18.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 206 / Zusatzpunkt 2

Konstantin KuhleFDP - Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien bedeutet für viele Menschen in Syrien und bedeutet für viele syrische Flüchtlinge in Deutschland, aber auch auf der ganzen Welt zunächst zum allerersten Mal seit vielen Jahren einen Moment der Hoffnung auf Frieden und auf Freiheit. Und obwohl wir noch nicht genau wissen, wie sich die Situation in Syrien weiterentwickelt, kann man sich heute für diese Menschen freuen, dass dieses diktatorische Regime in Syrien ein Ende gefunden hat.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es ist heute in der Debatte schon zum Ausdruck gekommen, dass Deutschland in der Region, aber auch darüber hinaus, seine eigenen Interessen nun wahrnehmen muss. Wir haben als Deutsche – das muss auch die Bundesregierung verinnerlichen – ein Interesse daran, dass Syrien nicht erneut abgleitet in Instabilität, in Gewalt und in Islamismus. Deswegen müssen wir eine aktive Rolle dabei spielen, wenn es darum geht, die Nachkriegs- und die Nachdiktaturordnung in Syrien zu prägen. Zu den weiteren außenpolitischen Aspekten wird mein Kollege Michael Link gleich vortragen. Ich möchte gerne zwei Bemerkungen machen zu den migrationspolitischen Auswirkungen der Lage in Syrien.

Man kann über diese migrationspolitischen Auswirkungen nicht sprechen, ohne über Russland zu sprechen; denn Russland hat in den letzten Jahren in Syrien eine aktive Rolle dabei gespielt, als es darum ging, Menschen in die Flucht zu treiben.

(Steffen Kotré [AfD]: Den IS!)

Es war Russland, das aktiv daran mitgewirkt hat, nordsyrische Städte zu bombardieren, um sich seinen eigenen Vorteil in Syrien zu erhalten, um seine strategische Position im Mittelmeer zu erhalten und um eigene Stärke im Nahen Osten herauszubilden. Es war die russische Regierung, es war Wladimir Putin, der durch das Zerbomben syrischer Städte nicht nur Assad geschützt hat, sondern aktiv dazu beigetragen hat, dass sich Millionen auf den Weg machen mussten, dass humanitäre Notlagen entstanden sind und dass es zu Massenflucht aus Syrien gekommen ist.

Deswegen müssen wir heute auch darüber sprechen, dass der direkte Krieg Assads gegen seine Bevölkerung und dass die Unterstützung aus Russland immer auch ein hybrider Krieg gegen uns in Europa gewesen ist. Es ist doch kein Zufall, dass seit 2015 Russland ganz aktiv darauf gesetzt hat, Migration nach Europa zu steigern. Es ging und es geht Wladimir Putin immer darum, auf dem Rücken der betroffenen Menschen Migration als Waffe einzusetzen; und das muss heute auch gesagt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist diese Debatte so kurz vor der Bundestagswahl auch eine Warnung an uns, dass wir uns in den Diskussionen und Debatten über das Thema Migration in den kommenden Wochen und Monaten nicht aufhetzen lassen und dass wir uns in einer Weise verhalten und über dieses Thema sachlich sprechen, dass nicht derjenige Nutzen daraus zieht, der ein genuines Interesse daran hat, dass sich westliche Gesellschaften über das Thema Migration zerlegen, und der alles investiert – Bomben und Geld –, um dieses Zerlegen westlicher Gesellschaften zu erreichen – am besten über das Thema Migration;

(Stephan Brandner [AfD]: Machen die Gesellschaften schon selber, Herr Kuhle!)

denn das ist es, was Wladimir Putin will.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nun ist es so, dass die aufenthaltsrechtlichen Diskussionen in Deutschland unmittelbar nach dem Sturz des Assad-Regimes begonnen haben. Ich habe mich da über manche Wortmeldungen gewundert. Die einen haben gesagt: „Also über Aufenthaltsrecht brauchen wir jetzt gar nicht sprechen“, und die anderen haben gesagt: „Alle Syrer sollen jetzt bitte sofort gehen.“ Ich halte beides für Unsinn.

(Stephan Brandner [AfD]: FDP halt!)

Natürlich wird dauerhafte Stabilität in Syrien, wenn es sie gibt, aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Es wird Syrer geben, die werden in ihre Heimat zurückkehren wollen. Es wird Syrer geben, die werden in ihre Heimat zurückkehren müssen, vor allen Dingen, wenn sie in Deutschland keinen Schutzgrund mehr haben und von Sozialleistungen leben. Und es wird auch Syrer geben, die man dabei unterstützen muss, in ihre Heimat zurückzukehren. All das wird es geben.

Aber wir müssen auch darüber sprechen, dass es heute in Deutschland Abertausende Menschen gibt, die sich erfolgreich integriert haben, dass es Abertausende Menschen gibt, die im Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben, die in Mangelberufen tätig sind. Was bedeutet das denn konkret? Wir können doch nicht ernsthaft Menschen, die die Voraussetzungen der Erwerbseinwanderung, also eines Visums, erfüllen, nach Syrien zurückschicken, um dort ein Visum zu beantragen und dann wieder in Deutschland einzureisen. Und wir können auch nicht ernsthaft zu den Arbeitgebern sagen, die über zehn Jahre hinweg Fleiß und Geld investiert haben, um Menschen anzulernen, um Menschen auszubilden, um Menschen unterzubringen, dass sie jetzt die Syrer, die bei ihnen arbeiten, wieder loswerden sollen. Wir werden nicht durch die Betriebe in Deutschland ziehen und den Selbstständigen, den Freiberuflern und den Handwerkern sagen, dass sie zukünftig auf ihre Syrer verzichten müssen. Diese Menschen müssen eine Perspektive haben, in Deutschland zu bleiben.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen brauchen wir einen unbürokratischen Spurwechsel für die Menschen, die anerkannte Fluchtgründe geltend machen können. Wir brauchen dringend bei der Frage der Widerrufe der Aufenthaltsgenehmigungen eine Priorität für diejenigen, die in Deutschland nicht arbeiten. Wir brauchen eine Lösung für diejenigen, die noch im Asylverfahren sind, und wir brauchen auch eine Lösung für diejenigen, die zwar keine formelle Ausbildung haben, aber dennoch in Deutschland über Arbeitserfahrung verfügen.

Herzlichen Dank.

All diese Menschen müssen eine Perspektive haben, in Deutschland zu bleiben.

Vielen Dank!

Und generell sollten wir uns beim Thema Migration einen kühlen Kopf bewahren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich freue mich sehr, Sie zu sehen, und wünsche einen guten Nachmittag. – Der nächste Redner ist Steffen Kotré für die AfD.

(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Thomas Seitz [fraktionslos])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619476
Wahlperiode 20
Sitzung 206
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien
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