29.01.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 1

Anke Rehlinger - Regierungserklärung zu aktuellen innenpolitischen Themen

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute hier im Hohen Hause der Opfer des Holocaust gedacht. Wir haben am Montag – viele waren mit dabei – im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz am Gedenken teilgenommen. Der Name „Auschwitz“ steht dabei für die Verantwortung, die jeder von uns hat, nämlich dafür zu sorgen, dass sich so etwas niemals wiederholt.

Wir müssen aber leider feststellen: Für „Wehret den Anfängen!“ ist es schon zu spät. Antisemitismus, Antiziganismus und Menschenfeindlichkeit in jeder Form zeigen sich mittlerweile wieder in absoluter Schamlosigkeit.

(Zuruf von der AfD: Bei der SPD!)

Nie war in der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit so viel Schutz für jüdische Gemeinden notwendig wie heute, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zuruf von der AfD: Woran das wohl liegt!)

Das ist eine Schande für unser Land.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Und wer sind die Täter?)

Und ich komme auch nicht umhin, an dieser Stelle zu sagen, dass ich hier mit einigermaßen Unbehagen stehe, nachdem wir gemeinsam hier die Gedenkstunde abgehalten haben und uns jetzt, zu diesem Zeitpunkt, in dieser Debatte über dieses Thema und mit diesen Ausführungen befinden. Denn diese Debatte hat ja bereits einen gesellschaftlichen Eindruck erzeugt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen und wir können gemeinsam verhindern, dass die Feinde der Demokratie noch mehr Sitze in diesem Parlament erlangen.

(Stephan Brandner [AfD]: Feinde der Demokratie haben in diesem Parlament weniger Sitze! – Weitere Zurufe von der AfD: SPD und die Grünen! – Unverschämtheit!)

Und wir können und wir müssen auch verhindern, dass die Feinde der Demokratie Macht in unserem Staat bekommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der AfD: Was für eine Hetze!)

Mit „wir“ meine ich die vernünftige, demokratische Mitte in diesem Land.

(Jürgen Braun [AfD]: Dazu gehört die SPD lange nicht mehr!)

Und darin besteht, wie ich finde, das Hauptrisiko des politischen Harakiris, das wir gerade hier erleben. Denn die Union spaltet exakt diese politische Mitte,

(Zuruf des Abg. Jörn König [AfD])

und das, wie wir hören müssen, zum Jubel von rechts außen. Das kann keine kluge Politik für Deutschland sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und ich fürchte, es wird sich rächen. Ich fürchte, es wird sich nicht nur für die Union rechnen – – rächen, sondern es wird sich für alle Demokraten in Deutschland rächen.

(Stephan Brandner [AfD]: „Rächen“ oder „rechnen“?)

Es wird sich für unsere Gesellschaft rächen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Dabei wäre es anders möglich. Es wäre auch mit Blick auf meine Kolleginnen und Kollegen in der Ministerpräsidentenkonferenz anders möglich. Wir haben schon oft unter Beweis gestellt – auch bei unterschiedlichen Meinungen, die wir hatten –, dass es im Kreise der Regierungschefs – der CDU, der SPD, der CSU, der Grünen und vor Kurzem noch der Linkspartei – möglich war,

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

gemeinsam weitreichende Beschlüsse, auch zur Migrationspolitik, zu fassen.

Im Kreise der SPD-Ministerpräsidenten haben wir auch in einem Brief noch einmal deutlich gemacht, dass die ausgestreckte Hand der Vergangenheit auch in Zukunft ausgestreckt bleibt.

(Stephan Brandner [AfD]: Ich habe keinen Brief bekommen!)

Wir sind dazu bereit, im Kreise der demokratischen Mitte nach Mehrheiten zu suchen und das zu tun, was unser Arbeiten in der Politik ausmacht, nämlich auf Kompromisse einzugehen,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das machen Sie doch gar nicht!)

ohne dass man auf die Falschen setzt, um sich Mehrheiten in diesem Land zu beschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nach der furchtbaren Tat von Solingen hat die Bundesregierung ein Sicherheitspaket auf den Weg gebracht. Und niemand bestreitet, dass das sinnvolle Maßnahmen sind; trotzdem wurden sie von der Union im Bundesrat blockiert: nicht nur das Sicherheitspaket, auch andere, ich nenne die Stichworte „GEAS-Reform“, „Begrenzung der irregulären Migration“, „Bundespolizeigesetz“. Gerade nach der weiteren abscheulichen Tat in Aschaffenburg ist mir deshalb wichtig, zu sagen: Es gab und es gibt die Möglichkeit, durch tatsächlich entscheidungsreife Gesetzentwürfe

