20.12.2024 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 208 / Tagesordnungspunkt 22

Mathias PapendieckSPD - Arbeitszeitflexibilisierungsgesetz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der FDP-Fraktion, eine 48-Stunden-Woche zu ermöglichen und für die wöchentliche Arbeitszeit durchzusetzen, dass man möglicherweise zwölf Stunden am Tag arbeiten muss, ist schon harter Tobak.

(Otto Fricke [FDP]: Ja, wenn es denn mal drinstünde!)

Wenn man mit den Kollegen und Kolleginnen in den Betrieben redet, dann sagt keiner von denen, dass sie das möchten. Die sagen in dem Moment vielmehr, dass Arbeit und Familie vereinbar sein müssen.

(Zuruf des Abg. Dr. Markus Reichel [CDU/CSU])

Sie sagen, eine Viertagewoche wäre möglich,

(Otto Fricke [FDP]: Oder drei Tage! Oder zwei Tage!)

eine 32- oder 35-Stunden-Woche wäre gut für sie. Aber das, was Sie wollen, will keiner.

Ich war 23 Jahre bei Edeka und zum Schluss Betriebsratsvorsitzender. Wenn ich mit dem Arbeitgeber verhandelt habe, hat sich nicht einmal der das gewünscht, was Sie vorschlagen. Er hat einfach gesagt, er braucht mehr Hände und Köpfe, um den Arbeitsablauf flexibel gestalten zu können. Das ist Fakt. Und daher: Die Unternehmer wollen das, was Sie hier vorschlagen, überhaupt nicht.

Herr Merz hat gesagt, dass die Deutschen im Jahr 200 Stunden mehr arbeiten sollen. Dazu muss man doch einfach mal eines festhalten: Mehr arbeiten heißt doch nicht mehr Effektivität. Jemand, der wenig arbeitet, kann auch sehr effektiv sein.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Glauben Sie, dass die Schweizer nicht effektiv sind? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Effektivität nimmt sogar ab! Das ist wissenschaftlich erwiesen!)

– Das ist so.

Ich glaube, man kann zusammenfassen, dass das, was Sie hier wollen, am Ende niemand sonst will,

(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Was unterstellen Sie denn?)

und man muss feststellen, dass CDU und FDP am Ende auf einer politischen Geisterfahrt unterwegs sind.

(Abg. Max Straubinger [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Das will keiner, und Sie sind absolut alleine mit dieser Meinung.

(Beifall bei der SPD – Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Reine Unterstellung! Mit Fakten haben Sie es nicht so!)

Der nächste Punkt, der erwähnt werden muss, ist rein volkswirtschaftlicher Art.

Wollen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Straubinger zulassen?

Von mir aus.

Herr Kollege Papendieck, Sie haben gerade ausgeführt, dass Volkswirtschaften, in denen mehr gearbeitet wird als bei uns, nicht effektiv sind. Wollen Sie das zum Beispiel der Volkswirtschaft der Schweiz unterstellen? Dort arbeiten die Arbeitnehmer 200 Stunden mehr im Jahr.

(Otto Fricke [FDP]: Die Schweizer sind also faul!)

Also, die Frage möchte ich ganz einfach beantworten: Es ist nicht so, dass jemand, der zum Beispiel 48 oder 50 Stunden in der Woche arbeitet, mathematisch gesehen schlichtweg effektiver ist als jemand, der 35 Stunden arbeitet.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Also mit der Mathematik beleidigen Sie mich als Mathematiker!)

Wenn die Arbeitsergebnisse und die Leistung stimmen, dann ist das gut; dann ist das gut für die Menschen. Wir dürfen die Menschen auf der Arbeit nicht einfach quälen.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: „Quälen“? – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Also, es geht doch nicht um Quälen! Also, was ist denn das?)

Das ist absoluter, sinnloser Quatsch, was Sie fordern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, damit ist Ihre Frage ganz klar beantwortet.

Ich fahre fort, und zwar möchte ich Ihnen eine rein volkswirtschaftliche Rechnung aufmachen, die eigentlich relativ einfach ist: Wenn in einer Familie zwei Arbeitnehmer sind und beide jeweils 30 Stunden arbeiten gehen, dann sind das 60 Arbeitsstunden. Ein weiteres Beispiel: Wenn der eine 40 Stunden und der andere 20 Stunden arbeiten geht, dann sind das auch 60 Arbeitsstunden. Mit Ihren 48 Stunden schaffen Sie nur eins: Dann geht nur noch einer allein arbeiten. Und das ist volkswirtschaftlich völliger Unsinn.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Otto Fricke [FDP]: Hä? Wenn Selbstständige Ihre Rede hier hören! Meine Herren! – Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Die 48 sind doch jetzt schon! Wissen Sie das nicht?)

