Lamya KaddorDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Achtjährige war ich erstmals in Syrien. Erst vor Ort verstand ich, wie viele Menschen eigentlich zu meiner Familie gehören und wie schön dieses Land ist. Vor 15 Jahren konnte ich es zuletzt besuchen. Folter, Fassbomben, Sarin-Gas: All das hat Syrien unter Assad mithilfe von Russland und dem Iran gevierteilt und gespalten. Zugleich wüteten die Schlächter des IS und anderer gottloser Dschihadisten. Ich gebe zu: Ich hatte mit Syrien abgeschlossen. Nach der Ermordung meines Vaters, dem Inhaftieren und Verschwinden Angehöriger habe ich mir zum Selbstschutz den Gedanken verboten, jemals wieder dorthin zu reisen.
Und nun? Auf einmal kann ich doch wieder hoffen. Und erst die Syrerinnen und Syrer! Ja, es ist unglaublich. Mein Cousin sagte mir am Telefon als Erstes: Der Albtraum ist vorbei, Lamya. Der Albtraum ist vorbei!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Christian Görke [Die Linke])
Aber es muss nun darum gehen, dass kein neuer Albtraum beginnt. Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien kann ohne Übertreibung als historisch bezeichnet werden – das haben viele von Ihnen ja auch so eingeordnet – und ist für Syrerinnen und Syrer und für den Nahen Osten vielleicht so bedeutsam wie für uns Deutsche der Fall der Berliner Mauer 1989. Hunderttausende Folteropfer und ihre Angehörigen sowie die Hinterbliebenen all der Ermordeten werden ihn vermutlich sogar mit dem Fall anderer berüchtigter Diktaturen vergleichen.
Der Diskurs jedoch, der sich hier in Deutschland keine 24 Stunden später in völliger Verkennung der historischen Dimension der Ereignisse – man hört es ja auch hier gerade – teilweise entfaltet hat, war einfach nur klein, ignorant und beschämend.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Jörg Cezanne [Die Linke])
Herr Kotré, das, was Sie gerade gesagt haben, ist unerträglich. Unerträglich, dass Sie hier diesen russischen Sprech – ich kann es leider nicht mehr anders sagen – vor uns so vortragen können, und das in Bezug auf Syrien, nach dem, was Putin den Syrerinnen und Syrern mithilfe des Irans angetan hat.
(Steffen Kotré [AfD]: Haben Sie vergessen, dass der „Islamische Staat“ da war?)
– Nee, Sie waren zweimal bei Assad. Sie hätten wissen müssen – und jeder wusste es –, was Assad in Syrien gemacht hat. Doch, jeder wusste es. Jeder! Das verbitte ich mir. Das ist nicht wahr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Es überschlugen sich in Deutschland die Ideen, wie schnell wir die Syrerinnen und Syrer doch endlich loswerden können. Je schneller, desto besser. Und dann fiel Ihnen doch irgendwie ein: Oh, da gibt es ja noch ein paar Ärztinnen und Pflegekräfte. Doch, die bräuchten wir aber bitte schon. Keine 24 Stunden später! Es dauert Wochen, Monate übrigens in diesem Land, damit Geflüchtete irgendeinen Termin in irgendeiner deutschen Behörde kriegen. Aber das BAMF war ruckzuck am Tag eins dabei, sofort die Entscheide lahmzulegen. Auch das mutet doch sehr merkwürdig an, wenn sich das Syrerinnen und Syrer angucken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte hier im Hohen Haus die Gelegenheit nutzen, unseren syrischen Nachbarn, Kollegen und auch Freunden, die Teil unseres Landes sind, die sich für dieses Land und diese Gesellschaft engagieren, die hier ihre Heimat gefunden haben, Danke zu sagen. Danke, dass Sie das alles tun und das mit uns aushalten und zum Teil solche Debatten ertragen müssen!
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Die in den letzten Jahren gewachsenen besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Syrerinnen und Syrern sind auch für unsere Außenpolitik eine Chance. Deutschland genießt ein besonderes Vertrauen; das hörten wir ja gerade. Wir haben nicht nur eine große Zahl an Geflüchteten aufgenommen, nein, wir zählen auch zu den größten Geldgebern humanitärer Hilfe in Syrien und der gesamten Region.
(Stephan Brandner [AfD]: Ja, deshalb!)
Die deutsche Außenpolitik unter Leitung von Annalena Baerbock hat sich auch gegen den Druck aus den Reihen einiger Fraktionen hier im Haus eben nicht auf den Kurs einer diplomatischen Normalisierung mit Assad eingelassen. Und das ist auch gut so. Das ist genau richtig so gewesen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Staatsminister Lindner – Herr Röttgen, das ist völlig falsch, was Sie sagten – ist regelmäßig, beinahe wöchentlich, in der Region unterwegs, um auch die Frage rund um Syrien zu klären. Also, das stimmt so nicht, was Sie hier erzählen.
Der Folterknast Sednaja ist zur Chiffre für den Charakter dieses Regimes geworden. Noch im September wollte beispielsweise die AfD eine deutsche Botschaft in Syrien wiedereröffnen, unter Assad wohlgemerkt.
(Stephan Brandner [AfD]: Hätten wir das mal gemacht! Dann hätten wir schon Gesprächskanäle!)
– Sie haben genug geredet; jetzt hören Sie zu; Pech gehabt; so ist das.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Andere Fraktionen wollten bedenkenlos nach Syrien abschieben und nahmen dabei die drohende Hölle von Sednaja einfach in Kauf.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne haben die vergangenen anderthalb Jahre – und das möchte ich schon noch loswerden – mehrfach hier im Bundestag einen Antrag angeboten, auf die Gefahren einzugehen, die vom Assad-Regime ausgingen: seine Rolle in der vom Iran
(Stephan Brandner [AfD]: Sie haben einen Antrag angeboten? Wie denn?)
– ja – benannten „Achse des Widerstandes“, im weltweiten Captagon-Handel, in Russlands hybrider Kriegsführung gegen Europa und seine grausamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an seiner eigenen Bevölkerung. Offenbar wollte es niemand hören.
Die deutsche Justiz hat – weltweit bisher einmalig – in jahrelangen Strukturermittlungsverfahren das System der syrischen Staatsfolter offengelegt. Regimeschergen wurden hier in Deutschland angeklagt und verurteilt. Unter anderem diese Kompetenzen gilt es jetzt den Syrerinnen und Syrern anzubieten. Nutzen wir also das Vertrauen unserer gewachsenen Beziehungen, um die Menschen auf ihrem Weg in eine sichere und freiheitliche Zukunft zu unterstützen. Dazu zählt vor allem – ich komme zum Schluss –, im Umgang mit HTS und den anderen Milizen auf einen politischen Transitionsprozess zu bestehen, der alle gesellschaftlichen Gruppen einschließt und der die Rechte von allen Minderheiten und Frauen abbildet.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frau Kollegin.
In diesem Sinne: Mabrūk, Suria!
Danke sehr.
Herzlichen Glückwunsch an alle Syrerinnen und Syrer!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Für die FDP-Fraktion hat jetzt Michael Georg Link das Wort.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7619483 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien |