20.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 208 / Zusatzpunkt 26

Julian PahlkeDIE GRÜNEN - Migrationspolitik

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Wir haben es dieses Jahr ja fast geschafft. Ich habe den Antrag der Union gelesen. Da ist auch, zugegeben, recht viel Meinung drin. Meinung ist mir persönlich ja jetzt auch nicht völlig fremd. Aber anstatt jetzt, zum Schluss dieses Jahres, noch mal auf unsere Meinung zu hören, könnten wir ja auch mal auf die Wissenschaft hören; denn Wissenschaftler sind nicht Mitglied einer Partei, die haben öffentlich nichts zu gewinnen oder zu verlieren,

(Otto Fricke [FDP]: Na ja!)

und das sind ja erst mal, finde ich, ganz gute Voraussetzungen.

Im Antrag schreiben Sie:

„Die Belastungsgrenze ist in vielen Kommunen längst überschritten.“

Schauen wir mal in die Studien dazu, sehen wir: Nur noch 5 Prozent der Kommunen geben an, sie seien im Notfallmodus. Es wird also vieles besser. Grund zum Optimismus, sagt die Wissenschaft.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nicht alle sind so differenziert. Manche, die sich an der Debatte beteiligen, haben viel Meinung, aber eben leider wenig Ahnung. Sie wissen, über wen ich rede: Jens Spahn. Der sagte, Europa bräuchte Zäune entlang der Grenze. – Ich halte an mich und erspare uns meine Meinung, weil die Wissenschaft, dieses Mal in Form des Mercator Forums für Migration und Demokratie, sich das angeschaut hat und sagt:

„‚Länder können sich nicht abschotten, Migration lässt sich nicht aufhalten …ʼ … Grenzbefestigungen und -zäune seien demnach nicht mehr als eine symbolische Abschreckung.“

Dann dachte sich aber wohl Friedrich Merz: „Das geht doch alles noch deutlich schärfer“, und fordert die konsequente Zurückweisung von Migranten an der Grenze, eben auch mit stationären Grenzkontrollen. – Jawoll, das knallt ordentlich! – Aber stopp, ich spare mir die Meinung; denn ein kluger Mensch, dieses Mal Hans Vorländer vom Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden, hat sich das angeschaut und stellt fest: „Wer stationäre Grenzkontrollen auf Dauer errichtet, stellt den Schengenraum sehr stark in Frage.“ Und er warnt vor den Folgen für die Industrie. – Starke Worte. Es könnte noch einen anderen Grund geben, warum Herr Vorländer sich die Merz-Äußerungen angeschaut hat: Er forscht nämlich auch zu Populismus.

(Zuruf: Glauben Sie, was Sie da erzählen?)

Bleiben wir beim Parteivorsitzenden Merz – wer sich so ins Zeug legt, der soll ja auch gewürdigt werden –, der moniert, man hätte nach Nordsyrien ja längst abschieben können, und jetzt Abschiebung ins ganze Land fordert. Da staunt man: Friedrich Merz weiß anscheinend, wie sich Syrien entwickelt. – Aber stopp, das war ja Meinung, und deshalb hören wir heute mal auf die Wissenschaft, dieses Mal aus einer ganz unerwarteten Ecke, damit hier auch nicht der Verdacht der Grünen-Nähe aufkommt, nämlich auf das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft; dahinter steckt ja der BDI. Dieses Institut fordert Planungssicherheit für Unternehmen und Beschäftigte, gerade auch für erwerbstätige Syrer. Und sie sagen, dass der subsidiäre Schutzstatus verlängert werden sollte. Man bräuchte nämlich in Zukunft in den Engpassberufen deutlich mehr Menschen. Und in diesen sogenannten Engpassberufen arbeiten heute schon 80 000 Syrerinnen und Syrer.

Hätte man jetzt eine Meinung, könnte man unterstellen, Merz wolle der Wirtschaft schaden. – Aber Moment, da meldet sich die CSU: An Abschiebungen könne im Moment sicherlich nicht gedacht werden, sagte vor zehn Tagen Innenminister Joachim Herrmann von der CSU.

(Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Guter Mann!)

Das ist ja ein Ding! Da gibt es in der Union mal wieder ein Nord-Süd-Gefälle in der Meinung. Man hat die unionsinterne Dauertorpedierung aus Bayern ja überhaupt nicht mitbekommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Und dann? Dann schwingen Sie sich im Antrag noch dazu auf, die sogenannten Asylverfahren in Drittstaaten zu fordern. Und so ein Zufall: Das haben sich 28 Experten für das Innenministerium mal angesehen. Die große Mehrzahl hält das im Übrigen für Quatsch, völlig unrealistisch, rechtlich unmöglich.

(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Und ganz unjuristisch sagen die Expertinnen und Experten dazu: Asylzentren im Ausland sind teuer und ineffizient.

Man braucht gar keinen Studienabschluss, um festzustellen: Sie hören auch denen nicht zu, die sogar promoviert haben. Und das ist ja irgendwie auch eine Form der Bildungsfeindlichkeit.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir begehen jetzt ein christliches Fest, an dem wir die Geburt eines Menschen mit Fluchtgeschichte feiern.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Sie haben nicht mal Ahnung von der eigenen Geschichte! Das ist ja erbärmlich! – Alexander Throm [CDU/CSU]: Der ist aber wieder zurückgegangen in sein Heimatland!)

Darüber gibt es keine zwei Meinungen. Und damit wünsche ich insbesondere Ihnen von der christlichen Union einen erkenntnisreichen Gottesdienst an Heiligabend.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Benjamin Strasser hat das Wort für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619955
Wahlperiode 20
Sitzung 208
Tagesordnungspunkt Migrationspolitik
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