Bernhard DaldrupSPD - Mehr Netto vom Brutto
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rede hier auch zum letzten Mal; aber darauf komme ich hinterher noch mal zu sprechen. Ich wollte zunächst nur ganz kurz sagen: Herr Steiniger, ich glaube, das, was Sie gesagt haben, ist Ihnen nicht peinlich; aber ich denke, Sie sind für Ihre Fraktion peinlich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das ist so. Sie glauben, uns der Lüge bezichtigen zu können, weil wir als politisches Ziel gehabt haben, 400 000 Wohnungen zu bauen. Wir haben in jedem Jahr 300 000 Fertigstellungen gehabt. Wir haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt 350 000 Wohnungen im Bau. Wir haben über 800 000 Bauüberhänge.
(Zuruf des Abg. Johannes Steiniger [CDU/CSU])
Wir würden gerne mehr machen. Aber wir hatten ein Ziel; Sie hatten kein Ziel. Ein Ziel zu verfolgen, es nicht zu erreichen und daraus dann eine Lüge zu machen: Sie sind einfach eine peinliche Gestalt, Herr Steiniger – eine peinliche Gestalt!
(Beifall bei der SPD – Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Getroffene Hunde bellen!)
Zum Thema „Demokratie und AfD“ und der geradezu grotesken Schlussfolgerung komme ich gleich noch mal. Ich will erst noch etwas zum FDP-Antrag sagen. Wenn man lange genug Politik macht, dann werden die Formeln eingängig, und der Spruch „Mehr Netto vom Brutto“ ist so wie die Schallplatte zur Wahl, wenn ich das mal so sagen darf.
(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Die SPD sagt eben „Mehr Schulden“! – Dr. Lukas Köhler [FDP]: Wie heißt gerade noch mal die Großfläche der SPD?)
Deswegen: Große Sprüche, nichts dahinter! „ Es gibt jedoch keine Fakten ersetzende Kraft des Phraseologischen“, hat Herbert Wehner mal zu solchen Sprüchen gesagt.
Die Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln belegt, dass Ihre maßlosen Steuerversprechungen nicht zu finanzieren sind. In einer Antwort auf die Frage zur Finanzierung der 138 Milliarden Euro Steuerentlastungen als Wahlversprechen sagt das Institut der deutschen Wirtschaft:
(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das IW zitieren! Also, ich sage mal!)
„Bei Union und FDP gibt es … ein großes Fragezeichen: … Die Schuldenbremse soll bei beiden Parteien bleiben. Von Steuererhöhungen an anderer Stelle ist nicht die Rede. Die Antwort bleibt auch deshalb offen, weil fast die Hälfte der Mindereinnahmen bei Ländern und Kommunen anfallen würden, die nicht ohne weiteres mitziehen dürften.“
Das ist ein Zitat gewesen; meine Kollegen haben eben schon darauf aufmerksam gemacht.
Ich will übrigens zu den Kommunen sagen – kleine Bemerkung am Rande –: Leider hat es Ihr Finanzminister in drei Jahren nicht geschafft, einen ernsthaften Entwurf zur Regelung von Altschulden, also Entlastungen von Kommunen, vorzulegen, obwohl er immer wieder gesagt hat, er würde es tun. So ist das mit den Wahlversprechen und mit den Sprüchen. Er hat nichts davon gemacht. Das Kabinett hat den Entwurf letzte Woche beschlossen – unter Leitung des neuen Finanzministers. Vielen Dank dafür!
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich bedauere sehr, dass das nicht mehr ins Parlament kommt. Ich würde mir von den Grünen mehr Unterstützung in der Frage wünschen; aber nun ist es passiert.
Im Kern ist Ihnen die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur durch die Kommunen gleichgültig. Die Schulden, die sie anhäufen, sind Ihnen gleichgültig, und die sind in dreistelliger Milliardenhöhe regelmäßig da. Das hat was mit sozialen Einrichtungen in den Kommunen zu tun, mit Lebensqualität, mit Zukunftsfähigkeit. Dazu braucht man aber eben Investitionen, und dazu braucht man Steuereinnahmen; das ist schlicht und ergreifend so. Aber die wollen Sie nicht. – Die Leute sollen genau wissen, wo die Verantwortlichen zu sehen sind.
