30.01.2025 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 210 / Zusatzpunkt 4

Robert Habeck - Regierungserklärung z. Jahreswirtschaftsbericht 2025

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Guten Morgen! Der Jahreswirtschaftsbericht enthält einige Lichtblicke: Die Anlageinvestitionen stabilisieren sich, das Volumen der Baukredite steigt, die Zahl der Baugenehmigungen steigt auch, und – vielleicht das wichtigste Thema, das wir in den letzten drei Jahren immer wieder beredet haben – die Inflation ist gesunken. Sie liegt in diesem Jahr bei 2,2 Prozent – so ist es prognostiziert –, und im nächsten Jahr wird dann die 2-Prozent-Zielmarke mit 1,9 Prozent – in der Prognose – unterschritten. Das heißt, etwa zur Jahresmitte werden wir das EU-Ziel erreichen bzw. die 2-Prozent-Marke unterschreiten. Das sagen auch die Prognosen der Bundesbank.

Allerdings dürfen diese Aufhellungen – so will ich sie nennen – oder Lichttupfer nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland sich in einer schwierigen strukturellen Lage befindet. Die Lage ist nicht befriedigend, und das ist keine zyklische Konjunkturproblematik, sondern wir befinden uns in einer strukturellen Krise. Ich würde mit Blick auf die letzten Jahre – und damit meine ich nicht die letzten drei Jahre, sondern vielleicht die letzten zehn Jahre – sagen: Wir befinden uns in einer tiefen strukturellen Krise.

Wir werden die Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 0,3 Prozent absenken müssen; für das Jahr 2026 prognostizieren wir dann 1,1 Prozent Wachstum. Vielleicht wichtiger als diese Zahlen – ich gehe gleich auf sie ein – ist, dass das Potenzialwachstum in den nächsten Jahren auf 0,4 Prozent fallen wird, und damit setzt sich eine Tendenz fort, die seit 10, 15 Jahren zu beobachten ist: dass die Wettbewerbsfähigkeit des Landes strukturell – strukturell! – abnimmt.

(Albrecht Glaser [AfD]: Das liegt am Euro! Weiß jeder! Schwach!)

Das heißt also, dass, selbst wenn die Menschen Vertrauen fassen würden, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder mehr Geld ausgeben würden, wenn eine Regierung streitfrei agieren würde, wenn also alles so weit okay sein würde, die deutsche Wirtschaft nur noch ein Wachstumspotenzial von ungefähr einem halben Prozentpunkt hätte.

Das liegt daran, dass die Standortbedingungen in den letzten Jahren, in den letzten zehn Jahren etwa,

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: … schlechter wurden! – Albrecht Glaser [AfD]: … verschlechtert wurden!)

permanent schlechter geworden sind. Das hat viel mit einer optischen Täuschung zu tun, und wenn ich „optische Täuschung“ sage, dann meine ich das nicht verharmlosend. Das hat damit zu tun, dass wir geglaubt haben – und das „wir“ lasse ich jetzt erst mal neutral stehen –, dass wir unsere wirtschaftliche Kraft aus eigener Stärke generieren. Aber in Wahrheit war es das günstige Gas aus Russland

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Ach, das ist doch Unsinn!)

und die Annahme, dass China als Werkbank des Landes immer funktioniert und auch der gutwillige Markt ist, auf dem wir unsere Produkte verkaufen können.

Dabei ist übersehen worden, dass China eine aggressive Politik betreibt, die dafür sorgt, dass China inzwischen sehr erfolgreich nicht nur den eigenen Markt dominiert – E-Mobile in China –, sondern leistungsfähige, günstige Produkte auch auf die Weltmärkte bringt.

Schaut man jetzt zurück, sieht man, dass sowohl die öffentliche Seite wie auch die unternehmerische Seite in den letzten 10 bis 15 Jahren zu wenig innovativ gewesen ist. Das heißt, dass wir unseren Standort tatsächlich noch mal booten müssen, uns noch einmal neu erfinden müssen.