Der nächste Punkt an der ganzen Geschichte ist: In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Beschäftigten erhöht; sie ist nicht runtergegangen. Wir haben den Höhepunkt – 46 Millionen Beschäftigte – vor allen Dingen dadurch erreicht, dass in einer Familie mittlerweile beide arbeiten gehen können, dass sie selbstbestimmt arbeiten gehen können, dass jeder sich aussuchen kann, wo er arbeitet.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Und flexibel! Und das wollen wir!)

Das ist wichtig, und das hilft auch den Menschen.

Kommen wir mal zu einem gesellschaftlichen Punkt. Was wollen Sie hier eigentlich gesellschaftlich durch die Arbeitsmarktpolitik und die Arbeitszeitpolitik durch die Hintertür erreichen? Eines, und zwar, dass jetzt wieder nur noch einer arbeiten geht,

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Genau das Gegenteil! Exakt das Gegenteil! Aber deswegen stehen Sie bei 15 Prozent! So reiten Sie das Land in die Rezession! Sie haben es nicht verstanden! – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Wer sagt denn das? Das ist doch Quatsch! Das ist doch ein völliger Quatsch! – Otto Fricke [FDP]: O Gott! Wenn das bei Ihnen zu Hause so ist, okay! Aber das ist nicht der deutsche Bürger! Meine Herren! Sie können doch nicht von Ihrem Leben auf andere schließen! – Gegenruf des Abg. Michael Gerdes [SPD]: Er hat einen wunden Punkt getroffen!)

dass er dann möglicherweise seine Familie, seine Kinder gar nicht mehr so oft sehen kann, wenn er 48 Stunden arbeiten geht, und dass am Ende Frauen möglicherweise in Abhängigkeit kommen. Wissen Sie was? Das will niemand, und dafür wurden Sie schon einmal abgewählt.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Sie werden jetzt wieder abgewählt! – Zuruf der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])

Sie sind damit alleine. Das will heutzutage noch immer keiner.

(Beifall bei der SPD – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Sie tragen bewusst die Unwahrheit vor!)

Ich möchte auch eins sagen: Die FDP sagt in ihrem Antrag was von Digitalisierung der Arbeitszeit. Das ein guter Punkt, und den finden auch wir wichtig. Es wäre zum Beispiel wichtig, dass es eine Homeofficepflicht gibt – oder ein Recht auf Homeoffice.

(Otto Fricke [FDP]: Was? „Homeofficepflicht“? Ui! Ui! Haben Sie denn im Edeka-Laden Homeoffice gemacht? Meine Herren! Haben Sie dem Käufer gesagt, der soll bei Ihnen zu Hause zum Einkaufen kommen? – Marc Biadacz [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Herr Papendieck, was erzählen Sie denn da? Was sollen denn die Bandarbeiter sagen? Denken Sie mal an die Menschen, die jeden Tag in den Betrieb gehen! Also, eine Pflicht zum Homeoffice! – Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: In welcher Welt leben Sie denn? – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie sind völlig aus der Zeit gefallen!)

Das wäre mal ein schöner Vorschlag gewesen.

Und bemerkenswert an Ihrem Ansatz ist ja: Wenn man Flexibilität haben möchte, dann muss ja die Arbeitszeit erst mal erfasst werden. Bei der digitalen Arbeitszeiterfassung blockieren Sie komplett. Da wollen Sie lieber weiter irgendeine bürokratische Zettelwirtschaft haben statt der Digitalisierung der Arbeitszeit. Diese Blockade können Sie mal auflösen.

Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Helfen Sie den Menschen, dass sie ihre Arbeitsstunden erfassen können und dass keine Stunde mehr verloren geht! Das würde den Menschen wirklich helfen – und nicht das, was Sie hier gerade beantragen; denn das hilft keinem.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Sie sind in den 70er-Jahren stehen geblieben!)

Wir werden Ihren Antrag auf jeden Fall ablehnen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Rückwärts immer!)

Vielen Dank. – Pascal Kober hat das Wort für die FDP.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7619973
Wahlperiode 20
Sitzung 208
Tagesordnungspunkt Arbeitszeitflexibilisierungsgesetz
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