19.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 207 / Tagesordnungspunkt 7

Tim KlüssendorfSPD - Solidaritätszuschlagbefreiungsgesetz

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es nicht verhehlen: Ich habe mich auf die Debatte wirklich gefreut, lieber Markus. Ich habe drei Jahre lang darauf gewartet, dass wir endlich mal auch von diesem Pult aus mit der FDP in die steuerpolitische Auseinandersetzung gehen können, wobei ich ja nicht genau weiß, ob ihr euch noch zu eurem Programm, das ihr heute vorgestellt habt, bekennt oder ob es doch wieder nur von einem Praktikanten war. Aber ich nehme das mal so hin.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der Linken – Christian Görke [Die Linke]: Der war gut! – Gegenruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD]: Ja, der war gut! Das stimmt!)

Ich meine, man weiß ja auch nicht, ob man nach dem Februar noch Zeit hat, das hier mit euch zu diskutieren.

(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Hochmut kommt vor dem Fall!)

Deswegen: Ich freue mich wirklich, die Debatte heute zu führen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich muss sagen: Herr Dürr, dieser Leistungsbegriff liegt mir doch schwer im Magen.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ja, das glaube ich!)

Wir haben am Montag Christian Lindner gehört, der hier in der Debatte zur Vertrauensfrage schon von Neid gesprochen hat im Zusammenhang mit dem steuerpolitischen Programm der SPD, aber auch der Grünen. Heute haben Sie über Leistung gesprochen. Ich habe ein bisschen den Eindruck: Leistung bemisst sich bei Ihnen, aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen von der Union rein am Einkommen oder am Vermögen.

(Christian Dürr [FDP]: Nee! Eben nicht! Das ist genau der Unterschied!)

Ich finde, die echten Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in dieser Gesellschaft sind diejenigen, die tagsüber Arbeit zu leisten haben, die wirklich jeden Morgen aufstehen und für wenig Geld Arbeit an der Gesellschaft leisten und die nicht müde werden, auch wenn sie am Ende des Monats nicht mehr viel auf dem Konto haben, sondern jeden Cent umdrehen müssen. Das sind die wahren Leistungsträgerinnen und Leistungsträger.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Kein Widerspruch! Aber Unternehmen sind keine Leistungsträger? – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])

Und zur Neiddebatte. Ich bekenne mich ja dazu: Natürlich wollen wir zum Beispiel den Soli in eine Zukunftsabgabe überführen.

(Christian Dürr [FDP]: Nein! Frau Heiligenstadt hat das anders gesagt!)

Natürlich wollen wir auch die Erbschaft- und Schenkungsteuer reformieren, sodass die ganzen Ausnahmen endlich mal eliminiert werden und Leute in Deutschland wirklich mehr Erbschaftsteuer zahlen. Wir wollen auch die Vermögensteuer wieder aktivieren.

Aber wir tun das ja nicht aus Neid oder aus Missgunst,

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

sondern wir tun das einzig und allein aus dem Anspruch heraus, den diese Republik sich bei ihrer Konstituierung selber gegeben hat, nämlich dass die stärksten Schultern, die, die wirklich am meisten zu leisten imstande sind, auch die stärkste Last tragen, und nicht diejenigen in der Mitte der Gesellschaft, die täglich arbeiten gehen.

(Beifall bei der SPD)

Und diese Entwicklung – Herr Dürr, ich kann Ihnen das nicht ersparen – ist ja sogar noch schlimmer geworden: Die höchsten Vermögen in dieser Gesellschaft sind weiter angewachsen, während die Leute, die jeden Tag arbeiten gehen, wirklich am meisten unter diesen Krisen in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelitten haben.

(Christian Dürr [FDP]: Die Frage ist doch, warum Sie die nicht entlasten, Herr Klüssendorf!)

In den letzten 15 Jahren ist die Vermögensungleichheit in Deutschland um 20 Prozent angewachsen.

(Christian Dürr [FDP]: Ja, weil Sie nicht entlasten wollen!)

Wir haben mittlerweile die größte Konzentration von Vermögen in Europa, die drittgrößte unter allen OECD-Staaten, und Sie stellen sich hierhin und sagen: Wir wollen keine Neiddiskussion. Leistung muss sich lohnen.

(Christian Dürr [FDP]: Bitte? Sie hätten mal zum Koalitionsfrühstück kommen müssen und das Herrn Mützenich sagen müssen! Das hat Herr Mützenich immer abgestritten, dass die zu sehr belastet sind! Genau das wollten wir! Die Menschen wollten wir entlasten!)

