Olaf Scholz - Regierungserklärung zu aktuellen innenpolitischen Themen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem, was wir heute von Roman Schwarzman gehört haben, fällt es nicht leicht, zur Tagesordnung überzugehen. Wir verneigen uns vor ihm und vor allen Opfern des Holocaust. Roman Schwarzmans Worte hallen nach: „Menschlichkeit und Gerechtigkeit dürfen keine leeren Worte sein“, hat er uns ins Stammbuch geschrieben. Ich sage: Menschlichkeit und Gerechtigkeit sind Versprechen unserer demokratischen Verfassung. Menschlichkeit und Gerechtigkeit finden ihren Ausdruck in den Grundrechten, darunter das Recht auf Asyl, das Schutz vor Gewalt, Krieg und Terror bietet.
Wenn wir heute über die bestürzende, grausame Tat von Aschaffenburg und ihre Folgen diskutieren, dann möchte ich eines voranstellen: Das Recht auf Asyl ist fester Bestandteil unserer Rechts- und Werteordnung. Daran dürfen wir nicht rütteln.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Recht auf Asyl ist die unmittelbare Antwort auch auf das Grauen der NS-Herrschaft. Damals waren es deutsche und europäische Juden, die an fremden Grenzen abgewiesen wurden. Das, so die Lehre der Geschichte, darf nie wieder passieren. Das darf gerade Deutschland nie wieder zulassen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir also heute, 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, hier im Bundestag über Asyl, Flucht und Migration diskutieren und auch über alle Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, dann gehört das Bekenntnis zum Recht auf Asyl für politisch Verfolgte dazu.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn es gebietet der Anstand, dass wir klar unterscheiden zwischen denen, die sich auf den Schutz des Asylrechts berufen können, und jenen, für die das nicht gilt.
Meine Damen und Herren, was in Aschaffenburg passiert ist, ist ein abscheuliches, ein monströses Verbrechen. Zwei Menschen wurden brutal getötet: ein zweijähriger Junge und ein Mann, der sich dem Angreifer mutig in den Weg stellte. Wer sticht auf ein zweijähriges Kind ein?
(Zuruf von der AfD)
Solch eine Tat sprengt die eigene Vorstellungskraft. Den Schmerz der Eltern kann man sich kaum ausmalen. Ich denke oft an die Opfer und ihre Familien und Freunde. Wir trauern mit ihnen und mit den Bürgerinnen und Bürgern von Aschaffenburg.
In Aschaffenburg und an vielen Orten im Land ist neben großer Anteilnahme und Mitgefühl auch zu spüren, wie tief verunsichert viele Bürgerinnen und Bürger sind. Mannheim, Solingen, Magdeburg, jetzt Aschaffenburg:
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Wieder war der Täter jemand, der unseren Schutz missbraucht hat. Wieder war es jemand, der gar nicht mehr hier oder zumindest nicht auf freiem Fuß sein sollte. Wieder stellt sich die dringende Frage, ob und wo Behörden versagt haben.
(Stephan Brandner [AfD]: Geben Sie doch mal Antworten, Herr Scholz! Stellen Sie keine Fragen! Geben Sie lieber Antworten!)
Ich verstehe jeden, der sagt: Mir reicht es! Und ich sage auch: Es reicht! Auch ich bin empört.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie regieren doch! – Zurufe von der CDU/CSU)
Ich bin empört, wenn Behörden in Bund und in den Ländern und den Kommunen nicht alles tun, was rechtlich möglich ist. Deshalb sage ich bewusst: Wir haben ein Vollzugsdefizit;
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: In der Regierung!)
denn alle vier Straftaten – in Mannheim, in Solingen, in Magdeburg und in Aschaffenburg – hätten mit den bestehenden und von uns verschärften Gesetzen verhindert werden können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Deshalb ist es gut und anständig, dass neben dem Bund auch die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt Aufklärung versprochen und sich darum gekümmert haben.
