Sven-Christian KindlerDIE GRÜNEN - Regierungserklärung z. Jahreswirtschaftsbericht 2025
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unbestritten, dass wir vor strukturellen Herausforderungen stehen. Aber, lieber Herr Spahn, ich hätte mir schon gewünscht, dass nach 16 Jahren CDU-geführter Regierung
(Zurufe von der CDU/CSU: Oah!)
Sie die Fragen von Bürokratie, maroden Brücken, der Abhängigkeit von russischem Gas und unserer Energiepolitik nicht allein bei dieser neuen Regierung verorten.
(Zurufe der Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU] und Jens Spahn [CDU/CSU])
Das ist wirklich unredlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Drei Jahre Ampel, drei Jahre Rezession!)
Herr Spahn, Herr Buschmann, unsere Volkswirtschaft ist exportorientiert. Wir leben vom weltweiten, vom europäischen Handel. Und die größte Gefahr für unsere Wirtschaft ist das Schließen von Grenzen, ist die Spaltung in Europa, ist die Zerstörung des europäischen Binnenmarkts.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie haben gestern so ein Programm vorgelegt und beschlossen zusammen mit der AfD. Genau davor haben viele Menschen in Deutschland und Europa jetzt Angst.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was ist denn Ihre Antwort? – Gegenruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht die Wirtschaft zu zerstören!)
Wenn ich mit Unternehmen rede, dann sagen sie, welche Probleme sie haben und vor welchen Herausforderungen sie stehen. Sie zählen viele Punkte auf, aber als Erstes sagen sie: Fachkräfte. Als Zweites sagen sie: Fachkräfte. Als Drittes sagen sie: Fachkräfte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Da waren Sie aber schon lange nicht mehr in den Unternehmen!)
Die Nachricht, dass hier gestern CDU/CSU, AfD und FDP zusammen abgestimmt haben, ist um die ganze Welt gegangen – die ganze Welt! Viele Menschen aus dem Ausland, die sich überlegen, ob sie in Kanada, in Spanien oder in Deutschland arbeiten wollen, werden sich zwei- oder dreimal überlegen, ob sie das hier noch machen werden.
(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Die sind auch bisher nicht gekommen!)
Das ist Ihre Verantwortung, Herr Merz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was Sie von der CDU/CSU, der FDP und der AfD an Scheinlösungen in der Wirtschaftspolitik jetzt vorlegen,
(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Angstmacherei!)
sind vor allen Dingen massivste Steuersenkungen, allein 100 Milliarden Euro bei der CDU/CSU – nicht gegenfinanziert. Die Frage ist: Wie soll das gegenfinanziert werden? Wo soll dafür gekürzt werden? Und wer profitiert davon? Die obersten 10 Prozent bzw. das oberste 1 Prozent zu sehr großen Teilen. Ich sage Ihnen: Die Milliardäre in diesem Land noch reicher zu machen, das schafft keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. Das ist einfach unfair. Das ist unseriös.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sich an den Reichen zu vergreifen, ist natürlich sinnvoll!)
Was Unternehmen in diesem Land brauchen, das sind Investitionen in eine funktionierende Infrastruktur. Was Unternehmen brauchen, das sind Investitionen in günstigen sauberen Strom. Wir brauchen Investitionen in unsere Menschen, in Köpfe, in Bildung und Forschung, und wir brauchen Investitionen in eine Wirtschaft, die die Grenzen unseres Planeten achtet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das alles – das ist völlig klar angesichts der riesigen Dimension – können wir nicht aus der Portokasse bezahlen. Für mehr Investitionen brauchen wir eine Reform der Schuldenbremse.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nach über 15 Jahren im Deutschen Bundestag meine 150. Rede, und es ist meine letzte Rede – ohne Konfetti, ohne Krawatte, dafür mit sehr vielen Gefühlen. Mein Weg in den Bundestag war nicht vorgezeichnet. Ich bin der Erste in meiner Familie, der Abitur gemacht und studiert hat. Seit 2009 bin ich Mitglied im Haushaltsausschuss, seit 2014 Sprecher meiner Fraktion für Haushaltspolitik.
In der Opposition war es für mich eine große Freude, das parlamentarische Fragerecht sehr intensiv zu nutzen, auch zur Freude mancher Minister, wie ich weiß.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben mit meiner Fraktion in der Eurokrise die Bundesregierung in Karlsruhe verklagt, und das Bundesverfassungsgericht hat uns vollständig recht gegeben. Damit haben wir dauerhaft die Parlamentsrechte in diesem Hohen Hause gestärkt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Heilmann [CDU/CSU])
Und in der Koalition habe ich mit meinen Kollegen von FDP und SPD in der schweren Energiekrise im Rahmen der Strom- und Gaspreisbremse ein Boni- und Dividendenverbot für Großunternehmen durchgesetzt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich war sehr, sehr gern Mitglied des Haushaltsausschusses. Ich habe den Haushaltsausschuss als selbstbewusst und kritisch erlebt wie auch ein Parlament, das seine Aufgabe ernst nimmt, das die Aufgabe als Herzkammer dieser Demokratie ernst nimmt. Dafür wollte ich mich eigentlich heute bei den Kolleginnen und Kollegen aus den demokratischen Fraktionen bedanken. Ich sage „eigentlich“. Ich sage es ganz offen: Das fällt mir nach dieser historischen Entscheidung gestern sehr, sehr schwer. Erstmals seit 1949 gab es in diesem Hohen Hause eine eigenständige Mehrheit mit einer rechtsextremen Partei. Das hat mein Vertrauen erschüttert. Da ist etwas in mir zerbrochen. Da ist auch etwas in diesem Hohen Hause zerbrochen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Überhaupt gar kein Verständnis von Demokratie!)
