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Strukturkrise unserer Wirtschaft lange, bis in dieses Jahr hinein, geleugnet,
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)
und danach hat er sich der notwendigen Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik verweigert. Deshalb hat er kein Vertrauen mehr verdient.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Olaf Scholz hat heute erneut gezeigt, dass er keine Kraft zu grundlegenden Veränderungen hat. Seine Antworten gehen an den tiefgreifenden Problemen mangelhafter Wettbewerbsfähigkeit vorbei. Allen Ernstes sollen Milliarden Euro eingesetzt werden, um den Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel zu reduzieren. Das ist ein rein verteilungspolitisches Projekt, bei dem die Rentnerin genauso profitiert wie der Millionär.
(Zuruf von der SPD)
Das sichert keinen Job, das schafft keinen neuen Arbeitsplatz, das bringt kein Wachstum und keinen Aufschwung. Prinz Karneval kann am Rosenmontag Kamelle verteilen, um populär zu werden, aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sozial ist das nicht. Das Sozialste, das man tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass Menschen einen sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz haben. Dann können die Menschen nämlich ihr Leben bezahlen – ohne Staat und ohne SPD.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Apropos Milliarden: Wo ist eigentlich die Notlage?
(Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wo ist eigentlich die Notlage? Wir haben auch heute nichts davon gehört. Zur Erinnerung: Die Regierung Scholz ist nicht gescheitert, weil es keine Kompromisse mehr gegeben hat. Im Sommer und im Herbst sind doch fortwährend Entscheidungen getroffen worden,
(Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
das Kabinett hat doch Gesetzentwürfe beschlossen. Bis in diese Tage hinein ist die Fraktion der Freien Demokraten zum Beispiel bei der kalten Progression zu Kompromissen und zu Kooperation bereit.
(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)
Die historische Tatsache ist doch eine andere: Olaf Scholz hat ultimativ gefordert, 15 Milliarden Euro zusätzliche Schulden außerhalb der Schuldenbremse zu billigen. Als ich mich dem verweigert habe, bin ich entlassen worden.
(Widerspruch bei der SPD)
Deshalb ist es legitim, zu fragen: Wo ist jetzt die Notlage?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn das eine so wichtige Frage war, dass daran sogar die Zusammenarbeit mit einem Finanzminister scheitert, dann ist die Frage erlaubt,
(Zuruf der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])
ob der Kanzler seine ökonomischen Einschätzungen für das Land taktisch trifft. Sollte es der Fall sein, dann hat er erst recht kein Vertrauen mehr verdient.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Es ist ja eine unfreiwillige Offenbarung, dass wir inzwischen wissen, warum Sie die Schuldenbremse aufheben wollen. Das steht doch in einem Zusammenhang mit dem geplanten reduzierten Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel. Das sind ja Milliarden, die Sie nicht in Investitionen geben wollen, sondern in eine Verteilpolitik. Sie wollen in Wahrheit die Schuldenbremse aufheben, damit Sie mehr verteilen können. Und die Zeche zahlen die Kinder in diesem Land; denn die werden auf Dauer mit diesen Schulden umzugehen haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Albrecht Glaser [AfD])
Man kann nur davor warnen, für Gefälligkeitspolitik auf Pump unser Grundgesetz zu ändern. Nicht nur um unseretwegen warne ich davor, sondern auch mit dem Blick nach Europa. Frankreich hat nicht nur eine tiefe politische Krise, sondern auch eine Haushaltskrise; das Rating wurde gesenkt. Die Politik, für die Sozialdemokraten und Grüne auch hier im Haus werben, muss zwangsläufig den europäischen Fiskalregeln widersprechen. Deutschlands Aufgabe ist aber, durch Vorbild in der Währungsunion zu führen. Wenn wir vorsätzlich die Fiskalregeln brechen, wie einst schon einmal Gerhard Schröder, dann wird der Damm in Europa brechen, dann wird dereinst, in wenigen Jahren, das Fundament der Währungsunion durch Staatsverschuldung unterspült worden sein. Die erste politische Priorität muss aber die Stabilität unserer Währung sein!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland braucht eine Wende, um unseren wirtschaftlichen Abstieg abzuwenden. Um es klar zu sagen: Wir haben große Chancen. Wir haben viele kluge und fleißige Menschen. Wir haben Know-how. Wir haben im Übrigen auch privates Kapital, das investiert werden kann und investiert werden muss. Wir müssen aber den Eindruck vermeiden, es müsse sich nichts ändern, wir bräuchten nur mehr Schulden.
(Aydan Özoğuz [SPD]: Wer sagt denn so was?)