(Stephan Brandner [AfD]: Aufklärung nützt keinem Toten was!)
Umso irritierender ist es dagegen, wie sich die Bayerische Staatsregierung aus der Affäre ziehen will,
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
indem sie mit dem Finger auf andere zeigt, anstatt zu fragen: Was ist eigentlich hier bei uns schiefgegangen, hier bei uns in Bayern? Denn es sind Dinge schiefgelaufen im Freistaat Bayern.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)
Ja, auch das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, hätte schneller sein müssen. Das habe ich noch am Tag des Verbrechens mit dem Präsidenten des BAMF geklärt; denn das ist nicht akzeptabel.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Vollzug des Ausländerrechts, die polizeiliche Gefahrenabwehr, die Durchführung von Abschiebung, der Schutz der Allgemeinheit vor psychisch kranken Gefährdern: Das alles ist in unserem Staat Aufgabe der Länder. So steht es im Grundgesetz. Und ich bin die Nebelkerzen leid, die nach solchen Straftaten geworfen werden, um eigene Missstände zu kaschieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Hallo? Hallo?)
Der Bund kann den gesetzlichen Rahmen setzen für eine bessere Steuerung von Migration, für ein schärferes Asylrecht und für mehr Abschiebungen. Das haben wir getan, und das werden wir weiter tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber ich erwarte, dass Gesetze überall konsequent angewandt werden.
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Wir haben die Asylverfahren gestrafft, damit unsere Behörden schneller entscheiden können. Wir haben für strengere Regeln bei der Versorgung und Unterbringung von Asylbewerbern gesorgt, damit die Länder sie nutzen können: Stichwort „Bezahlkarte“, Stichwort „Sachleistungen“ und vieles mehr.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, Bezahlkarte!)
Grenzkontrollen an allen Binnengrenzen: Wir haben sie durchgesetzt, anders als die CDU- und CSU-Innenminister vor uns. Weit über 40 000 Personen haben wir dadurch allein im vergangenen Jahr an der Grenze zurückgewiesen.
(Stephan Brandner [AfD]: Zehn Jahre zu spät!)
Längere Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam: Wir haben die Möglichkeiten dafür ausgeweitet und verschärft. Diese Möglichkeiten müssen jetzt auch überall in Deutschland in allen Ländern vollständig genutzt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ja, und wir brauchen mehr Abschiebehaftplätze; ich fordere das seit Langem. Auch Dublin-Center zur Rückführung von Asylbewerbern, für die ein anderes EU-Land zuständig ist, brauchen wir in allen Ländern und nicht nur in Hamburg.
Bei all dem geht es darum, Abschiebungen auch effektiv durchzusetzen,
(Zuruf von der AfD: Wir brauchen weniger Einschiebungen!)
weil wir nur dann die Akzeptanz für legale Zuwanderung erhalten, wenn wir unser Recht durchsetzen. Und wir haben die Zahl der Abschiebungen erheblich gesteigert: um fast ein Viertel gegenüber dem Vorjahr und sogar um 70 Prozent gegenüber 2021.
(Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie doch mal die richtigen Zahlen! Nicht nur die Prozente!)
Wir sind das einzige Land in Europa, dem es in den letzten Jahren überhaupt gelungen ist, Straftäter nach Afghanistan abzuschieben.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Ja, vor der Landtagswahl!)
Das ist verdammt schwierig mit einer Taliban-Regierung, aber wir haben es geschafft.
(Beifall bei der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nur eine Woche vor der Wahl! Sonst nicht!)
Der nächste Flug ist in Vorbereitung.
Wir schauen uns auch die Entwicklungen in Syrien sehr genau an. Sobald die Lage vor Ort es zulässt, werden wir auch dorthin Abschiebungen von Straftätern vornehmen – nach Recht und Gesetz, so wie es sich in einem Rechtsstaat gehört. Darüber reden wir mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder, so wie wir auch in den vergangenen Jahren in diesem Kreis immer wieder weitgehende Beschlüsse gefasst haben.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, Bezahlkarte!)