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

substanzielle Verbesserungen mit Stimmen der gesellschaftlichen Mitte auf den Weg zu bringen. Die Union hat das nicht gewollt. Sie will es nicht. Stattdessen setzt sie auf die Gefahr von Stimmen aus der AfD, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich stelle mir darüber hinaus die Frage,

(Stephan Brandner [AfD]: Sie reden für den Bundesrat oder für die Juso-Kampfgruppe Saarbrücken?)

in Richtung Union blickend: Wie wollen Sie eigentlich in Ihrer Partei, in den Ländern,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Die zweite Bewerbungsrede als SPD-Vorsitzende!)

in den Kommunen noch die Brandmauer halten, wenn Sie sie höchstselbst hier im Bundestag niedergerissen haben,

(Zurufe der Abg. Stephan Brandner [AfD] und Dr. Rainer Rothfuß [AfD])

meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Insofern geht es bei den Abstimmungen am heutigen Tag und auch bei dem, was am Freitag ansteht, nicht nur um einen Tabubruch in diesem Hause, sondern es ist, wie ich fürchte, auch ein Dammbruch zulasten der gesamten Demokratie in Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Geht es auch eine Nummer kleiner?)

Mindestens genauso schwer wiegt dabei, dass mit den Forderungen, die im Raum stehen und diskutiert worden sind, Erwartungen geschürt werden, die niemand in der Lage ist zu erfüllen – auch nicht Herr Merz, auch nicht die Union –, weil sie eben gegen die Verfassung verstoßen.

(Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Nein! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Quatsch! Was haben Sie für eine Ahnung? Ist doch Blödsinn! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wenn man es wiederholt, wird es nicht richtiger! – Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])

Sie haben eben nicht Vorschläge vorgelegt, wie das Recht geändert werden kann, damit dieser Verstoß nicht zum Tragen kommt.

Ich sage es bezogen auf einen Punkt, der politisch zu bewerten ist: Ausgerechnet im 40. Jahr des Schengener Abkommens wollen Sie die Grenzen schließen. Die Schlagbäume sollen runtergehen. Sie werden damit quasi mit einem Federstreich die Europapartei CDU zur Geschichte machen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Jetzt geht es um Zurückweisungen! Verstehen Sie das gar nicht?)

Will man sich wirklich von diesen Grundwerten, auch den Grundwerten Ihrer Partei, an dieser Stelle auf diesem Weg verabschieden, meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie wissen aber schon, wer Grenzkontrollen macht, oder?)

Und es ist gefragt worden: Was sagt Europa dazu? Ich kann es Ihnen sagen. Ich habe mit dem Luxemburger Premierminister zusammengesessen – Ihr Parteifreund –,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir auch!)

und er hat sehr, sehr, sehr geschimpft auf das, was jetzt schon stattfindet;

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein! Bei uns nicht!)

und das, was geplant ist, würde er mit eigenen Worten entsprechend belegen; Sie können es gern in der Presse nachlesen. Zehntausende Pendler sind unterwegs, nicht nur im Saarland und der Großregion, auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei uns ist ein Riesenanteil des Einzelhandels davon abhängig, dass die Französinnen und Franzosen ungehindert zu uns kommen können. Ihre Grenzschließungspläne sind eine Gefahr für unsere Wirtschaft

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein!)

und die Arbeitsplätze der Saarländerinnen und Saarländer und noch deutlich darüber hinaus, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie kommen zum Ende bitte, Frau Kollegin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen an einem historischen Scheideweg. Wie tief unsere Gesellschaft von den Vorgängen hier getroffen ist, das zeigt der Appell der Kirchen, der evangelischen und der katholischen. Er zeigt, dass es hier eben nicht um ein übliches, im Wahlkampf gelegentlich auch mal so stattfindendes Parteiengezänk geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern um eine sehr, sehr grundsätzliche Frage unserer Gesellschaft. Hören wir den beispiellosen Ruf der Kirchen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin.

Wir müssen dafür sorgen, dass wir unserer historischen Verantwortung gerecht werden. Rechts darf niemals die Macht in unserem Land erhalten.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das entscheidet der Wähler!)

Für die Gruppe Die Linke hat Heidi Reichinnek jetzt das Wort.

(Beifall bei der Linken)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7628539
Wahlperiode 20
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zu aktuellen innenpolitischen Themen
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