Es geht doch darum, dass die Lasten in dieser Gesellschaft endlich gerecht verteilt werden und nicht zwei Familien in Deutschland über die Hälfte des gesamten Wohlstandes haben.

(Beifall bei der SPD)

Wenn 20 Prozent in dieser Gesellschaft gar kein Vermögen mehr haben

(Christian Dürr [FDP]: Aber Sie wollten doch die Arbeitnehmer mehr belasten! Wer hat das denn dauernd von der Tagesordnung genommen? Das waren doch Sie!)

und mehr als die Hälfte unseres Wohlstandes in dieser Gesellschaft nicht mehr erarbeitet, sondern in Privatvermögen einfach nur noch vererbt oder verschenkt wird, dann ist doch spätestens der Zeitpunkt da, an dem auch Sie sich dieser Diskussion stellen müssen. Die Kolleginnen und Kollegen der Union tun das mittlerweile – ich habe von einigen gute Ansätze gehört – und sagen, dass wir über diese steuerpolitischen Reformen sprechen müssen. Ich sehe Herrn Tebroke, der gerade nickt. Ich weiß auch, dass sogar Herr Merz im Team Laschet 2021 mal von einer dosierten Erhöhung der Erbschaftsteuer gesprochen hat. Deswegen: Lassen Sie uns darüber ins Gespräch kommen und nicht solche Debatten wie heute hier führen!

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

Was mich aber wirklich am meisten stört, ist die Neiddiskussion, die Sie anfangen. Die hat mit der Debatte heute zu tun, mit Ihrem Leistungsbegriff, aber sie hat auch mit den Ausführungen zu tun, wie Sie das Ganze finanzieren wollen. Sie gucken nur nach unten. Sie spielen die Ärmsten gegen die Armen aus.

(Christian Dürr [FDP]: Herr Klüssendorf, Sie haben das von der Tagesordnung genommen! Das waren doch die Sozis gemeinsam mit den Grünen!)

Sie spielen Bürgergeldempfänger gegen Geflüchtete aus, Aufstocker gegen Rentner, Leute, die Mindestlohn beziehen, gegen diejenigen, die wenig verdienen. Das ist das große Problem in dieser Gesellschaft: dass Sie eine Neiddebatte nach unten verlagern, obwohl sie mit dem Blick nach oben stattfinden könnte. Wir wollen eine solche Neiddebatte nicht, aber so könnte sie stattfinden, so wäre es angemessen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

Sie müssen sich mal überlegen: Sie und auch die Union machen Programme mit 80 Milliarden, 90 Milliarden Euro Entlastung und wollen das mit Einsparungen bei Geflüchteten, also bei der Migration, und beim Bürgergeld gegenfinanzieren.

(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Wirtschaftswachstum!)

Machen Sie sich mal ehrlich: Einsparungen bei dem, was im Grundgesetz steht, der Grundsicherung, bei dem, was an Menschenwürde noch übrig bleiben soll in diesem Sozialstaat, werden keine Programme in Höhe von 90 Milliarden Euro finanzieren. Wir sprechen da vielleicht von 4 Milliarden bis 5 Milliarden Euro.

(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

Wenn Sie alles zurückdrehen würden, was wir gemeinsam in dieser Bundesregierung an Beschlüssen gefasst haben, dann wären wir vielleicht bei 10 Milliarden Euro. Damit werden Ihre Steuergeschenke für die da oben niemals zu finanzieren sein. Das werden wir auch nicht zulassen, lieber Herr Dürr.

(Beifall bei der SPD – Kay Gottschalk [AfD]: Das sind keine Steuergeschenke, Herr Klüssendorf! – Abg. Christian Dürr [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Freut mich, dass ich Sie nach Ihrem Redebeitrag noch mal motivieren konnte.

Sie möchten eine Zwischenfrage von Herrn Dürr zulassen? – Bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, da Sie es jetzt hundertmal angesprochen haben –

(Tim Klüssendorf [SPD]: Reicht ja noch nicht!)

ich hatte die Hoffnung, es in meiner Rede bereits klargemacht zu haben –: Erklären Sie dann bitte heute in dieser Rede, Herr Klüssendorf, der deutschen Öffentlichkeit, warum Ihr Fraktionsvorsitzender gemeinsam mit Katharina Dröge die steuerliche Entlastung bei der kalten Progression, wo es um genau die hart arbeitende Mitte geht, die Sie hier gerade adressiert haben, immer wieder von der Tagesordnung genommen hat.

(Michael Schrodi [SPD]: Falsch!)

Das verabschieden wir doch nur deshalb, weil wir Druck gemacht haben.

(Michael Schrodi [SPD]: Falsch!)

Deswegen verabschieden wir das.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD – Michael Schrodi [SPD]: Eine glatte Lüge!)