Ich bin bereit, jeden, auch jeden neuen Vorschlag durchzusetzen, der unseren Behörden die Arbeit weiter erleichtert.
(Tilman Kuban [CDU/CSU]: Dann können Sie ja zustimmen!)
Aber noch einmal: Die Taten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg hätten durch die konsequente Anwendung bestehender Gesetze verhindert werden können – allesamt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Vielleicht sind es einfach zu viele!)
Das ist, was besser werden muss. Am Montag haben die Innenministerinnen und Innenminister genau darüber beraten. Ich unterstütze ausdrücklich, dass die Innenministerinnen und Innenminister vereinbart haben, Gewalttaten psychisch Kranker wirksamer zu verhindern,
(Stephan Brandner [AfD]: Sie wollen sie erfassen, mehr nicht!)
damit auch solche Gefährder, die keine Terroristen sind, früher erkannt und besser überwacht werden. Und ich begrüße ihren Beschluss, den Datenabgleich und den Informationsaustausch zwischen allen Sicherheitsbehörden zu intensivieren und biometrische Daten zur Gefahrenabwehr noch stärker zu nutzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einigen unserer Maßnahmen sind wir hart an die Grenze dessen gegangen, was unsere Verfassung und die europäischen Verträge erlauben.
(Stephan Brandner [AfD]: So ein Unsinn!)
Das gilt besonders für die temporären Grenzkontrollen, die alle sechs Monate neu begründet und verlängert werden müssen. Das tun wir und werden wir weiter tun. Aber klar ist auch: Über geltendes Recht hinaus kann, über geltendes Recht hinaus darf man nicht gehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: De lege ferenda! Schon mal gehört? – Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])
Schaden vom deutschen Volk abzuwenden: Das heißt, alles zu machen, was rechtlich möglich ist – als Rechtsstaat, als größter Mitgliedstaat der Europäischen Union.
(Beatrix von Storch [AfD]: Man kann auch die Verfassung ändern!)
Was dem deutschen Volke hingegen schadet, sind Scheinlösungen, die unseren Rechtsstaat und unsere Verfassung beschädigen,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Untätigkeit schadet dem Staat!)
die Deutschlands Ansehen in Europa und der Welt zerstören,
(Stephan Brandner [AfD]: Das machen Sie doch schon! Oder haben Sie das vergessen?)
die das Fundament der Europäischen Union untergraben, die wir gerade in diesen Zeiten brauchen und für die wir als Deutsche besondere Verantwortung tragen. Genau das aber tun Sie, Herr Merz, wenn Sie sagen: Wir wenden europäisches Recht an unseren Grenzen einfach nicht mehr an.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)
Das ist die Antwort der Populisten!
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie verstehen es wahrscheinlich nicht!)
Die katholische und die evangelische Kirche haben gestern in einem Brandbrief eindringlich vor Ihren Vorschlägen gewarnt, Herr Merz.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken)
Unsere Gerichte wären gezwungen, solch ein rechtswidriges Vorgehen sofort zu kassieren. Sie würden es sofort kassieren.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wie bigott!)
Genau das würde schon nach wenigen Tagen im Eilverfahren passieren.
Sie wollen einen Notlagenartikel in den EU-Verträgen nutzen. Dabei wissen Sie genau: Der Europäische Gerichtshof hat das noch nie akzeptiert und würde das auch nicht akzeptieren.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das denn?)
Das größte Land der EU würde offen EU-Recht brechen, so wie das bislang nur Viktor Orbán in Ungarn wagt,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie brechen doch permanent Verfassungsrecht!)
mit fataler Signalwirkung für andere Staaten.
(Zuruf von der AfD: Was ist mit Dänemark, Herr Scholz? – Weiterer Zuruf von der AfD: Niederlande!)