Wenn wir über die konjunkturellen Krisen gesprochen haben, etwa nach Corona, haben wir immer den Aufschwung nach dem Abschwung gesehen, so auch in den letzten zwei Jahren. Und die politischen Debatten, auch in diesem Haus, haben sich im Kern darum gedreht, dass wir beispielsweise eine Energiepreisbremse einführen oder verlängern sollen oder einen Industriestrompreis einführen sollen.

Wir haben in den vielen wie Hagelschläge kommenden zyklischen Krisen, den Einbrüchen in der Konjunktur, nicht intensiv genug darüber diskutiert, wie wir unseren Standort insgesamt aufstellen. Da sind wir jetzt aber angekommen. Und man muss es so klar sagen: Mit der Baukastenmethode, mit den Methoden der letzten 10, 15 Jahre werden wir diese strukturelle Krise nicht lösen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn sie sind ja die Ursache dafür, dass wir in diese strukturelle Krise hineingeraten sind.

Lassen Sie mich das an drei Beispielen deutlich machen, und ich wähle sie mit Absicht so, dass das nicht die üblichen Debattenpunkte sind.

Inzwischen sind in der Alterskohorte zwischen 20 und unter 35 Jahren fast 3 Millionen, rund 2,9 Millionen, junge Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss. Die Problematik thematisieren wir auch im Jahreswirtschaftsbericht

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Wer hat die denn reingelassen?)

Sie stehen praktisch dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Nennt sich „Bürgergeld“!)

Das hat natürlich auch etwas mit dem hohen Anteil der Menschen, die nicht die deutsche Sprache als Muttersprache sprechen, in den Schulen zu tun,

(Bernd Schattner [AfD]: Ich denke, das sind alles Fachkräfte!)

aber nicht nur, nein; denn auch in Deutschland Geborene verlieren systematisch an Qualifikation in der Bildung.

Und es ist nicht so, dass wir das Problem gelöst hätten – im Gegenteil: Im Moment ist es so, dass 13,1 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren weder über einen beruflichen Abschluss nach der Hochschulreife verfügen und sich nicht in Aus- oder Weiterbildung befinden, also dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Das heißt, die Gruppe wächst auf. Mit 13,1 Prozent sind wir weit über dem europäischen Durchschnitt, der ungefähr bei 9,5 Prozent liegt. Und das – das muss man so sagen – hat möglicherweise dann doch etwas mit dem Bildungssystem zu tun und der Frage, ob unsere Schulen systematisch auf den Arbeitsmarkt, also auf die Berufsbildung hin qualifizieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

An der Stelle darf man fragen – und das meine ich mit den „Methoden der Vergangenheit“ –, ob es wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, dass der Bund angesichts dieser Problematik, bei dem Arbeitsmarktpotenzial, das wir dort nicht erreichen – und ich rede jetzt nur von der ökonomische Seite; von den individuellen Schicksalen der Menschen, die ja dann aus der Schule quasi in den Niedriglohnsektor, in die Hilfsarbeit oder in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, mal ganz zu schweigen –, nicht direkt in die Bildungspolitik hineinfinanzieren darf. Das scheint mir nicht richtig zu sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wer plakatiert denn, dass wir neue Kindergärten brauchen? Also, Ihre Plakate stimmen ja hinten und vorne nicht!)

