Dirk WieseSPD - Regierungserklärung zu aktuellen innenpolitischen Themen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn man am Ende einer Debatte zu Wort kommt und die Reden von Friedrich Merz und Alexander Dobrindt heute vielleicht in einem Satz zusammenfassen soll, dann muss man sagen: Auf den Punkt gebracht ist das Ihr Inhalt: Der einzigste Weg, die AfD zu bekämpfen,
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Der einzige! „Einzigste“ ist übrigens grammatikalisch falsch! Das gibt es gar nicht, das Wort! Wirklich solider Wortschatz!)
ist, mit ihr in dieser Woche eine Mehrheit zu bilden. – Ich halte das für komplett falsch,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und ich kann vor diesem Weg, den Sie diese Woche einschlagen wollen, nur noch mal ausdrücklich warnen.
Ja, was wir in Aschaffenburg erlebt haben, das wühlt uns auf, das macht uns wütend. Ja, es ist eine Situation, in der schnell Forderungen erhoben werden. Aber das Entscheidende in solchen Situationen ist,
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Aber! Aber!)
trotz allem, was uns aufwühlt, was uns wütend macht, einen kühlen Kopf zu bewahren, verantwortungsvoll mit der Situation umzugehen, klare Prinzipien zu haben. Das umfasst für uns als SPD Humanität und Ordnung und die Durchsetzung des Rechtsstaates. Was wir nicht brauchen, ist, dass jemand aus dem Bauch heraus Entscheidungen trifft, und das insbesondere, wenn er für das höchste Amt in diesem Land kandidiert. Das ist unwürdig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Er will doch gar nicht Bundespräsident werden!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nehme durchaus wahr, was draußen debattiert wird. Ich nehme durchaus das Unsicherheitsgefühl bei vielen Bürgerinnen und Bürgern wahr. Aber ich nehme auch wahr, dass viele Bürgerinnen und Bürger ganz klar sagen: Wir leben in einem Rechtsstaat. Wir wollen nicht Regeln auf den Weg bringen, die rechtswidrig sind. Das, was in dem Fünf-Punkte-Plan vorgeschlagen wird, die pauschalen Zurückweisungen an den Binnengrenzen – das sagen viele in diesem Land, die sich tagtäglich damit befassen und sich damit auskennen –, ist nicht mit unserer Verfassung in Einklang zu bringen, das verstößt gegen Europarecht. Und ich finde es schlimm, dass eine Partei wie die CDU, die sich selbst Europapartei nennt, das vorschlägt. Das ist etwas, was ich vor zwei Wochen noch nicht gedacht hätte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Schauen wir einfach mal genau hin, was diejenigen sagen, die diese Regelung täglich umsetzen müssten. Es gibt erhebliche Warnungen vonseiten der Gewerkschaft der Polizei, insbesondere aus dem Bereich der Bundespolizei, die genau die entscheidende Frage stellt: Wie soll es denn letztendlich gehen? – Das ist etwas, was nicht praktikabel ist, ganz abgesehen von der Tatsache, dass es rechtswidrig ist.
(Zuruf des Abg. Marc Bernhard [AfD])
Lassen Sie uns mit Blick auf die Bundespolizei lieber dafür sorgen, dass wir diese Woche das Bundespolizeigesetz auf den Weg bringen. Das wären rechtliche Verbesserungen, die tatsächlich helfen würden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber nein! 2021 ist es auch schon gescheitert, übrigens am bayerischen Innenminister Joachim Herrmann.
Ich nehme es übrigens sehr ernst, was uns aus der evangelischen Kirche, aus der katholischen Kirche und übrigens auch aus der Alevitischen Gemeinde heute an Zuschriften erreicht hat. Ich will zitieren:
„Zeitpunkt und Tonlage der aktuell geführten Debatte befremden uns zutiefst. Sie ist dazu geeignet, alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren“
(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])
„und trägt unserer Meinung nach nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen bei. Die nun vorgeschlagenen Verschärfungen“
– der CDU –
„sind nicht zielführend, vergleichbare Taten zu verhindern und tragfähige Antworten auf das öffentliche Sicherheitsbedürfnis zu geben.“
Ich nehme das sehr ernst. Was twittert Steffen Bilger aus der CDU? „ Überrascht nicht, interessiert nicht.“ Das macht mich sprachlos; das sage ich Ihnen ganz offen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lieber Herr Dobrindt, Sie haben vorhin angesprochen, dass es 1993 einen großen Asylkompromiss gegeben hat. Was Sie aber vergessen haben, ist Folgendes: Wir saßen mit Ihnen im Herbst im Bundesinnenministerium zusammen. Wir haben über Vorschläge gesprochen, wir haben Lösungen diskutiert, die rechtswidrig sind.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie haben uns schlichtweg angelogen! Die Ministerin hat uns angelogen, Herr Wiese! Nichts anderes! Sie wissen es genau!)
Und wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, was passiert ist? Thorsten Frei kam in den Raum rein und suchte schon den Notausgang, weil Ihnen nicht an einer gemeinsamen Lösung gelegen ist.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Quatsch!)
Dafür kritisiere ich Sie: dass Sie das hier heute nicht erwähnt haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lars Klingbeil [SPD]: Hört! Hört! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben uns getäuscht!)
Ich kann nur warnen vor diesem Tabubruch, den Sie diese Woche letztendlich machen wollen. Sie öffnen damit die Tür in Richtung einer rechtsextremistischen Partei. Eine Band bei mir aus Nordrhein-Westfalen, die Broilers, haben es in einem Zitat auf den Punkt gebracht. Sie haben über Alice Weidel gesungen: „Sie redet, wie ein Nazi denkt.“ – Dem ist nichts hinzuzufügen. Sie öffnen diese Tür in Richtung AfD.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was ist das denn für eine Beleidigung? Hallo! – Beatrix von Storch [AfD]: Was sind Sie denn für ein Nazi? – Weitere Zurufe von der AfD)
Sie machen sie salonfähig und koalitionsfähig. Sie gehen den österreichischen Weg.
(Beatrix von Storch [AfD]: Dirk Wiese, der Obernazi! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie sollten sich schämen! Schämen Sie sich!)
Zu den Zurückweisungen, die Sie vorgeschlagen haben, möchte ich noch einmal – Gott sei Dank ist er noch im Amt – den aktuellen Bundeskanzler unserer österreichischen Nachbarn, Alexander Schallenberg, zitieren. Er hat gesagt:
„Wir brauchen – das wissen wir alle – gemeinsame Lösungen. Wenn jeder von uns jetzt einzeln einfach die Zugbrücken hochzieht, dann sind wir alle ärmer und keiner ist sicherer.“
Lieber Kollege Lindner, Sie haben die Debatte schon verlassen, aber ich will zu Ihnen noch einen Satz sagen.
(Widerspruch bei der FDP – Christian Lindner [FDP]: Nein!)
– Ich sehe Sie. Ich entschuldige mich.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Für Ihre ganze Rede am besten! – Zuruf von der AfD: Eine Blamage!)
Wenn wir über mehr Sicherheit bei uns im Land reden, dann ist klar: Wir brauchen mehr Befugnisse für unsere Sicherheitsbehörden. Es war Ihre Partei, es waren Sie höchstpersönlich mit Marco Buschmann, die unseren Sicherheitsbehörden immer wieder Fesseln anlegen wollten,
(Zurufe des Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP])
die Befugnisse verhindert haben und die blockiert haben. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass unsere Behörden diese Befugnisse heute nicht haben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Eine schlechte Rede!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zu aktuellen innenpolitischen Themen |