So etwas hätte kein deutscher Bundeskanzler je getan, Konrad Adenauer nicht, Willy Brandt und Helmut Schmidt nicht, Helmut Kohl nicht und auch Angela Merkel nicht. Das muss man hier festhalten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie alle wussten um Deutschlands Verantwortung. Und sie wussten: Unsere Wirtschaft profitiert wie keine zweite vom europäischen Binnenmarkt. Aber auch der lebt vom Respekt vor dem europäischen Recht. Eine Erosion des Rechtsstaates zerstört Vertrauen und Stabilität,
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Vertrauen ist schon weg!)
und das in einer Zeit, in der unsere Demokratie und ihre Institutionen ohnehin von Rechtsextremisten angegriffen und ausgehöhlt werden. In einer solchen Zeit ist Stabilität gefragt und nicht noch mehr Verunsicherung.
(Zuruf von der CDU/CSU: Also Ende der Ampel!)
Was würden unsere Unternehmen, Krankenhäuser oder die vielen Grenzpendlerinnen und Grenzpendler sagen, wenn der Lkw- und Personenverkehr an der Grenze kollabiert? Die beschweren sich jetzt schon über die Mühen, die mit den von meiner Regierung eingeführten Grenzkontrollen verbunden sind. Was würden der polnische Premierminister und der französische Präsident wohl sagen, wenn Deutschland mit Ankündigung europäisches Recht bricht?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der österreichische Bundeskanzler hat bereits klargestellt, dass sein Land Personen nur nach den geltenden europäischen Regeln zurücknimmt. Das heißt ja, Ihre großspurig angekündigten Maßnahmen würden auch rein praktisch gar nicht funktionieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschlands Rolle in Europa muss eine andere sein. Sie folgt aus unserer Geschichte. Sie ist in unserer Verfassung festgeschrieben. Gerade in dieser Zeit, wo Russland unsere Friedensordnung bedroht, wo Präsident Trump einen neuen politischen Kurs einschlägt, ist die Einigkeit Europas wichtiger denn je.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Wäre gewesen!)
Das gilt auch und gerade in der Migrationspolitik, die so lange ein Spaltpilz war. Uns ist es nach acht Jahren des Stillstands gelungen, dass die Europäische Union sich endlich auf ein gemeinsames Asylsystem geeinigt hat. Nächstes Jahr wird es überall umgesetzt. Dadurch werden die Außengrenzen besser geschützt und viele Rückführungen direkt von dort aus stattfinden. Länder, die bisher Flüchtlinge einfach durchgewunken haben, werden künftig alle Ankommenden elektronisch registrieren müssen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Ganz bestimmt!)
Länder, die sich jahrelang aus der Affäre gezogen haben, haben einer solidarischen Verteilung von Geflüchteten zugestimmt.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! – Stephan Brandner [AfD]: Funktioniert ja wunderbar!)
Und was gerade für Deutschland wichtig ist: Wir können Asylbewerber künftig viel leichter in das europäische Land rückführen, das für diese Personen zuständig ist, weil diese Länder ihre Zuständigkeit nicht so einfach abstreiten können. Damit beheben wir einen der größten Geburtsfehler im Dublin-System für die Zukunft, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das alles sind Zugeständnisse, für die wir jahrelang gekämpft haben,
(Stephan Brandner [AfD]: Sie sind ja ein richtiger Kämpfer, Herr Scholz!)
Zugeständnisse, die wir anderen mühsam abringen mussten. All das wäre gefährdet; denn wenn wir aus den europäischen Regeln aussteigen, steigen auch andere aus.
(Zuruf von der CDU/CSU: Die sind schon ausgestiegen!)
Daher haben gerade wir größtes Interesse daran, dass die neuen Regeln überall angewandt werden. Wir können hier im Bundestag noch vor der Wahl das Gesetz beschließen, das zur Umsetzung dieser großen Reform hier in Deutschland nötig ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch diese große europäische Einigung im Sinne Deutschlands setzen Sie mit Ihren undurchdachten Ankündigungen und rechtswidrigen Vorschlägen aufs Spiel. Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Die sollte man schützen!)