Wir machen natürlich viel. Wir haben mit dem Startchancen-Programm und dem KiTa-Qualitätsgesetz große Volumina geschnürt, um den frühkindlichen wie den schulischen Bildungsbereich zu unterstützen. Aber wir sind immer gezwungen, die Umwege zu gehen: Wir dürfen die Infrastruktur finanzieren, wir können die sozialpädagogische Arbeit finanzieren, aber nicht den wirklichen Bildungsbereich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das will ich jetzt nur als ein Beispiel dafür aufrufen, dass die Antworten, die wir uns in der Vergangenheit gegeben haben, ein Problem jedenfalls nicht gelöst haben. Denn man wird ja wohl nicht bestreiten können – egal wie man auf den Föderalismus schaut –, dass da jetzt ein massives Problem ist, das nicht bearbeitet und nicht gelöst, sondern immer größer wird. Und wenn man das ignoriert, dann ignoriert man auch die Wirklichkeit dieser jungen Menschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweites Beispiel, und das ist unabhängig von der Frage, ob irgendjemand glaubt, wir brauchen eine Halbleiterproduktion in Europa, oder nicht: Wenn wir in Europa, nicht nur in Deutschland, Unternehmen unterstützen – das gilt auch für mittelständische Unternehmen, beispielsweise beim ZIM-Programm –, dann müssen wir das immer in Brüssel notifizieren lassen.

Die Logik in Europa ist, dass staatliche Gelder nicht im Wettbewerb mit staatlichen Geldern der Nachbarländer obsiegen dürfen. Das muss immer ein Level Playing Field sein, mit der Konsequenz, dass wir ungefähr drei Jahre, manchmal dann sogar vier Jahre brauchen, um eine politische Entscheidung umzusetzen. Erst muss ein Programm in Brüssel notifiziert werden, dann muss das Programm in nationales Recht umgesetzt werden, dann muss es noch mal in Brüssel notifiziert werden, dann wird mit dem Programm eine Ausschreibung durchgeführt, dann bewerben sich die Unternehmen, und dann wird verhandelt, ob die Leistungen, die die Unternehmen bekommen, richtig sind.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, ist vielleicht kein gutes System, oder?)

Das dauert dann drei, dreieinhalb Jahre. Sehr geehrte Damen und Herren, das ist nicht wettbewerbsfähig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nee!)

Es ist europäische Hybris, so nach innen zu schauen.

Die Antwort darauf wäre meiner Ansicht nach ein schlankes, effizientes, bürokratiearmes Verfahren. Tax Credits, das die Amerikaner mit dem IRA eingeführt haben, kann uns als Methode hier Vorbild sein: Man investiert, man kriegt eine steuerliche Gutschrift, die man gegen die Steuer rechnen kann. Und wenn man ein junges Unternehmen ist, das noch keine Steuern zahlt, dann kriegt man das Geld zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Damit bin ich bei dem dritten Punkt. Alleine das können wir in Europa und in Deutschland nicht umsetzen, weil die fiskalpolitischen Regeln es uns nicht erlauben. Ein sehr erfolgreiches Investitionsprogramm durch Steuergutschriften würde die Annahme, dass wir am Ende des Jahres einen ausgeglichenen Haushalt haben, zunichtemachen. Das wissen Sie alle aus den Debatten, die wir haben.

Wir haben ja solche Versuche mit homöopathischen Maßnahmen unternommen, beispielsweise bei der Forschungsförderung oder jetzt bei der Filmförderung, und wir haben auch über die Gamesförderung gesprochen. Aber das sind natürlich, wenn es gut läuft, dreistellige Millionenbeträge, und mehr kann der Finanzminister auch nicht abbilden. Stellen Sie sich vor, das wären dreistellige oder zweistellige Milliardenbeträge. Das würde den Haushalt sprengen.

Deswegen ist der dritte Punkt – den muss ich ansprechen –, den wir strukturell hinterfragen müssen,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Klar, es kommt immer das Gleiche!)

die Rigidität der deutschen Schuldenbremse, die fiskalpolitischen Regeln der Vergangenheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben in dem Jahreswirtschaftsbericht die Analysen der OECD, des IWF und auch der Bundesbank zugrunde gelegt. Deutschland hat in einer Phase, in der die Wirtschaft und die Bevölkerung, die Verbraucherinnen und Verbraucher hart unter Druck standen, die Corona-Kredite schneller als alle anderen vergleichbaren Länder – die G-7-Länder – getilgt und zurückgeführt.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist die Verfassung!)