Ich bin wütend, ich bin entsetzt, und ich bin traurig.
(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])
Trotzdem möchte ich mich für die Zusammenarbeit im Haushaltsausschuss bei den demokratischen Fraktionen bedanken
(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Hören Sie doch auf mit dem Gerede von demokratischen Fraktionen!)
stellvertretend für die Fraktionen bei Dennis Rohde, bei Otto Fricke, bei Gesine Lötzsch und bei Helge Braun. Für die kollegiale Zusammenarbeit,
(Tino Chrupalla [AfD]: Ja, danke! Tschüs!)
für intensive Debatten, für legendäre Bereinigungssitzungen vielen Dank!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Ein unwürdiger Abgang!)
Ich habe zwei Kinder. Auch wenn ich versucht habe, viel für sie da zu sein: Den Großteil der Carearbeit hat meine Frau übernommen. Das ist nicht gerecht, und das will ich in Zukunft anders machen. Es schmerzt mich, so viel weg zu sein, so oft getrennt zu sein von der Familie. Das will ich nicht mehr. Ich will ein besserer Vater und ein besserer Partner sein. Davor habe ich Respekt, aber darauf freue ich mich auch sehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Thomas Heilmann [CDU/CSU])
Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas Persönliches teilen. Ich habe in den letzten Tagen oft daran gedacht, wann und wie ich eigentlich anfing, politisch zu denken. Ganz wichtig war dabei mein Opa.
(Bernd Schattner [AfD]: Die Frage ist: Wo sind Sie falsch abgebogen? – Gegenruf der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, meine Güte!)
– Hören Sie doch einfach mal zu!
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hören Sie doch einfach mal zu bei einer wichtigen Rede hier!
Ein bisschen Anstand wäre auch sehr hilfreich.
(Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es geht nämlich jetzt um die deutsche Geschichte. Mein Opa war oder ist – er lebt zum Glück noch – zeit seines Lebens treuer CDU-Wähler gewesen, und wir hatten sehr hitzige Debatten. Das hat mich auch geprägt. Er wird diesen Sommer 90 Jahre alt. Mit jedem seiner sieben Enkel hat er die KZ-Gedenkstätte in Bergen-Belsen besucht. Das war ihm persönlich sehr wichtig, und dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar.
Für mich ist der Einsatz für diese Demokratie und dafür, dass sich die Shoah nie wiederholt, dass nichts Ähnliches passiert, Antrieb und Überzeugung. Darum bin ich hier. Und ich weiß, viele, viele Kolleginnen und Kollegen sind deswegen hier. Eine Antwort auf diesen Zivilisationsbruch ist das Grundgesetz mit dem Grundrecht auf Asyl, ist ein vereintes demokratisches Europa und ist unsere wehrhafte Demokratie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Thomas Heilmann [CDU/CSU])
Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Kindler.
Ich möchte zum Abschied den Menschen Danke sagen, ohne die hier gar nichts läuft: unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Danke den Saaldienern, den Protokollantinnen und Protokollanten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen, in den Ministerien! Danke auch an mein Team: Stefan, Susann, Andie, Sabrina, Inga, Liam, Peer Lars, Ulrike, Jan, Henrika. Ohne unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würde hier gar nichts laufen. Sie sind die Arbeiterinnen und Arbeiter im Maschinenraum der Demokratie. Dafür gebührt ihnen großer, großer Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es war mir eine Ehre.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Die Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)
Herr Kindler, auch ich möchte noch ein paar Worte sagen,
(Die Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nehmen wieder Platz)
weil wir in den letzten Jahren auch bei Haushaltsberatungen sehr intensiv zusammengearbeitet haben. Auch ich möchte mich für die immer faire, kollegiale Arbeit, die wir miteinander hatten, sehr bedanken. Ich wünsche Ihnen wirklich alles, alles Gute, auch für Ihre Familie und für all das, was Sie noch vorhaben. Im Namen des ganzen Hauses vielen Dank für Ihre Arbeit hier!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])
Jetzt hat das Wort für die AfD-Fraktion Leif-Erik Holm.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7628697 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung z. Jahreswirtschaftsbericht 2025 |