Der Amtseid eines Bundeskanzlers – und nicht nur dessen Amtseid – fordert, die Verfassung und das Recht zu wahren und zu verteidigen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: … und Schaden vom deutschen Volke zu wenden!)
Das ist der Maßstab, den unser Grundgesetz vorgibt.
Sie sagen, Sie würden mit Ihren Vorschlägen „all in“ gehen, so wie man das beim Pokerspielen dahinsagt. Aber Politik in unserem Land ist doch kein Pokerspiel!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Zusammenhalt Europas ist doch kein Spieleinsatz, und ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein; denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben gesagt, es wäre Ihnen gleichgültig, wer Ihren rechtswidrigen Vorschlägen zustimmt. Aber es ist nicht gleichgültig, ob man mit den extremen Rechten zusammenarbeitet. Nicht in Deutschland!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])
Seit Gründung der Bundesrepublik vor über 75 Jahren gab es immer einen klaren Konsens aller Demokratinnen und Demokraten: In unseren Parlamenten machen wir mit extremen Rechten nicht gemeinsame Sache.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben diesen Grundkonsens unserer Republik im Affekt aufgekündigt.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Bitte?)
Und Sie haben als Allererstes klargestellt: Sie werden über Ihre Vorschläge mit den demokratischen Parteien gar nicht mehr verhandeln. Damit bleiben Ihnen als Partner ja nur diejenigen, denen Recht und Gesetz schon immer egal waren: die extremen Rechten.
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Die Sozis!)
Das wissen Sie.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)
Mehr noch: Darauf legen Sie es an. Sie nehmen die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf,
(Stephan Brandner [AfD]: Ach, uns meinen Sie! Jetzt kommt es aber hier raus! Ich habe schon gedacht: Worüber faseln Sie die ganze Zeit? – Weiterer Zuruf von der AfD)
die Unterstützung derer, die unsere Demokratie bekämpfen, die unser vereintes Europa verachten,
(Beatrix von Storch [AfD]: Sie verachten Menschenleben! Menschenverachtend, was Sie hier machen!)
die das Klima in unserem Land seit Jahren immer weiter vergiften.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Machen Sie doch gerade!)
Das ist ein schwerer Fehler, das ist ein unverzeihlicher Fehler!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das entscheidet der Wähler! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Was machen Sie eigentlich gegen die AfD? – Gegenruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Brandmauer halten!)
Bisher kannten wir Ihre Umfaller und Zickzackkurse nur von anderen Stellen:
(Stephan Brandner [AfD]: Die Toten von Aschaffenburg und Magdeburg sind Ihre Toten, Herr Scholz!)
aus der Außenpolitik – ich sage nur: Taurus-Ultimatum – oder beim Renteneintrittsalter, wo Sie den Leuten etwas anderes erzählen, als in Ihrem Parteiprogramm steht.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Hören Sie mal auf, zu lügen!)
Aber in einer für unser Land so zentralen Frage, nämlich der Frage, ob man als Demokrat mit den extremen Rechten gemeinsame Sache macht, hatte ich Ihren Zusicherungen wirklich geglaubt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Heul doch!)
Am 12. November hatten Sie gesagt: Ich will keine Mehrheiten im Parlament mit der AfD.
(Tino Chrupalla [AfD]: Es sind Wahlen! Haben Sie doch Verständnis für Herrn Merz!)
Am 13. November haben Sie das hier an diesem Rednerpult wortreich bekräftigt.
(Saskia Esken [SPD]: Ja!)
Sie haben mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD fest vereinbart, alles zu unterlassen, wofür Sie auf Stimmen der AfD angewiesen sind.