Das heißt, dass wir in den letzten drei Jahren, über die man ja sagen muss, dass sie für die deutsche Volkswirtschaft und für die Bevölkerung eine besondere Zeit waren, fiskalpolitisch keine Wachstumsimpulse gesetzt haben – anders als andere Länder.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich rede nicht davon, dass wir die Schuldenbremse abschaffen. Ich rede nicht davon, dass wir grenzenlos Schulden machen. Der Verweis auf Italien, Frankreich, meinetwegen auch die USA und Japan ist ja richtig. Deutschland ist ein Stabilitätsanker im Euroraum. Inzwischen sagen aber alle ökonomischen Institute, die internationalen Institutionen – ich habe sie gerade aufgezählt – und selbst die Bundesbank: Wir müssen uns mehr Flexibilität, mehr Möglichkeiten geben und können nicht mit der strengen Regel einer Schuldenbremse, die noch aus den Nullerjahren stammt – aus einer anderen Zeit, als die Globalisierung wuchs,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

als wir uns keine Sorgen machen mussten, als es keinen Krieg in Europa gab –, die Zukunft gestalten.

Da hier immer auf die Bonität Deutschlands verwiesen wird, empfehle ich eine Studie von Moody’s – also einer Ratingagentur, sicherlich kein linker, grüner oder sozialdemokratischer Thinktank –, worin ausgeführt wurde, dass die Bonität Deutschlands steigen könnte, wenn wir eine Flexibilität der Schuldenstandsquote zwischen 63 und 69 Prozent, bezogen aufs BIP, erreichen und gleichzeitig die ökonomische Stärke durch begleitende Strukturreformen verbessern. Es ist also nicht richtig, sich auf die Argumente der Vergangenheit zu beziehen; die Ökonomie und die Wissenschaft stehen inzwischen völlig woanders.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen sage ich: Sowohl was den Föderalismus angeht – wir könnten auch noch über den Datenschutz reden – als auch was die europäischen Regeln und die fiskalpolitischen Regeln angeht, müssen wir die Regeln neu aufsetzen.

Das heißt auch, dass uns die Debattengegensätze aus der Vergangenheit, also aus den 90er-Jahren, eher nicht helfen. Dort wurde die ökonomische Debatte so aufgegleist, dass man sagte: Entweder die Angebotsseite muss besser werden, oder die Nachfrageseite muss besser werden.

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Das ist in Spurenelementen noch immer in der heutigen Debatte zu finden, aber es hilft nicht weiter. Wir müssen natürlich beides tun; das ist ja kein Gegensatz. Natürlich muss der Standort bürokratieärmer werden, und es muss schneller entschieden werden. Die Infrastruktur muss verbessert werden. Wir müssen sehen, dass Deutschland ein attraktives Investitionsumfeld hat. Aber wenn dem dann so ist, dann muss auch investiert werden, und zwar von der öffentlichen Seite: in die Infrastruktur, in die Brücken, in die Bahn, in die Digitalisierung, in die AI-Forschung, in die Forschung insgesamt, in die jungen Unternehmen.

(Zuruf von der AfD)

So, wie es unsinnig ist, zu sagen, dass alleine eine flexiblere, dynamischere Fiskalpolitik die Probleme löst, so unsinnig ist es, zu sagen, dass wir alleine angebotsseitig die Probleme lösen könnten. Das ist entspricht nicht der Wirklichkeit um uns herum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich das in Maßnahmen übersetzen, die wir durchführen müssen:

Erstens. Ich sprach schon über Tax Credits. Das wäre aus steuerlicher Sicht wahrscheinlich der stärkste Anreiz, das Land sofort nach vorne zu bringen, indem wir den Unternehmen ein Incentive geben. Es ist ja so, dass wir die Absenkung der Wachstumszahlen vornehmen mussten wegen der politischen Unsicherheit, die wir im Moment in Deutschland haben. Davor haben wir, habe ich immer gewarnt. Die Neuwahlphase führt dazu, dass die Unternehmen nicht wissen, was jetzt kommt und wie sich die Steuerpolitik, die Angebots- und die Nachfrageseite in Zukunft entwickeln werden.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir haben den Finanzminister nicht entlassen! Das war jemand anders!)