Wir müssen wahrhaftig sein und den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Noch niemals in der Geschichte hat eine Gesellschaft ihren Wohlstand, ihre soziale Sicherheit und ihr ökologisches Verantwortungsgefühl dadurch verteidigt, dass sie sich weniger angestrengt hat, dass sie weniger gearbeitet hat, dass sie sich weniger hat einfallen lassen und dass es weniger Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko gab. Das Gegenteil ist das, was wir brauchen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir brauchen einen Bürokratieabbau, der die Menschen ernst nimmt und ihnen wieder vernünftige Entscheidungen in eigener Verantwortung zutraut. Bis in die letzten Tage der Ampel wurde aber im Wirtschafts- und im Arbeitsministerium noch an zusätzlicher Bürokratie gearbeitet.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD)
Wir müssen den deutschen Sonderweg in der Klima- und Energiepolitik beenden. Es wird nicht möglich sein, ohne Kernenergie fünf Jahre früher als der Rest Europas treibhausgasneutral zu sein – jedenfalls nicht ohne dramatische Verluste an individueller Freiheit und Wohlstand.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der AfD)
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie hat seine diesbezügliche Position inzwischen verändert.
Wir müssen unseren Arbeitsmarkt mobilisieren.
(Marc Bernhard [AfD]: Drei Jahre mitmachen und jetzt das Gegenteil behaupten! Das ist ja ein Witz!)
Das Bürgergeld der Sozialdemokraten – Ihr Herzensprojekt – hat unser Land nicht sozialer und fairer gemacht. Im Gegenteil: Gerade die Menschen mit kleinen Einkommen haben heute das Gefühl, dass es weniger fair zugeht, weil sie sich mit denen vergleichen, die gar nicht arbeiten und nur vom Sozialtransfer leben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
Wir müssen den Arbeitsmarkt mobilisieren durch eine Reform des Bürgergeldes: ein geringerer Regelsatz und eine Pauschalierung der Kosten der Unterkunft.
(Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])
Alleine dadurch können wir so viel Geld gewinnen, um für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler den Grundfreibetrag um Hunderte Euro anzuheben. Das wäre die größte Investition in Fairness, weil dann alle spüren, dass sich Arbeit für sie lohnt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts habe ich davon gehört, was in der Welt passiert, welche Innovationen es gibt, die an Deutschland vorbei stattfinden. Nicht beim Bundeskanzler, nicht beim Wirtschaftsminister, nicht beim Oppositionsführer habe ich gehört, dass in den USA jetzt eine neue kryptofreundliche Politik ins Werk gesetzt wird und die USA durch die Vorteile von Bitcoin,
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
die wir auch haben könnten, überholen wollen. Ich höre nichts davon in einer zentralen Debatte im Deutschen Bundestag. Welch Versäumnis! Welche Chancen gehen uns verloren!
(Beifall bei der FDP)
Was ich aber gehört habe, sind die Forderungen nach Steuererhöhungen. Wir haben eine sich zuspitzende Wirtschaftskrise. Deutschland ist nicht wettbewerbsfähig. Aber die beiden verbliebenen Regierungsparteien überbieten sich damit, welche Steuern man erhöhen sollte. Robert Habeck hat gesagt: Man muss schauen, was in der Welt passiert. – Ja, dann möge er das tun. Die amerikanische Regierung erwägt, die Unternehmensteuerlast auf 15 Prozent zu senken, während wir doppelt so viele Steuern erheben, nämlich 30 Prozent.
(Zuruf der Abg. Susanne Menge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Da wir nicht doppelt so gut sind wie die USA, dürfen wir auch nicht mehr als doppelt so teuer sein. Deshalb ist – umgekehrt – erforderlich, dass wir die Steuerlast senken.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich komme zum Schluss. Diese Debatte über höhere Steuern für wen auch immer – die oberen soundso viel Prozent oder die Milliardäre – ist doch eindeutig der Versuch, mit Neid Wahlkampf zu machen.
(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)
Neid schafft keinen Arbeitsplatz. Neid schafft keinen Aufschwung. Deshalb ist es richtig, dass die Bürgerinnen und Bürger die Richtungsentscheidung am 23. Februar treffen können, zu der die Regierung nicht die Kraft hatte.
(Zurufe von der SPD)
Die Richtungsentscheidung lautet: Will dieses Land Verteilungspolitik auf Pump? Glauben die Bürgerinnen und Bürger dieses Märchen, oder erkennen sie, dass ein Aufschwung von uns allen erarbeitet werden muss,
(Zuruf des Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD])
dass Aufstieg etwas mit Leistung zu tun hat?
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion Dr. Rolf Mützenich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7619372 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 205 |
Tagesordnungspunkt | Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 GG |