Sie wollten genau das den Arbeitnehmern, den Pflegekräften verwehren. Das ist die Wahrheit! Warum war das vor dem 6. November nicht möglich, Herr Klüssendorf? Diese Frage hätte ich gerne ganz konkret beantwortet. Warum war die Abstimmung im Deutschen Bundestag mit der alten Mehrheit nicht möglich?

(Michael Schrodi [SPD]: Sie verdrehen die Tatsachen!)

Warum kommt das erst jetzt angesichts des drohenden Wahltermins? Das müssen Sie der deutschen Öffentlichkeit erklären, lieber Kollege.

(Johannes Schraps [SPD]: Solche Wortbeiträge zeigen, warum Rolf Mützenich kein Vertrauen in Sie hat!)

Herr Dürr, vielleicht drei Punkte dazu:

(Christian Dürr [FDP]: Nein, ganz konkret, bitte: Warum?)

Der erste Punkt. Ich habe es hundertmal erklärt, aber anscheinend hat es immer noch nicht gewirkt. Deswegen erkläre ich es gerne noch hundertmal.

Der zweite Punkt ist: Nach meiner Einschätzung haben wir dieses Gesetz gemeinsam in den Deutschen Bundestag eingebracht

(Christian Dürr [FDP]: Und Sie wollen es nicht beschließen!)

und wollten es auch zur Abstimmung bringen. Übrigens haben wir nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den zurückliegenden Jahren – unter Beteiligung der SPD – immer wieder die kalte Progression ausgeglichen.

(Christian Dürr [FDP]: Ja, aber warum wollen Sie es nicht beschließen? Das ist keine Antwort!)

Wir haben immer wieder dafür gesorgt, dass die inflationsbedingten Steuererhöhungen an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist keine Antwort, Herr Kollege! – Zuruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

Dafür haben wir in der letzten Regierung und in dieser Regierung Verantwortung getragen, und wir werden es auch zukünftig tun, Herr Dürr.

(Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Das ist keine Antwort auf meine Frage gewesen: Warum nicht? – Gegenrufe von der SPD)

Der dritte Punkt. Diese Neiddebatte richtet sich ja wirklich gegen diejenigen, die da unten vielleicht zum Mindestlohn arbeiten müssen, den wir Gott sei Dank erhöht haben, oder die vielleicht Bürgergeld beziehen müssen, was sie nicht freiwillig tun. Die meisten Menschen sind übrigens auch nicht arbeitsunwillig,

(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

sondern vielleicht Aufstockerinnen und Aufstocker oder Alleinerziehende, die das in Anspruch nehmen müssen. Diese Neiddebatte vergiftet den politischen Diskurs, und deswegen muss sie abgelehnt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein Letztes noch. Ich hätte mich gefreut, wenn der Kollege Lindner da wäre. Sie sind ja heute auch nur mit sieben Leuten zu der Debatte über Ihren eigenen Gesetzentwurf erschienen. Der Kollege Lindner hat ja davon gesprochen, dass er von Olaf Scholz auf die Straße gesetzt worden ist und er sich auf der Straße wohlfühlen würde. Ich finde, auch das gehört in diesem Parlament vielleicht eingeordnet. Liebe Bürgerinnen und Bürger, natürlich sitzt Herr Lindner nicht auf der Straße. Er sitzt selbstverständlich als Mitglied des Deutschen Bundestages in diesem Parlament und bekommt jeden Monat circa 11 000 Euro an Steuergeldern überwiesen. Ich finde, es ist eine absolute Unverschämtheit, wenn er in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt – er kokettierte damit bei der Spendengala –, seine private Situation würde nicht mehr hergeben und Ähnliches.

(Christian Dürr [FDP]: Wie viel hat denn Herr Klingbeil gespendet?)

Ich finde, das ist eine Unverschämtheit den Leuten gegenüber, die diesen Winter wirklich auf der Straße sitzen. Das lassen wir ihm auch nicht durchgehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gab ja einige Kommentierungen, –

Herr Kollege.

– dass er ja mittlerweile fast schon Street Credibility bekommen hat. – Letzter Satz.

Auch die verlängerte Redezeit ist zu Ende.

„Vom Bordstein bis zur Skyline“ war bei ihm leider nur –

Herr Kollege!

– „Von der Wilhelmstraße bis zur Paul-Löbe-Allee“.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Unseriös und unterstes Niveau!)

Vielen Dank. – Das Wort für Die Linke hat Christian Görke.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619680
Wahlperiode 20
Sitzung 207
Tagesordnungspunkt Solidaritätszuschlagbefreiungsgesetz
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