Aufgrund der Neuwahlen haben wir es auch nicht mehr geschafft, die Wachstumsinitiative vollständig umzusetzen. Die ist immerhin mit einem halben Prozentpunkt Wachstum prognostiziert gewesen. Zudem hat die US-Wahl ebenfalls Verunsicherung ausgelöst. Wenn wir einen entsprechenden Haushalt hätten, könnten wir diese Unsicherheit schnell überwinden, indem wir einen starken Wachstums- und Innovationsimpuls setzen, beispielsweise durch steuerliche Abschreibungen, also Tax Credits.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Dieser Punkt hat viel mit der Unsicherheit zu tun: Wir müssen in jeder Rede und mit Blick auf den gestrigen Tag auch in jeder Abstimmung deutlich machen, dass wir eine Handelsnation sind, ein weltoffenes Land in einem geeinten Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden das Potenzialwachstum nicht nur mit der Mobilisierung der hier in Deutschland lebenden, gar hier in Deutschland geborenen Menschen heben können, sondern wir sind auf Zuwanderung angewiesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe gestern erlebt – und Sie werden es wahrscheinlich selbst auch schon erlebt haben –, dass mir die Menschen aus den Unternehmen Nachrichten schicken und sagen: Wegen der – aus meiner Sicht fatalen – Entscheidung gestern, wegen des Signals, dass FDP, Union und AfD jetzt gemeinsam abstimmen, überlegen Menschen, die nicht Meier, Müller oder Habeck heißen, das Land zu verlassen. Diese Entscheidung von gestern wird auch ökonomisch eine schlimme Schleifspur durch Deutschland ziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie war auch ökonomisch ein Drama, weil – –

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Machen Sie doch Ihre Arbeit! – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

– Herr Frei, reden Sie mal mit den Leuten, die nicht „Frei“ heißen. Die Leute waren schon verunsichert, als Frau Klöckner twitterte: Man muss nicht die AfD wählen, um AfD-Politik zu bekommen. Das kriegt man auch von der Union.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie reden von Verunsicherung? Sie sind doch der Verunsicherer!)

Sie sind erst recht verunsichert, wenn solche rhetorischen Signale gegeben werden wie von Friedrich Merz gestern, eine Abstimmung werde ja nicht falsch, wenn man mit den Falschen abstimmt. Das öffnet doch Tür und Tor für die AfD-Politik hier im Hause, und das registrieren die Leute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Sie sind doch ein Angstmacher!)

Sie wissen ganz genau, dass in den ostdeutschen Bundesländern – wo Sie ja schon Einfluss auf die Politik haben und so stark sind – die Unternehmen große Schwierigkeiten haben, Menschen aus anderen Ländern, aus Europa zu bekommen. Sie schaden mit Ihrer Politik dem Wirtschaftsstandort Deutschland!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der AfD: Das ist Unsinn!)

Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie mit den Kollegen dort gemeinsame Sache machen, jenseits von demokratischen Fragen und Wortbrüchen. Das ist der Sargnagel für die deutsche Wirtschaft.

(Zuruf von der AfD: Die Rezession kommt doch von Ihnen!)