Ebenso wie das Institut der deutschen Wirtschaft kommt das ZEW – ist eben auch gesagt worden – darauf zu sprechen, dass die SPD tatsächlich die höchsten Entlastungen bei Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, aber zugegebenermaßen auch höhere Belastungen für Einkommen oberhalb von 250 000 Euro vorsieht – dort, wo die Union und erst recht die AfD die größten Entlastungen versprechen, nämlich bei Einkommen über 250 000 Euro. Mein Kollege Schrodi hat das eben dargestellt. Wir haben es bei diesen Parteien offenbar mit einem Bündnis von Rechten und Reichen zu tun. Das ist sozusagen die Konsequenz.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ihre Steuerentlastungen sind immer verbunden mit einer Durchlöcherung des Solidarprinzips in der Sozialpolitik. Das zeigt sich nicht nur bei der Flexibilisierung der Arbeitslosenversicherung. Frau Raffelhüschen, Sie wollen damit die Aufgabe der Solidarität politisch beschließen. Eine unglaubliche Sache, wenn ich das mal sagen darf! Denn das trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei.
(Beifall bei der SPD)
Das gilt auch für die Bündelung der steuerfinanzierten sozialen Leistungen, die Sie als Deckmantel für Einsparungen für die Menschen in der Mitte der Gesellschaft benutzen wollen. Sie wollen den Soli endgültig abschaffen und begründen das damit, dass er auch von Unternehmen gezahlt würde. Wenn Sie mit diesem Argument nur einen Funken Glaubwürdigkeit hätten, dann würden Sie erklären, dass Sie in Zukunft leistungsloses Einkommen aus Erbschaften, Zinsen, Kapitalerträgen stärker besteuern würden. Dahinter steht nämlich kein Leistungsgedanke, sondern Vermögen und nichts anderes.
(Beifall bei der SPD)
Ihre Formel, dass sich Leistung lohnen müsse, erweist sich an dieser Stelle als hohle Phrase. So ist es!
(Beifall bei der SPD)
Ich glaube übrigens, dass Ihnen zu der Entscheidung für mehr Steuergerechtigkeit überhaupt nicht der Mut fehlt. Nein, der Punkt ist: Ihnen fehlt der Wille. Sie wollen das überhaupt gar nicht. Sie wollen nicht entlasten, weil Sie eben zum Bündnis der Rechten und Reichen gehören.
(Lachen des Abg. Dr. Marcus Faber [FDP] – Dr. Lukas Köhler [FDP]: Haben wir nicht eben über Schallplatten geredet?)
Deshalb läuft die Frage, wie Sie ihre Entlastungsversprechen finanzieren wollen, ins Leere. Denn die Finanzierung gibt es nicht. Sie sind eine Luftnummer – Phraseologie!
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Das ist jetzt meine letzte Rede,
(Zuruf von der FDP: Und nicht die beste!)
und ich habe noch 50 Sekunden. Ich will noch ein paar Bemerkungen machen.
Ich habe mich bei vielen Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitern des Hauses, dem Präsidium usw. zu bedanken. Das will ich an dieser Stelle sehr, sehr gerne tun.
Ich würde gerne versöhnlich enden; aber das geht leider nicht. Meine Zeit hier geht anders zu Ende, als ich mir das hätte vorstellen können. Ich meine nicht die Entscheidung zum Bruch der Koalition. Nein, ich meine ein Szenario der FDP, das uns, die Sozialdemokraten, als Koalitionspartner in ein Bild versetzt, das mit der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nach dem D-Day gleichgesetzt wird. Meine Damen und Herren, das ist für mich ein Tiefpunkt der politischen Kultur. Schämen Sie sich!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)
Die Abstimmung gestern, initiiert von einer CDU, die, einem niederen Machiavellismus folgend, ihr politisches Machtkalkül über den Konsens der Demokraten auf der Grundlage unserer Verfassung stellt, ist genauso problematisch. Ich hoffe sehr, dass unser Land die Kraft hat, diesem Angriff zu widerstehen.
Ruprecht Polenz, der ehemalige CDU-Generalsekretär, hat mit Bezug auf Deutschland gesagt – Zitat –: „Die Faschisten sind nur dort an die Macht gekommen, wo die Konservativen ihnen die Plattform geboten haben.“
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)
Und heute lese ich mit Stolz, dass sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel von Ihrem Verhalten distanziert
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken)
und Frau Grütters davon redet, dass Ihnen der sozialethische Kompass verloren gegangen ist. Sollten jemals wieder Rechtsextremisten oder Faschisten in Deutschland an die Macht kommen, wird hoffentlich nicht der gestrige Tag als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem alles begann.
Deshalb habe ich eine letzte Bitte in einem Satz: Verteidigen Sie diesen demokratischen und sozialen Rechtsstaat,
(Enrico Komning [AfD]: Machen wir!)
verteidigen Sie dieses Land, verteidigen Sie die Republik!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Linken sowie des Abg. Klaus Ernst [BSW] – Die Abgeordneten der SPD erheben sich – Mechthilde Wittmann [CDU/CSU]: Machen Sie mal mit!)
| Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
| Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
| Abgerufen von | http://dbtg.tv/cvid/7628817 |
| Wahlperiode | 20 |
| Sitzung | 210 |
| Tagesordnungspunkt | Mehr Netto vom Brutto |