19.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 207 / Zusatzpunkt 7

Omid NouripourDIE GRÜNEN - Soziale Marktwirtschaft in Deutschland

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Partei heißt Bündnis 90/Die Grünen, weil wir einen stolzen Teil in unserer Partei haben, der in der DDR Widerstand geleistet hat. Demgegenüber ist die CDU bis heute nicht bereit, sich ernsthaft mit der Geschichte der Blockpartei, der Ost-CDU, zu beschäftigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist schon bitter, wie Sie hier einfach Anstandsgrenzen verletzen, weil Wahlkampf ist.

Aber es ist ja richtig: Die Lage ist ernst, und Deutschland befindet sich in einer doppelten Krise. Wir haben eine konjunkturelle und eine strukturelle Krise.

Die Antwort, die Erklärung der CDU haben wir gestern vom Generalsekretär gehört. Er hat im Fernsehen gesagt, es gebe in Deutschland keine Leistungsbereitschaft mehr. Ich habe mich gefragt, ob er die Caritas meint oder die Leute, die in Stahlfabriken arbeiten. Dann habe ich den Antrag gelesen, den Sie vorgelegt haben. Er kann nur das gemeint haben: dass Sie beim Schreiben dieses Antrags keine Leistungsbereitschaft gezeigt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Da steht nämlich nur drin, was angeblich falsch ist an allen anderen, aber er enthält keinerlei Konkretion, was Sie eigentlich mit diesem Land vorhaben.

Das spiegelt auch Ihr vorgelegtes Wahlprogramm wider: 100 Milliarden Euro Mehrausgaben jährlich, ohne die zusätzlichen Ausgaben, die es für Verteidigung braucht. Und wenn man fragt: „Wo soll das herkommen?“, sagt Ihr Kanzlerkandidat: vom Bürgergeld. Wenn ich versuche, das auf dem Taschenrechner zu rechnen, dann heißt das, dass Arbeitslose deutlich mehr zahlen müssten, damit am Ende die Pläne der CDU umgesetzt werden können. Sinn macht das nicht.

Realitätsverweigerung steckt in jeder Zeile dieses Antrages. Es ist einfach zum Mäusemelken, was da steht. Da steht, Deutschland sei ein Spitzenreiter bei den G 7, wenn es um die Unternehmensbesteuerung geht. Die Ampel hat – mit der FDP zusammen – in den letzten drei Jahren die Unternehmensteuern in diesem Land nicht angehoben. Wir haben sie von wem übernommen? Vielleicht verraten Sie uns das mal. Wer war da eigentlich Wirtschaftsminister?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Esra Limbacher [SPD])

Das Problem ist doch – das sieht man an jeder Rede; das sieht man an diesem Antrag –: Ihnen kommt Ihr schlechtes Gewissen wegen all der unterlassenen Arbeit in den letzten Jahren zu den Ohren raus. Aber Sie können das nicht zugeben.

Wenn Sie schreiben, Deutschland hat eine „massive Standortschwäche“, dann kann ich nur empfehlen, die Wirtschaftsexpertinnen und -experten, die das sagen, zu fragen, worin diese besteht. Auf Platz eins der Gründe – das sagen Ihnen alle – liegt die marode Infrastruktur in diesem Land. Ich habe keine Ahnung, was Sie glauben, wie das gekommen ist, außer Sie verkennen, dass Sie nichts gemacht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Digitalisierung in diesem Land ist nicht vorangekommen. Es gibt Funklöcher ohne Ende in diesem Land. Wenn man in Polen mit dem Regionalzug fährt, gibt es in jedem Zug an jedem Sitzplatz eine Steckdose und auch noch WLAN, während wir das in Deutschland nicht haben. Man könnte meinen, das hat was damit zu tun, dass die CDU die Digitalisierung nie verstanden hat und die CSU in den letzten Jahren die Verkehrsminister gestellt hat. Dazu müssen Sie sich auch mal verhalten, liebe Leute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Sie müssen doch auch mal sehen, dass die Infrastruktur in diesem Land irgendwas mit Ihnen zu tun hat.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Reden Sie mal über Ihre Regierungsbilanz! Sie hatten doch drei Jahre lang Gelegenheit!)

Und dann sagen Sie: Die Ampel hat versucht, Halbleiterindustrie und Elektromobilität nach vorne zu bringen, und hat einfach nur ganz viel subventioniert. – Glauben Sie, es wäre nötig gewesen, dass Robert Habeck sich bei Northvolt ins Zeug legt, wenn Sie hier irgendetwas getan hätten, wenn Sie rechtzeitig erkannt hätten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass Batterietechnologie für die Zukunft dieses Landes relevant ist?

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer macht denn die Batterieforschung in Deutschland kaputt?)

Sie haben nicht nur in der Vergangenheit – und jetzt kommt das Tragische – nicht verstanden, dass dieses Land modernisiert werden muss und dass Klimaneutralität ein zentraler Wettbewerbsfaktor ist – das zum Thema Wettbewerbsfähigkeit –, sondern Sie haben weiterhin nicht verstanden, dass dieses Land elektrifiziert werden muss, dass unsere Industrie dekarbonisiert werden muss. Hier verweigern Sie sich weiterhin; diese Einsicht ist bei Ihnen nicht da. Genau so wird es nicht funktionieren.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion? Das würde Ihre Redezeit verlängern.

Das würde meine Redezeit verlängern. – Ich glaube, ich komme zum Ende, wenn Sie erlauben, Herr Präsident.

