18.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. EP / Session 206 / Zusatzpunkt 4

Marlene SchönbergerDIE GRÜNEN - Ost-West-Rentenüberleitung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die jüdische Journalistin Erica Zingher hat vor vier Jahren einen viel beachteten Text geschrieben, den ich zitieren möchte:

„… Vor dem Leben in Deutschland warst du Schweißer … vielleicht Ärztin, Ingenieurin oder Jurist. Und dann kommst du hierher, hops, und du bist niemand.“

Zitat Ende.

Über 200 000 Menschen sind Anfang der 90er als sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen. Nach Nationalsozialismus und Shoah war jüdisches Leben in Deutschland nahezu vernichtet. Die deutsche Politik wollte mit den jüdischen Kontingentflüchtlingen die jüdischen Gemeinden wieder aufbauen. Man wollte Aussöhnung, Wiedergutwerdung.

Während der Rassismus in den sogenannten Baseballschlägerjahren tobte, war man stolz auf die ankommenden jüdischen Kontingentflüchtlinge. Viele haben von guten Migrantinnen und Migranten oder sogar von Geschenken gesprochen.

Doch schnell wurden aus scheinbar offenen Armen Vorbehalte und Ignoranz. Die Journalistin Erica Zingher schreibt – ich zitiere –:

„Bald darauf, Mitte der 1990er Jahre, wurden Migrant:innen aus dem ehemaligen Ostblock als Problem wahrgenommen – und dann gar nicht mehr. Man hat diese Menschen, uns, vergessen.“

Zitat Ende.

Jüdische Gemeinden wurden mit der Integration der Ankommenden allein gelassen. Noch heute erzählen mir die Vorsitzenden jüdischer Gemeinden, was das für ein Kraftakt war: Sprachkurse, Formulare ausfüllen, Wohnungssuche. Berufsabschlüsse wurden nicht anerkannt. Perspektivlosigkeit und prekäre Arbeit für eine Gruppe mit fast 70 Prozent Akademikeranteil. Viele von ihnen waren 40, 50 Jahre alt.

Anders als bei anderen Einwanderungsgruppen sind im Herkunftsland erarbeitete Rentenansprüche verfallen. Insgesamt leben in Deutschland 3 Prozent der Rentner/-innen von Grundsicherung. Bei jüdischen Zugewanderten im Rentenalter sind es 93 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Schande.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])

Wir sprechen heute über das jahrzehntelange Versagen der deutschen Politik, ein Versagen, dessen Auswirkungen wir in dieser Legislatur nur lindern konnten. Wir haben erstmals einen Härtefallfonds aufgelegt, auf den auch ehemalige jüdische Kontingentflüchtlinge zugreifen können. Der Plan war: 2 500 Euro vom Bund, 2 500 Euro von den Ländern. Seien wir ehrlich: Diese Summe liegt weit unter den Erwartungen der Betroffenen.

(Matthias W. Birkwald [Die Linke]: Wohl wahr!)

Und warum dann trotzdem nur wenige Bundesländer bereit waren, Geld zu geben, ist kaum vermittelbar, genauso wenig die schleppende Bearbeitung der eingereichten Anträge auf Bundesebene.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU] und Matthias W. Birkwald [Die Linke] – Zuruf des Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dankbar für diese Debatte. Die Nachbesserungen, die die Union vorschlägt, müssen wir diskutieren. Und wir müssen endlich auch darüber sprechen, dass 2 500 Euro bzw. 5 000 Euro nur ein Anfang sein können.

(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Ganz genau!)

Dabei muss uns klar sein: Die Zeit läuft davon. Wir sprechen über hochbetagte Menschen. Die allermeisten haben jahrzehntelang für dieses Land gearbeitet, meist unter prekären Bedingungen.

Heute haben fast 90 Prozent der Jüdinnen und Juden in Deutschland Migrationsgeschichte aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Die Menschen, von denen wir heute sprechen, haben jüdisches Leben in diesem Land wieder aufgebaut. Es ist höchste Zeit, dass sie die Wertschätzung bekommen, die sie verdienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Verantwortung, Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit zuzugeben, Lebensleistungen endlich anzuerkennen. Und es ist unsere Verantwortung, für Gerechtigkeit zu sorgen, und das schnell.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für die AfD hat Ulrike Schielke-Ziesing das Wort.

(Beifall bei der AfD)

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Electoral Period 20
Session 206
Agenda Item Ost-West-Rentenüberleitung
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