(Stephan Brandner [AfD]: Mimimimimi! – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
Noch vor drei Wochen haben Sie im Fernsehen Ihr Wort gegeben, die CDU werde ihre Seele nicht verkaufen durch eine Zusammenarbeit mit der AfD.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Genau so! Vielen Dank, dass Sie mich so richtig zitieren! – Stephan Brandner [AfD]: Die CDU hat keine Seele! – Zurufe von der SPD)
Sie haben Ihr politisches Schicksal damit verbunden. Viele Bürgerinnen und Bürger haben darauf und auf Ihr Wort vertraut. Aber was sind diese Worte jetzt noch wert?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das tröstet die Opfer sehr, Ihre Rede!)
Was sind diese Worte jetzt noch wert?
Wir erleben das doch gerade in Österreich.
(Beatrix von Storch [AfD]: Genau!)
Auch dort hatten alle demokratischen Parteien vor der Wahl ganz klar gesagt: Wir regieren auf keinen Fall mit der FPÖ, dem dortigen Pendant zur AfD.
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Da wird Kickl jetzt Kanzler! Gott sei Dank!)
Gerade die Konservativen haben das hoch und heilig versprochen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Exakt! – Kay-Uwe Ziegler [AfD]: Dann hat der Wähler was anderes gewollt!)
Und jetzt, nach der Wahl? Jetzt sind die österreichischen Konservativen plötzlich bereit, einen extrem rechten Kanzler der FPÖ zu wählen und mit ihm zu regieren.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das hat die SPÖ noch nie gemacht! – Zurufe von der AfD)
Für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ist jedenfalls nun vollkommen klar: Es darf nach der Bundestagswahl keine Mehrheit für CDU/CSU und AfD geben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie bei Abgeordneten des BSW – Gegenruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD]: Da können Sie klatschen, wie Sie wollen! Das entscheidet der Wähler! – Stephan Brandner [AfD]: So wird’s aber ausgehen! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wo sind Ihre Lösungen?)
Es darf nach der Bundestagswahl keine Mehrheit für CDU/CSU und AfD geben; sonst droht uns eine schwarz-blaue Regierung in Deutschland.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das, was das Volk will! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist so eine Lüge! Infam! Wirklich infam! – Zuruf des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU])
Denn wer sagt: „Mir ist gleichgültig, wer für meine Anträge stimmt“, der sagt am Ende auch: Mir ist gleichgültig, wer für mich stimmt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nee! Nee! Die Frau Präsidentin hat um Anstand gebeten! Und da ist null Anstand! Null Anstand! Das ist eine moralische Bankrotterklärung!)
Und programmatische Überschneidungen zwischen Ihnen und denen von der AfD gibt es ja nicht nur bei den rechtswidrigen, europafeindlichen Vorschlägen zur Begrenzung der irregulären Migration.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Meine Güte, müssen Sie verzweifelt sein! Müssen Sie verzweifelt sein! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Am Ende! – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Sie als Kanzler sind eine Nullnummer!)
Die Steuerpläne von CDU und AfD würden ausgerechnet die Allerreichsten am stärksten entlasten. Und einig sind Sie sich auch, dass in Deutschland angeblich viel zu wenig gearbeitet wird und man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern deshalb mehr Druck machen müsse.
(Stephan Brandner [AfD]: So richtig arm war der Olearius aber auch nicht, oder? – Zuruf von der FDP: In welcher Realität lebt dieser Bundeskanzler?)
Aber die Bürgerinnen und Bürger können am 23. Februar dafür sorgen, dass es keine Mehrheit gibt für eine solch falsche Politik in Deutschland.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das machen die aber nicht! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Also, falscher als Ihre Politik, das geht ja gar nicht!)
Die Bürgerinnen und Bürger können dafür sorgen, dass es keine Mehrheit gibt für Schwarz-Blau in unserem Land.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist so unverschämt! – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sehr peinlich! – Stephan Brandner [AfD]: Blau-Schwarz!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden aus der demokratischen Mitte heraus für mehr Ordnung und Steuerung und Humanität in der Migrationspolitik sorgen, so wie wir das gemeinsam mit den Ländern in den zurückliegenden Jahren gemacht haben.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Weiter so!)
