Nils SchmidSPD - Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Krieg in Syrien ist noch nicht mal beendet – die Kämpfe gehen weiter –, und schon fordern die Ersten hier in Deutschland die Rückkehr der Flüchtlinge. Besonders empörend ist es, wenn es aus den Reihen derjenigen kommt, die dem Schlächter des eigenen Volkes, nämlich Herrn Assad, noch vor fünf Jahren die Hand geschüttelt haben. Sie sollten sich schämen!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war das denn?)
Und wem in einer solchen Situation nichts Besseres einfällt, als zunächst mal den Syrern zu sagen: „Ihr müsst jetzt aber ganz schnell von hier abhauen“, der verkennt nicht nur das Gebot der Menschlichkeit und das Mindestmaß an Anstand, sondern er verkennt auch den Beitrag, den Syrerinnen und Syrer inzwischen in unserer Gemeinschaft, in unserer Gesellschaft und in unserer Wirtschaft leisten. Ich bin stolz darauf, dass in Baden-Württemberg, in der Gemeinde Ostelsheim im nördlichen Schwarzwald, inzwischen ein Bürgermeister syrischer Herkunft die Regierungsgeschäfte führt; und solche Beispiele gibt es zu Abertausenden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die entscheidende Frage ist doch jetzt für uns in der Außenpolitik: Wie können wir das Zusammenleben verschiedener Gruppen und Religionsgemeinschaften nach Jahren des Bürgerkrieges in Syrien organisieren und unterstützen? Syrien ist ja nichts anderes als eine Art Nahost en miniature mit den vielfältigen Bevölkerungsgruppen, die dort zusammenleben.
Der erste Schritt muss sein, ein Ende der Kämpfe herbeizuführen; denn sie gehen ja weiter, Assad hin oder her.
Der nächste Schritt – und das kann ja dann auch das Ende der Kämpfe befördern – muss ein innersyrischer Versöhnungsprozess sein. Es gibt zivilgesellschaftliche Kräfte, die mit einer Charta der syrischen Versöhnung, auch mit Unterstützung der deutschen Regierung im Hintergrund, wichtige Grundlagenarbeit geleistet haben. Dazu gehören die Aufklärung des Schicksals der Zehntausenden von Verschwundenen und die Aufarbeitung der Verbrechen, die auf allen Seiten begangen worden sind, wozu auch wir Beiträge zur Stärkung der nationalen Gerichtsbarkeit und der Organisation von Verfahren im Lande selbst leisten können.
Und all diejenigen, die ein nationales Projekt für Syrien, zur Stärkung der Staatlichkeit des Landes, unterstützen, sollten wir einbeziehen; zu denen sollten wir Gesprächskanäle offenhalten. Und ich sage ausdrücklich: Dazu gehören auch die kurdische Bevölkerung und die kurdischen Organisationen. Ein Syrien ohne Kurden und ohne Respekt für die Rechte der Kurdinnen und Kurden hat keine Zukunft,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
und deshalb ist es wichtig, dass die deutschen Regierungsvertreter bei folgenden Reisen auch zu dieser Bevölkerungsgruppe Gesprächskontakte suchen. Damit das gelingt, brauchen wir eine deutsche Präsenz in Damaskus. Die Botschaft sollte möglichst schnell ihre Arbeit wiederaufnehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Außerdem brauchen wir ein Zurückdrängen der Einflüsse von externen Akteuren; Sie haben darauf hingewiesen, Frau Baerbock. Es war sehr wichtig, dass Sie sofort den Kontakt zu den Nachbarn Israel und Türkei – das sind ja enge Partner von uns – gesucht haben, um deutlich zu machen, dass jetzt die Syrerinnen und Syrer selbst über ihr Schicksal und die Zukunft des Landes entscheiden müssen. Dazu gehört auch, insbesondere unseren türkischen Partnern klarzumachen, dass gerade der, der die freiwillige Rückkehr von Syrern in das Land befördern will, nicht gleichzeitig Krieg in dem Land führen kann. Das ist, glaube ich, eine wichtige Botschaft nach Ankara.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und schließlich sind die internationale Gemeinschaft und Deutschland gefordert, rasch in die Aufbauhilfe einzutreten. Ich bin dankbar, dass eine erste leichte Mittelerhöhung quasi schon im Gepäck der kleinen Delegation war, die dorthin gereist ist. Allzu lange haben wir uns angesichts der unklaren Verhältnisse in Syrien darauf beschränkt, das Notwendigste zu tun. Jetzt müssen wir massiv in die Wiederherstellung von Infrastruktur, von Wohngelegenheiten, aber auch von Wirtschaft und Arbeitsgelegenheiten einsteigen.
Ich glaube, wir brauchen in den nächsten Wochen möglichst bald ein deutliches Bekenntnis, auch unterlegt durch zusätzliche Haushaltsmittel, zum Wiederaufbau des Landes, über die bewährten UN-Kanäle. OCHA und UNHCR sind sicher diejenigen, die als Erstes und am schnellsten dort handeln können. Und wir sollten zusammen mit anderen Partnern dort jetzt auch finanziell in die Vorleistung gehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist jetzt rasches, pragmatisches Handeln gefragt, in Abstimmung mit unseren Partnern in der Region und in Europa.
Vielen Dank.
Dafür sollten wir uns einsetzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Norbert Röttgen hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7619478 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien |