18.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 206 / Zusatzpunkt 2

Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien

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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Die gute Nachricht ist: Der Schlächter des eigenen Volkes, Herr Assad, ist weg und verkriecht sich gerade irgendwo in Moskau. Die zweite gute Nachricht: Es ist auch eine Niederlage Russlands, die zeigt, dass Russland nicht in der Lage ist, seine aggressive Geo- und Außenpolitik auf der ganzen Welt durchzusetzen. Als Herr Kotré und Frau Dağdelen gerade geredet haben, habe ich mir vorgestellt, wie Herr Moosdorf demnächst mit ihnen und den Assads gemeinsam Cellounterricht gibt.

(Heiterkeit des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

Das wird eine sehr traurige Veranstaltung. Aber sie ist angemessen für diesen gemeinsamen Pakt der Menschenrechtsverächter hier im Deutschen Bundestag mit Herrn Putin und Herrn Assad.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir wissen heute in der Tat überhaupt nicht, wie sich die Lage entwickelt. Niemand weiß das. Deswegen sind Debatten, wer wann wie gehen muss, vollkommen absurd und verfrüht. Ich glaube, erst jetzt, da wir diese Bilder aus den Folterkellern sehen, wird klar, vor welcher Folter und vor welchem Schicksal die Menschen aus Syrien zu uns geflüchtet sind. Es sind Menschen, die uns kulturell, mit ihrer Religion und mit ihrer Arbeitskraft bereichern. Viele von ihnen sind mittlerweile Deutsche geworden. Ich finde, wir können stolz auf die heutigen Reden der beiden Kolleginnen hier im Deutschen Bundestag sein. Sie zeigen, wie sehr Syrien und Syrer mit ihrer Geschichte, mit ihrer Identität auch zu Deutschland gehören. Das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Was besonders absurd ist, vielleicht auch aus der Sicht mancher, die sich gerade über die Heimkehr von Syrerinnen und Syrern Gedanken machen: Wir wissen in der Tat nicht, wie sich das Land entwickeln wird. Im schlimmsten Fall könnte es sein – wir müssen alles tun, um das zu verhindern –, dass dort demnächst Dschihadistinnen und Dschihadisten regieren, sodass es in Zukunft vielleicht Jesidinnen und Jesiden, Kurdinnen und Kurden und sogar Christinnen und Christen sind, die nach Deutschland fliehen. Dann möchte ich mal sehen, welche Debatten wir in diesem Lande führen. Wollen wir dann die Türen für Christinnen und Christen verschließen, die vor Dschihadistinnen und Dschihadisten fliehen? Hoffentlich nicht!

Was ist jetzt zu tun? Ich könnte die acht Punkte aufzählen, die die Bundesaußenministerin aufgeführt hat. Ich könnte all das aufzählen, was das BMZ gemacht hat. Ich will mich aber auf vier Punkte konzentrieren.

Erstens. Wir müssen alles tun, damit die Gräueltaten aufgeklärt und verarbeitet werden. Die Gefängnisse dürfen nicht abgerissen werden. Sie müssen erhalten bleiben, damit sie zu Erinnerungsorten werden. Bei der Aufklärung und Aufarbeitung müssen wir juristisch helfen. Das ist etwas, das Deutschland besonders gut kann.

Zweitens. Wir müssen weiterhin humanitäre Hilfe und noch mehr leisten. Ich komme gerade aus der Anhörung des Menschenrechtsausschusses. Der nächste Bundestag, wie immer er zusammengesetzt sein wird, muss dafür sorgen, dass wir in der humanitären Hilfe wieder eine führende Rolle in der Welt spielen. Das ist auch für Syrien sehr wichtig.

Drittens. Zur Frage des wirtschaftlichen Wiederaufbaus des Landes hat die Entwicklungsministerin das Nötige gesagt.

Viertens. Wir alle wollen, dass Syrien wieder das wird, was es in der Geschichte durchaus war. Es gibt dort eine lange Geschichte des Zusammenlebens von Ethnien, von Religionen. Wir brauchen Respekt vor Schiiten, vor Drusen, vor Alawiten, Armeniern, Aramäern, Turkmenen und eben auch vor Christinnen und Christen. Es macht große Sorge und ist wirklich unerträglich, wenn Christinnen und Christen sagen, dass sie sich in diesem Jahr nicht trauen, ihre Festivitäten und ihre Festumzüge zu Weihnachten auf öffentlichen Plätzen in Damaskus durchzuführen. Das geht nicht; das wäre jedenfalls ein ganz schlechtes Zeichen für die Zukunft Syriens.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden die neue Führung daran messen, ob solche Festivitäten im öffentlichen Raum möglich sind.

(Beifall der Abg. Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen aber auch auf die Nachbarn einwirken, und zwar auf alle – das ist schon erwähnt worden –, auf Israel, das natürlich jetzt nicht die Gelegenheit nutzen darf, die Golanhöhen sozusagen als eigenes Gebiet zu festigen.

(Beifall der Abg. Susanne Menge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und wir müssen auf die Türkei einwirken. Im Nordosten Syriens leben etwa 5 Millionen Menschen unter einer Art kurdischer Verwaltung; die machen das eigentlich relativ gut dort. Sie brauchen vollen Respekt, volle Inklusion in die Gesellschaft. Es ist unerträglich, dass Menschen in Kobanê und anderswo jetzt Angst haben müssen, dass demnächst möglicherweise wieder Dschihadisten sie entsprechend bedrohen und sie vielleicht massakrieren.

Es wäre auch ein Treppenwitz der Geschichte, wenn nach der guten Entwicklung mit dem Sturz Assads demnächst der IS wieder erstarken und sein Unwesen treiben könnte. Deswegen: Der Sturz Assads ist wirklich ein Anlass zu großer Freude, aber eben auch zur Besonnenheit. Wir müssen mit anderen zusammen ganz, ganz genau hingucken, wie sich Syrien entwickelt. Wir reichen die Hand – aber die, die die Macht gerade haben, müssen auch entsprechend einschlagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619499
Wahlperiode 20
Sitzung 206
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Lage in Syrien
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