Wichtige Vorschläge zur Stärkung der inneren Sicherheit liegen entscheidungsreif hier im Bundestag oder im Bundesrat.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Ach! – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Gar nichts haben Sie auf die Kette gekriegt!)
Das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Asylreform habe ich eben schon erwähnt. Je schneller das kommt, desto besser können sich die Länder darauf vorbereiten. Wir wollen das Bundespolizeigesetz modernisieren; auch das liegt hier im Bundestag.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Misstrauen gegenüber der Polizei! Das nennen Sie „mehr Sicherheit“?)
Es geht darum, der Bundespolizei eine bessere Ermittlungsarbeit zu ermöglichen, auf dem aktuellen Stand der Technik.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Unfug!)
Das können wir diese Woche gemeinsam auf den Weg bringen.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Sie haben es in den letzten drei Jahren nicht geschafft! Drei Jahre hatten Sie Zeit!)
Und auch die Gesetzesverschärfungen, die wir nach dem Anschlag von Solingen beschlossen haben, liegen weiter auf dem Tisch. Dazu zählen zum Beispiel neue Befugnisse, auf die unsere Sicherheitsbehörden dringend warten, etwa beim biometrischen Datenabgleich im Internet. Ich habe kein Verständnis dafür,
(Stephan Brandner [AfD]: Das glaube ich!)
dass diese Änderungen von den unionsgeführten Ländern im Bundesrat weiter blockiert werden.
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ganz genau!)
Worauf warten wir denn noch?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Worauf warten Sie? Sie können den Vermittlungsausschuss anrufen und machen es nicht!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zum Schluss.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – Stephan Brandner [AfD]: Gott sei Dank!)
Am Tag nach dem Attentat von Aschaffenburg war ich in Erfurt unterwegs. Am Rande dieser Bürgerveranstaltung ist ein junger Mann auf mich zugekommen und hat zu mir gesagt: Herr Scholz, ich komme aus Afghanistan, genauso wie der Täter von Aschaffenburg, und ich möchte Ihnen und allen Deutschen sagen: Wir sind nicht alle so.
(Stephan Brandner [AfD]: Danach waren Sie im Paulanergarten, oder? – Thomas Seitz [fraktionslos]: Paulanergarten!)
Was da geschehen ist, das erschüttert mich genauso wie alle anderen hier im Land.
Meine Damen und Herren, fast ein Drittel von uns in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. Viele von ihnen haben große Angst, unter Generalverdacht zu geraten.
(Zuruf von der SPD: Genau!)
Dabei leiden sie unter Hass und Gewalt genauso wie alle anderen von uns.
(Beatrix von Storch [AfD]: Das sind die, die AfD wählen, wenn sie können!)
Unter den Opfern von Aschaffenburg waren ein kleiner Junge aus Marokko und ein kleines Mädchen aus Syrien. Und deshalb dürfen wir uns nicht spalten lassen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie noch mal über Respekt reden! Nehmen Sie doch mal das Wort „Respekt“ dazu! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Und die Angehörigen sind fassungslos! – Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Sie spalten doch die ganze Zeit! – Marc Bernhard [AfD]: Das ist Ihre Verantwortung, dass das passiert!)
Maximale Konsequenz
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: In was denn?)
gegenüber denjenigen, die unser Land und unseren Schutz ausnutzen, ohne den Rechtsstaat aufzugeben,
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Haltet den Dieb!)
und zugleich keinen Fußbreit denen, die Hass und Hetze säen,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Machen Sie doch gerade!)
das ist der richtige Kurs für unser Land.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Eine moralische Bankrotterklärung des Bundeskanzlers! Das war mal nix!)
Ich eröffne nun die Aussprache, und zuerst hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7628507 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zu aktuellen innenpolitischen Themen |