– Ja, ja, glauben Sie mal weiter, dass es reicht, mit deutschen Arbeitskräften deutsche Produkte für den Markt in Deutschland herstellen zu können. Was Sie hier predigen, ist der Abstieg des Landes!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Drittens: Die Lohnnebenkosten steigen. Dort sind dringend Lösungen gefordert; denn wir müssen die Arbeitsproduktivität hochhalten. Indem die Lohnnebenkosten immer weiter steigen, wird ein kontraintuitives Signal gesetzt. Die Infrastruktur muss auf Vordermann gebracht werden; sie ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Ich wiederhole, was ich an verschiedenen Stellen bereits gesagt habe: Dass der Haushalt in den Jahren der Großen Koalition ausgeglichen war, heißt nicht, dass keine Schulden gemacht wurden. Sie stehen nicht im Haushalt, aber sie sind überall im Land zu besichtigen: bei den verspäteten Bahnen, bei den bröselnden Brücken, bei den nicht sanierten Schulen. Da sind die Schulden inzwischen aufgelaufen, und das rächt sich jetzt bitterlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen eine Bildungsoffensive, wir brauchen schnellere Entscheidungen. Ja, es ist auch richtig, dass die Prozesse der Genehmigung – ich sprach vorhin bei den Notifizierungen für die Tax Credits darüber; aber das gilt natürlich auch für alle anderen Sachen – zu kompliziert geworden sind. Was man entscheiden kann, kann man schneller entscheiden. Dass das kein Hexenwerk ist, haben wir in dieser Regierung bewiesen; denn es gibt einen positiven Lichtblick: Uns hätte wahrscheinlich am Anfang der Legislaturperiode niemand zugetraut, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien und des Stromnetzes – letzteres um den Faktor 5 – beschleunigen konnten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das haben wir getan, indem wir im Kern Bürokratie abgebaut und Genehmigungsverfahren schneller gemacht haben. Wir haben den schon vorhandenen beschleunigten Genehmigungsverfahren weitere hinzugefügt, zum Beispiel bei Repowering oder beim Bau von Stromnetzen in genehmigten Trassen. So kam es dazu, dass bei den Stromnetzen die Geschwindigkeit erhöht wurde und die Zahl der genehmigten Trassenkilometer von 300 auf knapp 2 000 gestiegen ist und dass wir bei der Windkraft an Land für dieses Jahr über 15 Gigawatt Neugenehmigungen erwarten, was etwa einer Verfünffachung der Altmaier-Zahlen entspricht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die erneuerbaren Energien sind umkämpft. Es ist ja nicht so, dass ganz Deutschland Stromnetze haben will. Alle würden sich wahrscheinlich freuen, wenn Baugenehmigungen schneller erstellt würden oder wenn Unternehmensgründungen schneller und weniger bürokratisch möglich wären. Das sind Dinge, bei denen niemand im Land etwas dagegen hat. Stromnetze dagegen sind umkämpft. Windkraftanlagen wollen jetzt alle gerne haben, weil wir unter anderem den Kommunen eine Möglichkeit gegeben haben, dadurch auch noch kommunale Gewinne für sich zu erzielen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich wurden über Windkraftanlagen schwierige Debatten geführt. Wenn es aber gelingt, bei Stromnetzen, bei Windkraft, bei Wasserstoffnetzen, bei Gasnetzen usw. schnell nach vorne zu kommen, dann ist das natürlich auch bei allen anderen Sachen möglich.

Was wir brauchen, ist die Erkenntnis, dass wir uns neu erfinden müssen und dass wir das jetzt tun müssen. Sonst wird die Verführungskraft der autoritären Regime und der autoritären Akteure immer größer werden. Das, was China vormacht, und das, was Elon Musk verkörpert, ist, ökonomisch erfolgreich zu sein – aber nicht auf der Basis der Werte, die wir uns hier als Land gegeben haben. Das ist nicht the European Way of Life, das ist nicht die soziale Marktwirtschaft, sondern das ist die Entgrenzung, die Entfesselung von Macht. Das entspricht nicht den Spielregeln der Demokratie, die wir uns gegeben haben, wo wir Macht kontrollieren. Wenn wir das zurückweisen und dagegen nicht verlieren wollen, dann müssen wir in den nächsten vier Jahren zeigen, dass wir auf Basis unserer Werte – Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Wahrung der persönlichen Rechte – genauso erfolgreich sind. Es gibt viel zu tun, aber: Geht nicht gibtʼs nicht!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7628688
Wahlperiode 20
Sitzung 210
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung z. Jahreswirtschaftsbericht 2025
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