Wenn Sie sie verlängern wollen, lassen Sie doch die Zwischenfrage zu.

Gerne. – Bitte die Zwischenfrage.

Danke. – Ich habe dafür nicht bezahlt, Herr Präsident.

Danke, Herr Kollege Nouripour, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich verlängere gerne Ihre Redezeit, weil Sie da vielleicht die Gelegenheit haben, auch mal zu all den handwerklichen Fehlern etwas zu sagen, die in den letzten drei Jahren nachweislich gemacht worden sind.

(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will nur mal ein einziges Beispiel rausgreifen. Wir alle wundern uns, warum jetzt die Automobilindustrie vor allem im Bereich der Elektromobilität so in die Krise kommt. Die Antwort ist ganz einfach: Weil über Nacht die Förderung von Elektroautos eingestampft worden ist

(Zuruf des Abg. Esra Limbacher [SPD])

von dem Minister, der dort sitzt. Und Sie arbeiten sich jetzt die ganze Zeit in Ihrer Redezeit an vermeintlichen 16 Jahren Unionsregierung ab?

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich würde vorschlagen, Sie erklären mal konkret, wie es zu diesen signifikanten handwerklichen Fehlern in den letzten drei Jahren kommen konnte, und da habe ich über die Kommunikationsunfähigkeit des Wirtschaftsministers noch überhaupt nicht gesprochen. Er hat ja quasi die Energiepreise nach oben geredet, herbeigeredet, also Dinge getan, bei denen man sagen muss: Die darf ein Wirtschaftsminister nicht machen. – Dazu hätte ich gerne von Ihnen mal Ausführungen.

Gerne. – Umberto Eco hat mal geschrieben – und das gilt nicht nur für das, was Sie gesagt haben, sondern auch für das, was Jens Spahn gesagt hat –: Für alles auf der Welt gibt es immer nur eine einzige Antwort. – Das Problem des gesamten Planeten ist, dass es diese Koalition gibt, der die CDU nicht angehört.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt mit der Elektromobilität? Ich habe ein Beispiel genannt!)

Umberto Eco hat mal gesagt: Es gibt für jede schwierige Frage der Welt eine einfache Antwort, und die ist meistens falsch. – Das leben Sie gerade vor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist offensichtlich, dass die Elektromobilität in diesem Land erfunden, patentiert und tatsächlich in Szene gesetzt worden ist. Aber es ist offensichtlich, dass bestimmte Autohersteller, als es darum ging,

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

diese Technik in Kalifornien auf die Straße zu bringen, beschlossen haben, die Software zu manipulieren, statt einfach den Wettbewerb anzunehmen, als wir in dieser Technologie noch vorne waren. Hinzu kommt, dass die Chinesen jetzt mit marktverzerrenden Mitteln gerade ihren eigenen Markt dafür zumachen.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ich habe ein Beispiel genannt! Sie könnten zu einem Beispiel was sagen, aber das tun Sie nicht!)

Wenn Sie sich anschauen, wie eigentlich der Mobilitätsmarkt in China aussieht, dann gibt es mittlerweile einen Shift: Es werden in China deutlich mehr Elektrofahrzeuge verkauft als Verbrenner. Da die Deutschen dort nicht Mitbewerber sein können – in ausreichendem Maße, wie es sein müsste, wie wir uns das immer gewünscht haben –, steckt die deutsche Automobilindustrie derzeit in einer massiven Krise. Das jetzt den letzten zwei Jahren anzudichten, ist echt verrückt.

(Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

Die Antwort auf Ihre Frage ist im Übrigen: Wenn eine Subvention ausläuft und Sie nur eine beschränkte Menge an Geld haben, das nur für eineinhalb Jahre reicht, dann wird Ihnen das Geld schneller ausgehen, als Sie gucken können. Das ist im Übrigen eine der zentralen Logiken, warum Ihre Ministerpräsidenten sagen: Verflucht noch mal, wir müssen die Schuldenbremse endlich reformieren, damit wir nicht in diese Situation kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Warum ist das eingestampft worden?)

Aber so, wie Sie hier argumentieren, muss ich sagen: Ehrlich gesagt, macht mir das für den Wahlkampf Hoffnung; denn die Deutschen gehen jetzt in die Weihnachtspause, haben eine hoffentlich besinnliche Zeit und lassen es sich gut gehen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wie denn bei diesem Anstieg der Arbeitslosigkeit?)

Und nach Weihnachten werden sie sich anschauen, was für einen Hokuspokus Sie da aufgeschrieben haben und warum Ihre Versprechen alle nicht funktionieren.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Einen konkreten Satz zu meinem Beispiel! Ich hatte nur ein Beispiel genannt!)

Dann wird Ihre Illusion, dass Sie jetzt im nächsten Jahr einfach in das Kanzleramt einziehen werden, zusammenschmelzen wie Schnee unter der mexikanischen Sonne.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will, falls weitere Zwischenfragen kommen, nur darauf hinweisen: Auch die Antworten und die Fragen sind zeitlich limitiert. – Also, Herr Nouripour, es ist alles in Ordnung bei Ihnen. Aber das soll nicht dazu dienen, dass Sie zehn Minuten auf eine Frage antworten.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das wäre schön!)

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Houben, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619637
Wahlperiode 20
Sitzung 207
Tagesordnungspunkt Soziale Marktwirtschaft in Deutschland
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