Rasha NasrSPD - Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Dağdelen, das, was Sie hier gerade von sich gegeben haben, ist eine absolute Frechheit. Sie bieten sich Putin und Assad an, stellen sich dann hierhin und sagen so etwas – Ihr Ernst?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich stehe heute hier als Tochter syrischer Einwanderer, die in der 80er-Jahren aus Syrien in die DDR eingewandert sind. Ich stehe heute vor Ihnen, um mit Ihnen einen Moment zu rekapitulieren, von dem die Syrer lange nicht zu träumen gewagt haben: das Ende des Assad-Regimes. Es war ein Tag der Freude, ein Tag der Hoffnung, aber auch ein Tag, an dem wir innegehalten und all derer gedacht haben, die für diesen Augenblick ihr Leben gegeben haben.
Meine Eltern haben sich nach der Wiedervereinigung dazu entschieden, hierzubleiben – das größte Glück meines Lebens. Denn ich durfte in einem Land aufwachsen, das mir die Freiheit gab, meine Meinung zu äußern, zu träumen und meine Stimme zu erheben – all das, was unter dem Assad-Regime nie möglich war. Und dennoch haben mich die Geschichte meiner eigenen Familie und das Leid des syrischen Volkes nie losgelassen.
Das Assad-Regime hat Syrien jahrzehntelang mit Angst regiert. Es hat Häuser zerstört, aber auch Seelen. Es hat Menschen gefangen genommen, gefoltert und ermordet. Ganze Städte wurden nahezu ausgelöscht, und Millionen von Menschen wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Jeder von uns, ob in Syrien oder in der Diaspora, trägt die Wunden dieser Zeit. Doch heute blicken wir auf einen Neuanfang. Der Sturz dieses Regimes ist nicht nur das Ende einer Diktatur, es ist der Anfang von etwas Größerem: der Chance, Syrien neu aufzubauen.
Aber lassen Sie mich ehrlich sein: Das wird kein einfacher Weg. Der Sturz eines Tyrannen bedeutet nicht automatisch den Beginn einer gerechten Gesellschaft. Der Schmerz, die Zerstörung, die tiefen Gräben zwischen den Menschen in Syrien – all das wird nicht über Nacht verschwinden. Doch wir haben jetzt die Möglichkeit, eine neue Grundlage zu schaffen, eine, die auf Freiheit, Gerechtigkeit und Würde basiert.
Für mich als Deutsche mit syrischen Wurzeln bedeutet dieser Moment auch eine Verpflichtung. Wir, die wir in Freiheit aufgewachsen sind, tragen die Verantwortung, den Wiederaufbau Syriens aktiv zu unterstützen, nicht nur mit Geld oder Worten, sondern mit Taten, mit Ideen, mit dem Willen, Brücken zwischen den Menschen zu bauen, die so lange getrennt waren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich denke an die syrische Jugend, die unter Assads Herrschaft keine Zukunft hatte, aber dennoch unermüdlich für Verbesserung gekämpft hat. Ich denke an die mutigen Frauen und Männer, die ihre Stimme erhoben haben, auch wenn es sie ihr Leben gekostet hat. Ihnen schulden wir heute diesen Moment der Freiheit.
Aber dieser Moment gehört nicht nur den Syrern. Er gehört allen, die nicht weggeschaut haben, als Syrien in Flammen stand. Der Sturz dieses Regimes ist eine Mahnung, dass die Freiheit eben nicht selbstverständlich ist, sondern dass sie erkämpft werden muss. Und deshalb ist es für mich unfassbar, welche Debatten von Rechten und Konservativen nicht mal 24 Stunden nach Sturz des Regimes losgetreten wurden, dass lautstark Abschiebungen nach Syrien gefordert werden. Das ist unwürdig, das ist unanständig, und es ist kurzsichtig, um es mal nett zu formulieren. Haben Sie in den Tagen nach dem Sturz überhaupt mit Menschen aus der syrischen Community gesprochen?
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl nicht!)
Ich glaube es nicht. Anders kann ich mir Ihren Zynismus nicht erklären. Sie reden lieber über statt mit diesen Menschen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Auf welchen Teil meiner Rede beziehen Sie sich? – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Spahn?)
– Nicht auf Ihre Rede; aber es ist interessant, dass Sie sich angesprochen fühlen.
Seit 2015 sind über 160 000 Menschen aus Syrien deutsche Staatsbürger geworden. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren Stand Mai dieses Jahres mehr als 226 000 Syrer in sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Sie arbeiten außerdem vorwiegend in sogenannten Mangelberufen.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: 750 000 Erwerbslose!)
22 Prozent der syrischen Männer arbeiten vorwiegend in Verkehrs- und Logistikberufen, 14 Prozent arbeiten im Lebensmittel- und Gastgewerbe, 11 Prozent arbeiten im Gesundheitswesen, 9 Prozent im Baugewerbe. 28 Prozent der syrischen Frauen arbeiten in sozialen Berufen, etwa als Erzieherin, und 18 Prozent im Gesundheitswesen.
Wenn diese Menschen uns alle wieder verlassen oder verlassen müssen, dann wird es echt dunkel hier. Dann fehlen im Gesundheitswesen über 5 000 Ärztinnen und Ärzte, dann fehlen die Menschen, die Ihre Familienangehörigen pflegen oder Ihre Kinder betreuen.
(Zuruf des Abg. Jörn König [AfD])
Dann sind diejenigen nicht mehr da, die Ihnen die Weihnachtsgeschenke gerade noch auf den letzten Drücker zu Hause abliefern. Dann fehlen diejenigen, die Ihnen auf der Weihnachtsfeier den Wein nachschenken, die Ihre Büros saubermachen oder Häuser bauen. Eine schnelle Abschiebung zu fordern oder die Menschen mit 1 000 Euro Startgeld nach Syrien zu locken, ist zynisch und zeugt davon, dass in diesem Haus nicht alle etwas von Nächstenliebe verstehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unser Versprechen ist allerdings klar: Jetzt ist keine Zeit für Aktionismus. Jetzt ist die Zeit für kluge und durchdachte Maßnahmen, für einen langfristigen Blick. Jetzt ist die Zeit, einen Schritt nach dem anderen zu gehen und das Schicksal der Syrerinnen und Syrer nicht für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen, werte Kolleginnen und Kollegen.
Lassen Sie uns den Sturz des Assad-Regimes feiern; aber lassen Sie uns auch schwören, dass wir nicht ruhen werden, bis Syrien ein Land geworden ist, aus dem niemand mehr fliehen muss, ein Land, in dem die Menschen in Frieden und Würde leben können, egal welcher Religion oder Ethnie sie angehören.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hat es da noch nie gegeben!)
Ich glaube fest daran, dass dieser Traum wahr werden kann. Denn die Kraft des syrischen Volkes hat uns gelehrt: Diktaturen mögen Jahrzehnte bestehen, aber der Wille zur Freiheit überdauert alles.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nicht in Syrien!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt hat Robert Farle das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7619493 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien |